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FC St. Pauli vs F95 4:0 – Eiskalte Schlachtung neben dem Dom

Es ist nicht leicht, den Verein des Herzens zu lieben, wenn er von einer solch verkommenen Truppe repräsentiert wird, die man weder „Team“, noch „Mannschaft“ nennen mag. Es ist auch nicht leicht, zum eigenen Verein zu halten, wenn dieser wieder einmal in die falschen Hände gefallen ist. Die falschesten aller Hände gehen bekanntlich erstmal für länger in den Knast. Vor gut viereinhalb Jahren waren es erneut falsche Hände, die uns Fans beinahe die Freude an der Fortuna genommen hätten. Und dieser Tage sitzen zwei extrem falsche Hände nebeneinander im Vorstand. Der eine heißt Dirk Kall, war mal mittelerfolgreicher Vertriebsmanager bei der Telekom und hat einen Faible für das Wort „nachhaltig“. Manche sagen auch, er habe einen Faible für Worthülsen und sei vor allem dadurch für das Amt des Vorstandsvorsitzenden prädestiniert. Der andere heißt Helmut Schulte und ist in persona das größte Fortuna-Missverständnis seit Thomas Berthold. Dieser Mann, der gern beim Rapid Wien war, weil er dort mehr so in Kaffeehäusern rumlungern konnte, hat bei der Zusammenstellung des aktuellen Kaders nicht nur jeden handwerklichen Fehler gemacht, den man sich vorstellen kann, sondern alles, was die Fortuna ausmacht, mit Fleiß ignoriert.

Und es scheint ihn einen Scheiß zu interessieren. Wortkarg gibt er sich, unnahbar und ziemlich unbeteiligt. Man stelle sich als Fortuna-Liebhaber einmal vor, Schulte würde auch das Team für die kommenden Saison zusammenstellen – der Abstiegskampf wäre vorprogrammiert. Gedeckt wird das Treiben des ehemaligen Pauli-Helden und Schalke.Mitschwimmers von ebenjenem Vorstandsvorsitzenden, der als Aufsichtsratsvorsitzender in den Jahren 2009 bis 2013 einiges geleistet hat. Dass dann sein Aufsichtsrat ihn auf den Posten des Vorstandsvorsitzenden gehievt hat, rechtfertigt noch heute die Abwahl einiger Aufsichtsräte im vergangenen Oktober. Was aber die schlimmste Verfehlung des Duo Infernales ist: Sie haben den guten Trainer Olli Reck verschlissen, der – bei allen seinen nachweisbaren Fehlern – der Fortuna eine sportliche Perspektive aufgezeigt hat. Apropos: Aktuell verbrennen die fürs Sportliche Zuständige den ebenfalls interessanten Trainer Taskin Aksoy. Und zwingen ihn nebenbei, weitere Fortuna-Talente wie Ihlas Bebou und Tugrul Erat zu verbrennen. Damit am Ende ein Häufchen Nachwuchsasche übrigbleibt – denn andere „Eigengewächse“ mit Perspektive wie Marcel Hofrath, Timm Golley und Robin Heller hat man bereits verjagt. Mit Jonathan Tah wird nebenbei ein ausgeliehenes Supertalent kaputtgemacht, das aber im Sommer zurück zum Zweitligisten HSV darf.

Das alles durften die rund 2.000 F95-Fans, von denen ein großer Teil zuvor ein mehr oder weniger langes – will man den Erzählungen glauben – wunderschönes Osterwochenende im Hamburg dieser Perle verbracht hatte. So traf Ihr trotz allem ergebener Berichterstatter den Montag über Rotweiße in allen Aggregatzuständen an den verschiedensten touristischen Hotspots der Hansestadt. Leider bewiesen nicht wenige, dass man es Düsseldorfer Fußballfan stellenweise nicht so mit den Umgangsformen hat; getreu des Fan-Songs „…drum fahren wir nach Hamburg und benehmen uns daneben.“ Wer mitgebrachte Bierkästen auf dem Tisch einer Außengastronomie irgendwie witzig oder frech oder irgendwie findet, bewegt sich auf dem Niveau von Fans der Vereine, die wir nicht mögen. Netter dagegen die vielen Hafenrundfahrtsbarkassen, die mit F95-Bannern geschmückt durch die Fleete schipperten.

Aus alter und neuer Freundschaft
Beinahe wäre dieser Bericht ausgefallen, denn aus Gründen stand Ihr Ergebener noch am Samstag ohne Eintrittskarte da. Davon erfuhr ein Vereinsmitarbeiter mit St.Pauli-Vergangenheit und setzte prompt alle telefonischen Hebel in Bewegung. So kam es, dass am Sonderschalter Süd ein von Teammanager Christian Böing bestelltes Ticket hinterlegt war. Auf das zu warten es dann galt. Zeit und Gelegenheit genug, mit den Pauli-Fans, die ab etwa 18:00 Uhr auf den Harald-Stender-Platz strömten, ins Gespräch zu kommen. Natürlich bezeichnet es die soziodemographische Zusammensetzung der Anhängerschaft, dass dort u.a. zwei prototypische Imbisswagen gibt. An dem einen servierten zwei nette und gutaussehende Frauen Burger aus Rindfleisch, das – so die Ansage – von Viechern stammt, die sie mit Namen gekannt haben. Ja, das war ein guter Burger. Direkt gegenüber parkte ein stylish lackierter Verkaufswagen mit dem schönen Namen „Vincent Vegan“, in dem McFitti den Fans allerlei tierfreie Leckereien verkaufte. Muss nicht erwähnt werden, dass bei Vince sich die Fan-Massen knubbelten.

Apropos: Wer durch die nicht-touristischen Ecken von St. Pauli und Altona schlendert, kommt als Bewohner einer eher kleinen Metropole kaum aus dem Grinsen heraus, laufen dort doch vorwiegend Karikaturen herum. Jeder zweite Kerl trägt Vollstbart und verspiegelte Buntbrille sowie Basecap, also die McFitti-Uniform. Die anderen haben mühsam zerrasierte Fusselbärte und Bin-gerade-aufgestanden-Frisuren. Währenddessen sehen alle Mädchen unter 30 aus, als wären sie gerade auf dem Weg von einer Muscial-Probe zum nächsten Casting. Dazu eine breite Auswahl Öko-Typen aus vier Jahrzehnten und allerlei Künstlervolk. Auf St. Pauli ist dies dann durchmischt mit ollen Pauli-Männern, die entweder den Ex-Boxer-, Ex-Luden- oder Ex-Hafensträßler-Look tragen – ein Panoptikum.

Und wieder ein Apropos: Endlich fand Ihr Ergebener ein halbwegs tragfähige Erklärung für den grassierenden FC-St.Pauli-Hass in gewissen Fortuna-Fankreisen. Der beruht auf a) mangelnden Geschichtskenntnisse, b) einem völlig irrationalen Linkenhass und c) folgerichtig aus Dummheit. Schuld daran ist die Hafenstraße. Beziehungsweise: Die völlige Unkenntnis über das, was sich in den Achtzigerjahren wirklich dort abgespielt hat und was das mit dem FC St. Pauli zu tun hat. Denn die Besetzung der Häuser oben am Elbufer über den Landungsbrücken war ja nur der spektakulärste Teil der Hamburger Hausbesetzungen. Denn in jenen Jahren betrieb der Senat der Hansestadt eine hochaggressive Wohnungspolitik, die explizit eine Gentrifizierung von ganz St. Pauli und weiten Teilen Altonas erreichen sollte – ganz im Sinne der Großinvestoren, die ein profitables Immobilienschlachtfeld in Auftrag gegeben hatten. Im kleinen Rahmen und nicht ganz historisch wird dies in der Dieter-Wedel-Serie „Der König von St. Pauli“ thematisiert. Weil sich aber die Besetzer der zuvor durch die Hamburger Wohnungsbausgesellschaft absichtlich dem Verfall anheimgestellten Häuser am Hafen besonders heftig wehrten, wurde dieses zum Symbol des Widerstands gegen die Pläne der Stadt. Der Widerstand traf damals auf breite Zustimmung der Bevölkerung, die über Jahre auf vielfältige Weise die Besetzer unterstützten. Besonders taten dies natürlich die Bewohner von St. Pauli, denen samt und sonders eine Heimatvertreibung drohte.

Links ist, wo das Herz sitzt
Natürlich waren es Linke, genauer: Linksautonome, die an der Hafenstraße aktiv waren. Obwohl in den Häusern mehrheitlich eher friedfertige Studenten und junge Künstler wohnten; man denke nur an die damalige Freundin von Boris Becker, die jener auch dort besucht haben soll. Zu den Aktivisten, die durch nicht gewaltfrei dachten und handelten, gesellten sich ein Umfeld aus Paulianern und Jugendlichen aus dem Großraum und von weiter weg, die von einem Leben ohne Kapitalismus träumten. In der Mehrheit waren es aber imm Hamburger, die dort und anderswo gegen die Immobilienpest wirkten. Und es waren genau diese linksautonomen Hamburger, die etwa um 1982 den Verein des Viertels für sich entdeckten – wie übrigens andere Mitglieder der Hausbesetzerszene Altona 93 für sich entdeckten. Bis Anfang der 70er-Jahre war der FC St. Pauli eine der grauesten Mäuse im Fußball der vier oberen Ligen, der oft vor kaum 1.000 zahlenden Pauli-Bewohnern im Rentenalter übelsten Kick darbot. Zumal der Verein von Wilhelm Koch, einem Nazi-Mitläufer, der ab 1947 (bis 1969) wieder Präsident war, wie das Deutsche Reich geführt wurde und in keinster Weise mit dem Stadtteil verbunden war.

Nach seinem Tod hatte der FC St. Pauli eine Menge Schulden bei den Erben, und ein Haufen Kaufleute große Pläne. Auf Pump wurden Mannschaften zusammengestellt, und tatsächlich führte der Weg bis in die zweite und 1977 sogar in die Erste Bundesliga. Aber die Schulden rissen den Club wieder zurück in die graue Realität des verfallenen Stadions am Millerntor. In dieser Situation kamen die Hausbesetzer in Scharen, weil sie fanden, dass der FC St. Pauli genau in der Verfassung jender Jahre den Stadteil richtig repräsentierte. Und erfanden nebenbei eine Art spezielle Ultra-Methode des Supports. Dass der Piratentotenkopf, der ab 1982 über den Häusern der Hafenstraße wehte, zum Symbol des Clubs wurde, ist diesen neuen Fans zu verdanken. Genauso wie rasant anschwellendes Medieninteresse und eine Rückkehr vieler Hamburger zum FC St. Pauli, die Fußball haben wollten ohne die Lackschuhatmosphäre des HSV. Während der Dummspruch vom „Freudenhaus der Liga“ von Spochtrepochtern bereits um 1977 herum geprägt wurde, ist der Begriff „Kiez-Kicker“ eindeutig den mittleren Achtzigern zuzuordnen. Im legendären Torhüter Volker Ippig („Volker hört die Signale“) fand diese Entwicklung dann auch noch eine ewige Identifikationsfigur.

Von der Hausbesetzung zum Show-Geschäft
Ab jener Zeit war der FC St. Pauli nicht nur der Verein der Linken unter den Hamburger, sondern auch der Künstler und Kreativen. Gerade letztere verstanden es bestens, aus den vielen Etiketten und den historischen Tatsachen der Achtzigerjahre ein Image zu formen, das so kein anderer Verein der oberen drei Ligen besitzt. Aus den Nöten (Spielerkabinen im Kneipenhinterzimmer) wurden Tugenden gemacht; was die Hausbesetzer mitgebracht hatten, wurde symbolisch verbraten. Die Autonomen hatten sich in der Zeit schon weitestgehend vom FC St. Paul zurückgezogen, was aber bis heute geblieben ist: eine entschiedene Haltung von Verein und Fans gegen jede Form Rassismus und also gegen alle Neonazis sowie eine durch Taten belegte Selbstverantwortung im sozialen Bereich. Und das hält ja die inzwischen rechtsoffene Mitte der deutschen Fußballfanszene schon für linksextrem. Grund genug für Hools einiger Ostvereine, besonders von Hansa Rostock, die „linken Zecken“ bei jeder sich bietenden Gelegenheit gewalttätig anzugreifen.

Dabei kann spätestens seit der Regentschaft von Corny Littmann, dem Mogul des alternativen Entertainments, von „links“ als Etikett für den FC St. Pauli keine Rede sein. Es sei denn, man verstünde unter „links“ nichts anderes als „gegen rechts“. So blöd ist ja der deutsche Mittelmann, dass er Antifaschismus für eine linksradikale Erfindung hält. Weil aber dem FC St. Pauli und seine Fans eben nicht alles neben dem Platz am Arsch vorbeigeht, also auch Fragen von Ökologie und Entwicklungspolitik bewegt werden, sind der Verein und seine Anhängerschaft inzwischen zur Zielscheibe der „Unpolitischen“ geworden, die eben „nichts gegen Ausländer haben, aber…“. Inzwischen existiert, und davon konnte sich Ihr Ergebener gestern höchstpersönlich überzeugen, unter den rund 20.000 Paulianern, die den Spielen beiwohnen, eine bunte Mischung aus Menschen jeden Alters aus dem Viertel, Hamburger, die den HSV hassen, Leuten, die in den 80ern zum Verein gekommen sind und derselben Sorte Jungvolk, die überall als Ultras wirken.

Der Unterschied, der einen F95-Fan neidisch machen kann: Die Pauli-Fans behalten ihre übergroße Leidenschaft auch, wenn es der Mannschaft dreckig geht. Ihnen fehlt das manisch-depressive Element, das die Mehrheit der Fortuna-Anhänger prägt. Sie lieben ihren FC St. Pauli und gehen einfach immer hin. Manchmal trägt das den Club in die Erste Liga, mal kann es auch zum Abstieg in die Dritte Liga kommen. So ist eben das Leben. Und nach diesem Prinzip haben die Verantwortlichen auch das neue Millerntor-Stadion gebaut bzw. sind noch dabei. Die finanziellenm Risiken wurden minimiert, man nimmt sich Zeit, man setzt – übrigens auch beim Nachwuchs – auf echte Nachhaltigkeit.

Fortuna in den falschen Händen
Von alldem kann beim TSV Fortuna Düsseldorf momentan nicht mehr die Rede sein. Bis auf eine äußerst solide Finanzpolitik, die dem zuständigen Vorstand Paul Jäger sowie seinen Helfern im Aufsichtsrat geschuldet ist, läuft seit dem Abstieg aus der ersten Bundesliga fast alles schief. Es begann in der Fanszene mit dem Niedergang der Ultras und dem Auftauchen von Kräften, die unter dem Siegel des Unpolitischen allen vermeintlich Linken den Arsch versohlen wollten und dies teils auch getan haben und fand in der Verbannung der Dissidenti und dem Wegmobben von Kapo Niko seinen Höhepunkt. Das Ergebnis kann bei jedem Heimspiel beobachtet werden… Was dagegen am Millertor im Zusammenspiel zwischen Ultras und Fans aller Richtungen möglich ist, war gestern hör- und sichtbar.

Viel schlimmer aber der Stand des sportlichen Bereichs seit dem Abstieg. Es stehen dreieinhalb Trainerentlassungen zu Buche, dazu die sinnlose, völlig in die Hose gegangene Verpflichtung des LG Köstner; wir verzeichnen summasummarum den Abschied von neun talentierten Spielern aus dem eigenen Nachwuchs und die Verpflichtung von perspektivlosen Söldnern der Sorte Schmidtgal, Schmitz, Schauerte und Pinto. Hinzu kommen Leute wie Halloran und Pohjanpalo, deren Beziehung zum Fußball schon an der Frisur erkennt. Altgediente Recken wie Bodzeck, Fink, Bellinghausen und Lambertz müssen sich mit Spielern rumschlagen, die über den Tellerrand der eigenen Kurzkarriere nicht hinausgucken können, und bei den Torhütern hält man am altmodischsten Keeper der zweiten Liga zuungunsten eines Torwarts fest, der mehr kennt als seinen Fünfmeterraum und auch schonmal einen Abschlag zum eigenen Mann bringt.

Mit dieser miserablen Kader- und Trainerpolitik reißen die Verantwortlichen mit dem Arsch ein, was in den Jahren des dauerhaften Aufstiegs mühsam aufgebaut wurde. Dabei geht nicht nur das Engagement der Fans nach und nach flöten, sondern auch das Image des soliden Clubs, der sich den Weg aus der vierten in die ersten Liga hart und selbst erarbeitet hat und mit Freude und Bescheidenheit am Werke ist. Das muss JETZT gedreht werden. Der Aufsichtsrat ist aufgerufen und gefordert, den Sportvorstand Helmut Schulte schnellstmöglich rauszuschmeißen und auch der Ära Kalle ein baldiges Ende zu bereiten. Sonst wird die Fortuna ein gesichtsloser Verein mit unklarere Politik und verwaschenem Image wie so viele Traditionsvereine, die nach Höherem gestrebt haben, auch.

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