Eindeutiger Sieger des Abends war der „Satzungspisser“ Sebastian Schmidt-Volf, der auf ruhig-sachliche Art mit dem nötigen Schuss Charme und Humor durch die verschiedenen Anträge zur diesjährigen Mitgliederversammlung der glorreichen Fortuna führte. Dass es eine Satzungskommission – die besagten „Satzungspisser“ – gibt und in ihr auch noch Väter der Satzung von 2002 wirken, ist ein Segen für diesen Verein. Notabene: Geboren wurde die Satzung, wie der Kandidat für den Wahlausschuss und einer der Väter, Thomas Bollien, in seiner Rede ausführte, von Fans und Mitgliedern, die strukturelle Mängel als Ursache des schlimmen Niedergangs der Fortuna in den Jahren bis 2002/03 ausgemacht hatten. Es waren eben keine Vorstände, Bei-, Aufsichts- und sonstige Räte, die initiativ wurden, sondern Leute der Basis. Die damals mit kaum noch 2.000 Mitgliedern denkbar schmal war. Diese Satzungskommission ist allem Anschein nach das Gremium, das durchgehend sachlich vorgeht und mit allen, die Anträge stellen wollen, respektvoll umgeht. Dafür kann man den Mitglieder nicht genug danken. Nun ist ja heutzutage alles Event und irgendwie was mit Medien. Deshalb hatten vor allem die armen Schreibfinken der Lokalpresse versucht, den Krawall herbeizuschreiben.
Da konnte der große Populist Paul Jäger, der sich ja gern nach den Medien richtet und umgekehrt, nicht anders, als in seinem Rechenschaftsbericht des Vorstandes vorsorglich zu warnen: „Ich wünsche mir, dass wir durch unsere Mitgliederversammlung nicht bundesweit für Schlagzeilen sorgen. Das überlassen wir Schalke und dem HSV.“ Wobei dann seine etwas wirren Ausführungen außerhalb des reinen Zahlenwerks für einige Unruhe, für Buh-Rufe und Pfiffe sorgte. Ganz offensichtlich hatte der ewige Jäger mit erheblichem Tumult gerechnet. Dafür spricht auch sein zweiter Appell: „Wir können heute Abend über alles reden, aber bitte in einem anständigen Miteinander. Wir stellen uns gerne der Kritik; Angriffe und Intrigen unter der Gürtellinie – teils sogar anonym über die sozialen Medien geäußert – verachte ich.“ Auch das wieder nur Populismus, der von den Anwesenden, die irgendwie Angst vor diesem Internet haben, beklatscht wurde. Es ist ja mittlerweile ganz kleine Münze, das anonyme Mobbing und die Shitstürme auf Facebook für des Teufels zu halten, als ob es dergleichen früher nicht gegeben hätte. Man erinnere sich nur an die wirklich handfesten Beschimpfungen auch eigener Spieler und Funktionäre in den Zeiten des fast leeren Rheinstadions, wo anonym aus der Menge heraus aber öffentlich Schmähungen gerufen wurden.
Natürlich hatte der kommissarische Vorstandsvorsitzende seinen Vortrag auch wieder mit Witzchen angereichert, die dieses Mal aber nicht so recht zündeten. Wo er vor drei, vier Jahren noch Lacher auf Lacher erntete, sahen sich die Mitglieder auf den Stühlen im etwas zu prächtigen Saal des CCD teils betreten an. Später mehrten sich dann im Forum und draußen bei den Rauchern die Stimmen, die Jägers Rede für „leicht verwirrt“, „Konfus“, „total daneben“ hielten und der Meinung waren, er habe „unter massivem Druck gestanden“, „sich mit noch mehr Gruppen im Verein angelegt“ und „den Kontakt zur Basis verloren“. Lob oder Anerkennung gab es für den Vortrag nicht, der sich im wesentlichen aus Rechtfertigung in Sachen eingestandener Fehler, Nachtreten gegen die geschassten Vorstandskollegen Kall und Schulte und nicht konsenzfähige Positionen zusammensetzte. So argumentierte Paul Jäger, der/die/das RB Leipzig habe das Recht aufzusteigen wie jeder andere Verein, und die Leipziger freuten sich riesig, weil endlich was anderes als die Loser von VfB, Sachsen und Lok Leipzig – damit liegt er voll auf DFL-Linie. Allein das Projekt anzusehen wie einen „Verein“ zeigt seine aktuelle Realitätsferne. Völlig inakzeptabel dann seine Ausführungen zum finanziellen Ausblick. Um Fortuna langfristig in der ersten Bundesliga zu etablieren, müsse man in 100-Millionen-Etats denken. Mit 70-Millionen-Budgets wie aktuelle könne man bestenfalls zur Fahrstuhlmannschaft werden. Und die Deckungslücke gedenke er durch Kooperationen mit den Emiraten zu decken, die ja jetzt mit Tourismus statt Öl Kohle machten, und Düsseldorf wäre doch ein prima Partner, auch für die Airlines Emirates und Etihad. Da gab es nicht einmal mehr Pfiffe, sondern ungläubiges Kopfschütteln, und durch die Reihen ging der Spruch, dass der Jäger „jetzt wohl durchgeknallt sei“.
Bizzare Auftritte
Weil dieser Auftritt humorfrei, gequält und konfus daherkam, war sein Unterhaltungswert gering. Leider nahmen dann nicht wenige der rund 1.460 anwesenden Mitglieder dann den ersten Auftritt des Wolfgang F. als den ihnen zustehenden Entertainment-Part. Der LKA-Beamte wird schon seit Jahren bei JHVs regelmäßig durch wüste Auftritte und teils absurde Anträge auffällig, was gewisse Gruppen dazu nutzen, ihn anzufeuern, um den erwünchten Pausenclown zu haben. Dabei müsste man den Mann, der einen Vorgesetzen mit dem Satz „Ich stech dich ab“ bedroht hat und dafür strafrechtlich belangt wurde, einfach vor sich selbst schützen. In den vergangenen Jahren hat meist Paul Jäger im direkten Kontakt vom Podium aus schlichtend gewirkt, was F. aber offensichtlich in seinem Tun bestärkt hat. Aufsichtsratsvorsitzender Marcel Kronenberg verwarnte F., der wild in ein nicht eingeschaltetes Mikfron schrie, mehrfach bevor er ihn schließlich aus dem Saal entfernen ließ. Vor Beginn der Veranstaltung hatte F. bereits die Vorstände und Aufsichtsräte auf dem Podium teils derbe beleidigt und schien an diesem Abend kaum noch zu stoppen.
Bizarr auch der Auftritt des Ex-Vorstansmitglieds Hermann Tecklenburg, dem Bauunternehmer aus dem niederrheinischen Straelen, der sich dort eine Fußballmannschaft hält und auch schon mit nationalistischen Zeitungsanzeigen verhaltensauffällig geworden ist. In der Ausprache zum Bericht des Aufsichtsratsvorsitzenden probierte er vom Saalmikro aus ein Tribunal, das in der Frage gipfelte, ob Marcel Kronenberg glücklich gewesen sei, als der Ex-Vorstandsvorsitzende Peter Frymuth abgedankt habe. Die Antwort, ein schlichtes „Nö“, nahm dem Mann mit dem Spitznamen „Deoroller“ dann den Wind final aus den Segeln.
Die Mannschaft war der Star
Neben der Moderation der Anträge durch Schmidt-Volf gab es ein weiteres Highlight, das große Hoffnungen für die Zukunft macht. Auf Vorschlag von Trainer Frank Kramer nahmen die komplette Mannschaft und das komplette Funktionsteam an der Versammlung teil – eine ungewöhnliche Maßnahme, zumal nur zwei Tage vor einem Auswärtsspiel. Als die Truppe dann vor den Wahlen zum Wahlausschuss aus dem Saal auszog, gab es stehende Ovationen und laute „Fortuna! Fortuna!“-Anfeuerungen. Das beweist, dass sich die Mitgliedschaft und die Mehrheit der Fans in einem Punkt einig sind: Sportlich ist trotz des miesen Saisonstarts alles in Ordnung.
Die Wahlen zum Wahlausschuss verliefen unspektakulär, und das Ergebnis macht ebenfalls Hoffung, denn mit dem bereits erwähnten Thomas Bollien, dem im 95er-Forum aktiven Mauri Dell’Abate und dem Blindenbetreuer Uwe Mies ziehen drei Mitglieder zum verbleibenden Vorsitzenden Werner Sesterhenn und dem ebenfalls bleibenen Mitglied Christian Köker, die über ausreichend viel Vereins- und Menschenkenntnis verfügen und zudem unabhängig von den diversen Pressure-Groups im Club sind.
Die Ohnmacht der Medien
Kräftigst blamiert hat sich gestern ein Medienvertreter, der für die Rheinische Post einen Live-Ticker bestückte und dabei seine mangelhafte Kenntnis der Vereinsgeschichte und der handelnden Personen ein ums andere Mal öffentlich vorführte. Leider können Inkompetenzler wie dieser Herr Kleindienst und Schreibfinken wie der Herr Zschoche vom B-Blatt nicht einzeln ausgeschlossen werden. Wegen solcher Figuren wurde aber erneut Ausschluss der Presse beantragt; eine Mehrheit fand der Antrag nicht. Wäre auch sinnlos gewesen, weil bis auf zwei anwesende Medienvertreter alle selbst Mitglieder der Fortuna sind.
Beschworen wurde von allen die Einheit und der respektvolle Umgang – zwischen Fans und Mannschaft, Verein und Fans, Medien und Verein und überhaupt zwischen allem, was diesen Verein ausmacht. Hört man sich so manche Klage aus Kreisen der Vereinsmitglieder an, das sollte dieser Appell zunächst den Funktionsträgern und Verantwortlichen in den Ohren klingeln, sollten solche moralischen Aufforderungen nicht nur als Heuchelei zu werten sein. Außerdem sollten die Funktionsträger und Verantwortlichen immer wieder eindringlich auf das historische Verdienst der aktiven, organisierten Fans hingewiesen werden, die es waren, die den Verein in den dunklen Jahren am Leben erhalten haben – eben nicht die damaligen Funktionäre oder Promis der Stadt. Nur wenn diese geschichtliche Wahrheit endlich anerkannt wird, wird die gewünschte Einheit möglich sein.