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Nach der EM 2016: Der Fußball ist im Arsch

Liebe Leserin, lieber Leser, wenn ich euch mal so direkt ansprechen darf: Dies ist ein schwerer Moment für mich. Wie einige Trainer und Superstars erkläre auch ich hier und heute meinen Rücktritt vom internationalen Fußball. Weil: Wenn diese EM und die folgenden internationalen Meisterschaften eines beweisen, dann dass der Fußball nun endgültig im Arsch ist und nie wieder so sein wird wie früher. Und das auf allen Ebenen, aus denen dieser ehemalige Sport so besteht. Kaputtgemacht haben ihn die Raffgierigen, die Korrupten, die Medienmacher und diese ganzen Kreativfuzzis, die ihn für ihre Reklamezwecke missbraucht haben. Diese nichtswürdigen Existenzen haben dem Fußball alles genommen, was ihn über rund 80 Jahre ausgemacht hat. Immer mit dem Ziel sich noch ne goldene Nase zu verdienen und noch mehr Kohle rauszuschinden. Wie so viele Dinge, an denen Menschen hängen, hat das entfesselte turbokapitalistische Wirtschaftssystem auch den Fußball ausgepresst, um ihn demnächst fallenzulassen. Das ist keine Meinung, sondern eine Prophezeiung. Ihr werdet schon sehen.

Die spochtliche Ebene

Die Protagonisten des modernen Fußballs auf spochtlicher Ebene sind vor allem dumm. Oder nicht lernfähig. Sie haben es nicht nur zugelassen, sondern befördert, dass das Spiel immer schneller und athletischer geworden ist, sodass jede Mannschaft, deren Geschwindigkeits- und Kraftprofil auch nur geringfügig flacher ist als das des Gegners, mit allem, was sie hat und kann, auf Torvermeidung setzen wird. Gleichzeitig haben sich die Systeme der Defensive so dermaßen schnell weiterentwickelt, dass ein Team mit hoher Defensivleistung am Ende immer gewinnen wird. Das erste Extrembeispiel dafür war das Endspiel im „Finale dahoam“ im Jahr 2012, das der FC Chelsea gegen die Bayern auf Basis einer geradezu irrwitzig disziplinierten Abwehrleistung nicht verlor und im Elferknallen gewann.

Auch der frischgekürte Europameister Portugal war letztlich fast unüberwindbar, und das 3:3 gegen Ungarn war die Ausnahme, durch die sich die Regel bestätigt. Wenn ballsichere, schnelle und kräftige Verteidiger über 90 oder gar 120 Minuten die Konzentration halten und diszipliniert ihre Aufgaben erfüllen, kann ein offensiv ausgerichtetes Team so gut wie nichts mehr ausrichten. Das ist sportlich hochinteressant, für Zuschauer aber, die sich das wünschen, was die verblödeten Sprechpuppen im Fernsehn meist „Spektakel“ nennen, erheblich enttäuschend und langweilig. Besonders bei Nationalwettbewerben, bei denen das Publikum vorwiegend aus Soccer-Legasthenikern besteht. Als Fan eines Clubs hält man sowas aus, weil man eben nicht immer „rauschende Fußballfeste“ (noch so eine mediale Hohlfritte) erwartet und weil man im Laufe eines Fanlebens dann doch so viel Sachverstand angesammelt hat, auch defensive Glanzleistungen würdigen zu können.

Warum aber sind die Protagonisten dumm? Weil sie es geschehen lassen und weil sie nie über den Tellerrand ihres Fußballblicken – zum Beispiel hinüber zu den US-Profisportarten. Dort ändert man die Regeln, wenn das Spiel an sich droht, öde zu werden. Eine derart einschläfernde Veranstaltung wie die UEFA Euro 2016 würden den Machern der NFL beispielsweise keine zweimal passieren. Im Fußball aber wird nicht einmal analysiert, woran die Verödung des Spiels liegt. Immer mal wieder steht ein Ex (also ehemaliger Profi, Trainer oder Schiri) auf und fordert z.B. die Abschaffung der Abseitsregel. Stattdessen führt man nach gefühlten 100 Jahren die bescheuerte Torlinientechnik ein. Anstatt Fouls an angreifenden Spielern deutlich früher und härter zu bestrafen, streicht man in Turnieren zwischendurch mal die gelben Karten.

Die Prognose: Nationalfußball wird noch viel, viel, viel langweiliger werden. Es wird in den K.O.-Phasen noch viel, viel mehr Verlängerungen und Elfmeterschießen geben. Und so treibt man die Zuschauer, die sich alle zwei Jahre für Fußball interessieren, ganz schnell wieder raus aus den Stadien, den Fanmeilen und auch weg vom Fernseher.

Die kommerzielle Ebene

Der nachweisbar korrupte Monsieur Platini trägt ja nicht nur die Schuld am völlig bescheuerten Modus der EM 2016, an der völlig bescheuerten Vergabe der EM 2020 an dreizehn Länder und an der völlig bescheuerten Nations-League, sondern auch an der Beruhigungstablette namens „Financial Fairplay“. Okay, wie kann auch jemand, der im persönlichen Finanzbereich unfair spielt, so etwas durchsetzen? Auch das ehemalige Spielergenie hätte sich mal im US-Sport umschauen sollen. Vielleicht wären ihm dann solche tollen Einrichtungen wie die Salary Cap und das Drafting-System aufgefallen. Beides Dinge, die in der Lage wären, den europäischen Profifußball zu retten. Denn wenn die Schere zwischen Extremverdienern und Ballsklaven, zwischen Milliarden-Umsatz-Clubs und armen Schluckern noch größer wird, wird sich der Ligenfußball wie wir ihn kennen, zwangsweise auflösen.

Auch weil den Ligen irgendwann das Publikum wegläuft. Wenn es beispielsweise in der Bundesliga nur noch darum geht, wie viele Titel die FC Bayern AG pro Saison einfährt, und wenn in Frankreich PSG einen Gesamtetat pro Jahr hat, der doppelt so hoch ist wie die summierten Budgets der unteren Tabellenhälfte, dann wird’s langweilig. Man wird in der kommenden Saison erleben, in welchem Maße die Meisterschaft von Leicester City, dem krassen Außenseiter, das Interesse an der Premier League beflügeln wird. Und man wird erleben, dass die superreichen Teams aus London, Manchester und Liverpool drastisch aufrüsten, um den Titel dann wieder unter sich auszumachen. Dieses gegenseitige Wettrüsten führt vor allem zu absurden Ablösesummen – und das macht das altehrwürdige System Fußball kaputt. Die Kumulation von hochtalentierten Spielern und das Zusammenkaufen von Ersatzspielern, die woanders Topstars wären, entzieht dem Fußball mittelfristig die Qualität, weil immer mehr extrem gute Kicker immer öfter auf Ersatzbänken versauern werden.

Ein europaweites Drafting-System könnte die Lösung sein. Alle Spieler, die keinen Platz mehr in ihrem Verein haben – z.B. wegen eines Trainer- und Systemwechselns – sowie alle ablösefreien Kicker landen in einem Pool und werden innerhalb ihrer Position gerankt. Je nach dem Abschneiden in der Vorsaison haben die Loser das Recht der ersten Wahl. Wäre z.B. Toni Kroos ablösefrei und Nummer 1 auf der Position des Sechsers, könnten ihn der SC Freiburg verpflichten. Wenn er denn ins Konzept passt. Das nur mal als Anregung…

Die mediale Ebene

Die Gier macht alles kaputt. Auch den Fußball. Warum müssen denn nun 24 Teams bei der EM antreten? Offiziell damit auch die „schwächeren“ Länder mittun dürfen. In Wahrheit aber, damit die fürchterliche UEFA noch mehr Schotter aus den TV-Rechten schneiden kann. Mehr Teams spielen mehr Spiele, mehr Spiele im Fernsehen führen zu höheren TV-Einnahmen. Nur darum geht’s. Warum aber sind die Sender bereit, inzwischen wirklich astronomische Summen für solche Rechte auszugeben? Weil Fußball derzeit beinahe die letzte Möglichkeit ist, noch ernsthaft dicke Quoten zu generieren.

Denn das lineare Fernsehn ist jetzt schon so im Arsch wie es der Fußball demnächst auch sein wird. Sich vor die Glotze zu hocken und sich ins Hirn schießen zu lassen, was die öffentlich-rechtlichen und die Privatversender gerade vorsetzen, ist was für Omi und Opi und die abgehängten Systemverlierer. Wer halbwegs bei Verstand ist und die Entwicklung der Medien mitgekriegt hat, guckt was er will wann er will auf dem gerade verfügbaren Gerät. Und wenn dann nochmal was in der Kiste läuft, was einen interessiert, dann zeichnet der Smart-TV das auf oder man schaut es sich in der Mediathek an. Für das System des werbefinanzierten Sendens ist das verheerend, weil sich die Quoten atomisieren und man im Streaming nicht dieselben Werbeformen fahren kann wie im linearen Fernsehen.

Einzige Ausnahme sind Live-Events. Weil die aufgezeichnet oder aus der Mediathek gestreamt ihren eigentlichen Charme verlieren. Nun hat man Otto und Anneliese Normalglotzer ja schon vor etlichen Jahren eingebläut, dass Fußballspiele DIE Live-Events sind, dass man dabei sein muss, dass man da Emotionen kriegen und sich den Arsch zusaufen kann. Angefangen hat das übrigens schon mit der ersten WMimEigenenLand 1974, das bei Spielen mit bundesdeutscher Beteiligung erstmals bis zu knapp 90 Prozent der deutschen TV-Gucker vor die Kiste holte. Noch bei der WM 1990 waren beim kleinen Rudelguck bei Verwandten, Freunden, in der Kneipe oder vor dem Schaufenster eines Radio-Fernseh-Fachgeschäfts die Fußballnarren wieder weitgehend unter sich. Die zweite WMimEigenenLand 2006 wurde dann von vornherein auf maximale Quoten hin gestreamlined – der auch nicht ganz unkorrupte Kaiser machte den Medienstar im Helikopter, und die Sender klebten erstmals flächendeckend Plakate, um für ihre Fußballübertragungen zu werben.

Die Versender BRAUCHEN den Live-Fußball! Und sie brauchen viel davon, um irgendwie dann doch noch Firmen zu finden, die rund um diese Übertragungen Spots buchen. Daraus ist 2006 erstmals ein Perpetuum Mobile geworden: Firmen machen mit der jeweiligen WM oder EM pseudo-emotionale Reklame, die eben auch in Form von Werbespots bei den Spielen stattfindet, um ihre Konsumenten so zu emotionalisieren, dass sie sich die Spiele in der Glotze zu Gemüte führen und sie so die Werbung aufnehmen.

Die Gefühlsebene

Vorsicht, liebe Fußballfreunde, jetzt wird’s widerlich. Jetzt geht es an das, was euch den Fußball so wichtig machte: die Emotionen. Wer Fan ist, wem also aus familiären oder zufälligen Gründen eine Mannschaft zugefallen ist, an der man hängt, die man vielleicht sogar liebt, der weiß, welche Ereignisse welche starken Gefühle auslösen können. Wahre Fans wissen auch, dass nicht jeder Furz zu Emotionen führt, ja, dass nicht einmal jede Verlängerung ein „Krimi“ ist und nicht jedes Elfmeterschießen ein „Drama“. Menschen dieser Art wissen auch, dass sich die starken Emotionen so richtig auch nur bei der Mannschaft des Herzens einstellt, also beim Verein, zu dem man steht, den man durch alle Umstände und Zustände unterstützt, dem man folgt, mit dem man auf- und auch wieder absteigt.

Immer schon gab es auch Leute, die eine derartige Bindung auch an die jeweilige DFB-Auswahl hatten, die quasi so etwas Ähnliches wie „Fans der Nationalmannschaft“ waren. Für Menschen, die einem Verein ohne Wenn und Aber anhängen, ist das immer schon schwer vorstellbar gewesen. Wieso soll ich als Fan vom FC Schalke jetzt plötzlich einem Torwart Neuer im Tor der DFB-Auswahl zujubeln, den ich wegen seines charakterlosen Wechselns zu den Bayern noch vor nicht allzu langer Zeit eine „Nutte“ genannt habe? Fan der Bundesmannschaft ist man immer auch aus politischen Gründen, weil man sich als Patriot sieht, der sein Heimatland sieht und die jeweilige Nationalmannschaft als Repräsentant dieses Landes. Das hat gerade in der Bundesrepublik eine Tradition, die bis 1954 zurückreicht und eigentlich immer lebendig war. Auch darauf setzten die medialen Macher der WM 2006, dass patriotisches Fühlen und zeigen der zugehörigen Flagge auch für Deutsche völlig okay sind. Leider gilt ja die Formel: Patriotismus + Chauvinismus = Nationalismus. Und Chauvinismus können deutsche Fußballfans besser als alle Anhänger anderer Nationalauswahlen.

Bei der soeben im Sande verlaufenen EM 2016 waren es NUR Fans der DFB-Auswahl, die während eines Spiels die Insassen einer anderen Nation durch Sprechchöre beleidigten. Minutenlang schallte es „Scheiß-Italiener“ durchs Stadion, und zuhause schämte man sich als Inhaber eines bundesdeutschen Personalausweises heftig. Nicht einmal die nationalistischen Schläger der Russen haben sich so etwas geleistet… Wenn man also patriotische Emotionen systematisch schürt, muss man sich bei deutschen Fans nicht wundern, wenn dumpfer Nationalismus entsteht. Den Geschäfte- und den Medienmacher ist das wurscht, denn die wollen Emotionen um jeden Preis. Ist der Mensch in Emotionen gefangen, wird er zum wehrlosen Konsument, und genau da wollen sie ihn auch hinhaben, den bundesdeutschen Quartalsfans, der alle zwei Jahre plötzlich ganz doller Fußballfanatiker bzw. dolle -fanatikerin wird.

Die politische Ebene

Kaum jemand zweifelt noch daran, dass die FIFA WM 2018 in Russland dem Nationalfußball in vieler Hinsicht den Todesstoß versetzen wird. Und zwar unabhängig davon, was sich zwischenzeitlich noch an geopolitischen Verwicklungen ergibt. Im englischen Fußballverband hat es erste Stimmen gegeben, die über einen Boykott nachdenken, weil das offizielle Russland Homosexuelle massivst diskriminiert, verfolgt und malträtiert. In Skandinavien haben sich Schwulen-und-Lesben-Verbände schon in dieser Richtung geäußert. Selbst unter extremsten Fans der DFB-Auswahl, die „Die Mannschaft“ überall hin begleiten, verbreiten sich Sicherheitsbedenken, denn kein einziger ausländischer Fan wird sich im Putin-Reich frei bewegen können, und ob die Ordnungsmacht in der Lage sein wird, auswärtige Schlachtenbummler vor den extremst gewalttätigen Hools zu schützen, darf bezweifelt werden. Bestenfalls wird die WM 2018 eine Propagandaveranstaltung à la Nazi-Olympia 1936. Schlimmstenfalls werden wir – so wir denn überhaupt noch daran interessiert sind – Korruption auf allen Ebenen erleben.

Weiter: Verbände, die ihre Teams zur Sklaven-WM nach Katar schicken, beamen sich damit aus dem Kreis der Anständigen. Etwas anderes als ein Boykott dieser widerlichen Veranstaltung MUSS zu Aufständen derjenigen führen, für die der Fußball auch eine gesellschaftliche Komponente hat. Und diese völlig irre EM, die auf eine Weise fanfeindlich ist, dass es an Realsatire erinnert, wird nicht einmal mehr medial zum Quotenreißer taugen.

Mein Entschluss

Das alles bringt mich zu dem Schluss, diese Scheiße einfach nicht mehr mitzumachen. Ich kündige, ich hau in den Sack, ich mach mich vom Acker. WM und EM? Ohne mich. Und deshalb wird es den Fußballexperten Jurs Trulie auch auf The Düsseldorfer ab sofort nicht mehr geben. Vielen Danke, liebe Leserin, lieber Leser, für eure Aufmerksamkeit.

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