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Fortuna-Punkte 2016/17: Eine Romantica Tradizionale mit doppelt Käse

Wir haben uns das Spiel gestern in der kleinen Pizzeria am Ende der Straße angeguckt. Wir, das waren Ingo – ja, der aus Block 3 -, mein alter Kumpel Ralph und ich. Bei Luigi läuft Sky, aber er hat gar kein Sky. Wenn du weißt, was ich meine. Deshalb war sein Laden auch geschlossen. Also, fast. Denn wer so richtig Hunger auf Pizza hatte, wurde reingelassen. Also war das Ristorante mittags knallvoll, und Bruno, der Mann am Ofen, hatte alle Hände voll zu tun. Kurz vor der Pause kam einer rein und fragte: „Wie steht’s?“ Es war der Cheffe persönlich, der antwortete: „Führt führt.“ Ralph kriegte sich gar nicht mehr ein vor Lachen – Deutsch sei ja wohl eine völlig bescheuerte Sprache. „Na ja,“ sagte Ingo, „hätte Fürth das Tor ganz am Anfang gemacht, hätte man sagen können: Fürth führt früh…“

So hatten wir dann trotz dieses wirklich hässlichen Fußballspiels unseren Spaß. Und natürlich Pizzen mit doppelt Käse. Spezialität bei Luigi ist nämlich eine normale Pizza, die zuletzt mit einem ziemlich kräftigen Käse überbacken wird, sowas wie Cheddar. Ralph fand das awesome und bestellte eine zweite Torte. Da hatte er aber auch schon fünf Wassergläser von Luigis Hauswein intus, einem Getränk, von dem man nicht wissen möchte, wie es auf die Welt kommt. Nun sind Brits an Wein nicht gewöhnt und reagieren merkwürdig. Bei meinem Kumpel führte das dazu, dass er von Ingo Deutsch lernen wollte – here and now! Chimp ist keiner, dem man was abschlägt.

Pizza Tradizionale

„Okay,“ sagte Ingo, „du sagst mir ein deutsches Wort, das du kennst. Und ich übersetz es dir.“ Ralph nickte langsam und bestellte ein Bier. Gina, Brunos fette Tochter, brachte drei Gläser Rotwein. Der stark angeschlagene Kerl zeigte auf das Schild über der Theke: Pizza Tradizionale. Bevor Ingo noch erklären konnte, dass es sich um kein deutsches Wort handelt, mischte sich Luigi ein. „Dasse heißte, dasse wire dasse immere skon so gemachte abbe.“ Musste dann doch übersetzt werden. „What the fuck,“ setzte Ralph mit schwerer Zunge an (ab hier übersetze ich), „ist denn gut daran, was so zu machen wie man es immer gemacht hat?“ Inzwischen war Pause in Fürth, und Bruno hatte auf einen italienischen Bezahlsender umgeschaltet, wo Fußball lief. Ich hielt mich raus, aber Ingo – Fortuna-Fan seit seinem fünften Geburtstag, und der liegt schon ein paar Jahrzehnte zurück – musste es rauslassen: „Wenn etwas Tradition hat, dann hat es sich bewährt. Also, das Überleben ist schon was wert. Und wenn etwas eine Zeit lang gut war und man es nicht ändert, dann ist es traditionell.“ Luigi klatschte in die Hände: „So isse esse!“ Und ließ Gina Averna auf Eis bringen.

Irgendwie, dachte ich bei mir, passt das aber nicht zu der Diskussion um Traditionsvereine. Ist ein Club wie Fortuna gut, weil er überlebt hat? Ist es ein Verdienst, schon so alt zu sein? Und wem gehört dieser Verdienst? Ist der FC aus Köln weniger wert, weil er erst nach dem Krieg gegründet wurde? Ist die Spielvereinigung Greuther Fürth, die – das hab ich von Ingo gelernt – zu den traditionellsten Traditionsvereinen in Deutschland gehört, mehr wert, weil sie vor 1930 schon dreimal Meister war? Und wieviel sind diese ganzen deutschen Pipivereine wert im Vergleich zu den englischen Fußballclubs wie Preston North End, der schon 1889 englischer Meister waren. Also bevor die Fortuna überhaupt gegründet wurde. Aber dann sagte Ingo ein Zitat, das diese Gedanken umwarf: „Tradition ist Bewahrung des Feuers und nicht Anbetung der Asche.“

Ich übersetzte, Ralph nickte und nuschelte bloß: „Keep the fire burning.“ Nun haben aber alle Traditionen mal bei Null angefangen. Außerdem kann ja keiner sagen, ab welchem Zeitpunkt genau etwas zur Tradition wird. Es muss da wohl zündende Ereignisse gebe. Vielleicht war der Beginn der Fortuna ja die 1:5-Niederlage gegen den späteren Meister Fürth am 16. Juni 1929. Denn dass F95 überhaupt im Achtelfinale stand, war ja der bis dahin größte Erfolg der Vereinsgeschichte.

Romantisches San Lorenzo

The Chimp hatte mittlerweile von Gina drei doppelte Espresso eingeflößt gekriegt und schien sehr verliebt in das schwere Mädchen. Da fiel sein Blick auf ein Plakat, mit dem für ein gewisses San Lorenzo Reklame gemacht wurde. Er deutete auf das Wort „Romantico“. Da konnte ich helfen und erklärte ihm, dass das fast dasselbe sei wie im Englischen der Begriff „romantic“. Sein Gesicht hellte sich auf, weil er natürlich sofort an „Romance“ dachte und an heiße Nächte mit Gina. Aber da grätschte Ingo dazwischen: „Romantik ist im Deutschen meist gar nicht positiv gemeint.“ Es gebe da eine Gruppe von Fans beim FC St.Pauli, die würden sich selbst „Sozialromantiker“ nennen, weil sie dafür plädieren, die Tradition zu bewahren und ihren Verein nicht zu einer Company zu machen.

Ah, dachte ich, das haben wir ja neulich im Block 3 diskutiert, dass die Macher bei Fortuna inzwischen auch schon über die „Scheißromantiker“ schimpfen, wenn altgediente Fans sich gegen die rasende Professionalisierung sperren. Ja, „Romantiker“ ist wohl ein deutsches Schimpfwort. Aber damit ist es nicht so weit weg von dem was „romantic“ im Englischen bedeutet. Man ist romantic, wenn man etwas beschreibt, was frei von Fakten ist, unrealistisch, unpraktisch, träumerisch. Auch wenn wir das in England nie so gehabt haben: Mir wurde klar, wo im Fußball die Grenze verläuft. Zwischen den Fans, die den Fußball und ihren Verein lieben (egal was kommt), und den Machern, denen der Fußball mehr oder weniger wurst ist und die nichts anderes lieben als ihren persönlichen Erfolg.

Zurück zur Realität

Inzwischen hatte unsere Fortuna zwei 100%-Chancen. Und schlaffte wieder ab. Ralph schlief mit den irre langen Armen verschränkt auf dem Tisch, und Ingo fluchte in einer Tour halblaut vor sich hin. Dann der Abpfiff. Luigi baute sich vor uns auf: „Wasse wollte ihre? Dasse hatte doche bei Fortuna Tradizione!“

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