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Fortuna-Punkte 16/17: Familie, Verein, Firma? – Hauptsache Fußball

In der vergangenen Woche verlautbarte der TSV Fortuna Düsseldorf e.V., dass der aktuelle Finanzvorstand Paul Jäger sein Amt einem Nachfolger übergeben möchte, den er persönlich einzuarbeiten gedenke. Er selbst werde dann in anderer Funktion weiter bei der Fortuna wirken und die Leitung der Abteilung CSR (Corporate Social Responsibility) übernehmen. Wie nicht anders zu erwarten versuchten die üblichen Krawallmacher der Lokalmedien eine Verschwörungstheorie zu basteln. Das wäre nicht nötig gewesen, denn dafür sorgt eine gewisse Gruppe innerhalb der Düsseldorfer Fanszene schon selbst.

Manche sagen, die Wortführer dieser Verschwörungstheoretiker arbeiteten so ihren persönlichen Frust daran ab, dass der aktuelle Aufsichtsratsvorsitzende und der amtierende Vorstandsvorsitzende nicht genug auf sie hören. Einzelne Personen haben den Führungsfiguren der Fortuna in der Vergangenheit ihre Unterstützung und ihr Know-how angeboten – vor allem in Gestalt einer Vielzahl länglicher Mails an Dr. Reinhold Ernst und Robert Schäfer. Dieses Duo, das nach Ansicht der Verschwörungsfreunde skrupellos die Fäden zieht und dabei das Erbe der glorreichen Fortuna zerstört, wird verschwörerisch “ES” genannt und in etwa so behandelt wie Bundeskanzlerin Merkel von den besorgten Bürgern. Überhaupt haben die Protagonisten der Anti-ES-Front, die sich vor allem im Fortuna-Fan-Forum und auf den einschlägigen Facebook-Seiten äußern, nicht wenig Ähnlichkeit mit den Wutbürgern.

Die Ganz Große Verschwörungstheorie

Wie diese greifen sie ES und ihre Bagage als Eliten an, die vom Volk völlig abgehoben agieren. Gern wird der Ausdruck “Teppichetage” verwendet, der ein “Ihr da oben, wir hier unten” symbolisieren soll. Den erfolgreichen Wirtschaftsanwalt Ernst zum eiskalten Macher zu stilisieren, dem nur am wirtschaftlichen Erfolg gelegen ist, bietet sich natürlich an. Dass er bei seinem knallharten Durchziehen eines nie transparent gemachten Konzepts keine Gnade kennt, wissen Leute, die in ihrem Leben nie mit dem brutalen Geschäft der Mergers & Aquisitions etc. zu tun hatten, ganz genau. Und dann noch der von außen(!) geholte Vorstandsvorsitzende, frei von jedem Stallgeruch und ohne Lobby im Verein: Dabei kann es sich natürlich nur um einen gewissenlosen Karrieristen handeln, für den die liebe Fortuna lediglich eine Durchgangsstation ist. Klar, dass der versucht, alle Macht im Verein auf sich zu vereinen.

Und nun haben ES den guten Paule weggemobbt – so die Verschwörungstheorie. Das wird teilweise von denselben Personen beweint, die noch vor wenigen Monaten “den ewigen Jäger” zum Teufel gewünscht haben. Im Sinne alternativer Fakten sieht die Sache für die Verschwörungs-Fans nämlich so aus. Gleich nach seiner Landung auf dem Chefsessel hat der brutale Schäfer den lieben Paul Jäger kaltgestellt und ihm einen Maulkorb verpasst. Seitdem hat man ja vom früheren Großmaul nichts mehr gehört. Weil Paule aber über jede Menge Geheimwissen verfügt und Dutzende Dossiers angelegt hat, hat es eine Weile gedauert bis ES den Dreh gefunden haben, Mister Fortuna loszuwerden. Jetzt muss noch Sven Mühlenbeck weg, und dann können ES sich einen Vorstand nach eigenen Vorstellungen basteln. Schuld daran, dass das alles so klappt, sind die feigen Aufsichtsräte, die den bösen Ernst nicht an seinem Tun hindern. Soweit also die Verschwörungstheorie.

Kollege Jolitz von der RP holte den Drachen ein bisschen vom Himmel, indem er einfach mal die Fakten zur Causa Jäger darstellte. Und schon war er Lügenpresse, während Schreibfinken vom EXZESS und von der BLÖD als Enthüllungsjournalisten gefeiert wurden. Wurden sie das? In Wahrheit nicht, weil alle, die nicht ganz tief im ES-Verschwörungssumpf versunken waren, sich Gedanken machten und erkannten, dass es den Boulevard-Burschen – wie meistens – nur um Krawall ging. Friede, Freude, Eierkuchen bei der launischen Diva, also? Mitnichten, weil das Ausscheiden von Paul Jäger aus dem Vorstand, wann auch immer das genau passieren wird, eine Zäsur in der jüngeren Vereinsgeschichte markieren wird, die höchstens noch mit dem Übergang von Präsi Helge Achenbach zu Michael Steffes-holländer und die darauffolgende Satzungsreform vergleichbar ist.

Der aktuelle Zustand des deutschen Fußballbetriebs

Bevor wir uns anschauen, in welche Phase der TSV Fortuna Düsseldorf dann eintritt, müssen wir einen Blick auf den aktuellen Zustand des deutschen Profifußballs werfen. Denn der hat einen Übergang längst hinter sich, der F95 bevorsteht. Rückblickend hat der besagte Fußball quer durch alle Clubs drei Phasen durchlaufen, die sich je nach Lage miteinander schmerzhaft vermischen: Familie, Verein, Firma. Alle den aktiven Fans quer durchs Land verhassten Teams der ersten Bundesliga sind längst vollständig in der Phase “Firma” angekommen. Gebilde wie der FC Bayern München, BV Borussia Dortmund, RB Leipzig und weitere zwei, drei Teilnehmer sind sogar schon weiter und müssen als “Unternehmen” oder – wie im Fall des FCB – als “Konzerne” gesehen werden. Bei Fußball-Firmen steht der wirtschaftliche Erfolg – wie in jedem Unternehmen – über allem. Da kann das Ziel nur heißen: Wachstum und steigende Profite. Sport ist Nebensache, und im Zweifel werden Maßnahmen getroffen, die mehr Umsatz bringen, aber dem sportlichen Erfolg schaden.

Nun gibt es ja unter den Organisationen, die man gemeinhin “Firmen” nennt, auch außerhalb des Soccer-Business’ erhebliche Unterschiede. Kennzeichnend für die stabilen und/oder erfolgreichen Fußball-Firmen sind effiziente Strukturen, die personell von Profis und Experten ausgefüllt werden. Manchmal entstehen die – wie beim 1. FC Köln mit dem Eintritt von Jörg Schmadtke – in kürzester Zeit. Manchmal brauchen die Clubs ein paar Jahre und Umwege, um diesen Status zu erreichen. Besonders interessant sind dann Organisationen wie der SC Freiburg, der quasi den Status eines Familienunternehmens erreicht hat und bewahrt.

Die Unternehmifizierung des deutschen Fußballs

Die Vorstufe zur Unternehmifizierung des deutschen Fußballs war die Professionalisierung der Vereine. Laut Definition ist ein Verein gemeinnützig, das Erzielen von Profiten ist ihm nur in sehr engen Grenzen erlaubt, und er darf den wirtschaftlichen Erfolg nicht als Vereinszweck ausgeben. Es war der FC Bayern München unter Schlitzohr Hoeness, der diese gesetzlichen Regeln schon sehr früh mit jeder Menge Tricks und massiver Unterstützung bayerischer Politiker umgangen hat. Man kann auch sagen: Beim FCB hat der Ulli das kriminell Wirtschaften schon mal eingeübt. Bei allen anderen rund 80 Clubs, die seit Gründung der Fußballbundesliga durch die obersten drei, vier Etagen gegangen sind, stand nach der Einführung des Lizenzspielerstatus immer der sportliche Erfolg im Vordergrund. Es ging darum, aufzusteigen bzw. nicht abzusteigen, Meister zu werden oder Pokalsieger und dann möglichst weit zu kommen im Europapokal.

Alle Maßnahmen – wie wir wissen einschließlich massiver Korruption – zielten auf ebendiesen sportlichen Erfolg. Das Bosman-Urteil aber öffnete eine Pandora-Dose. Waren zuvor Spielergehälter und Ablösesummen durch die “Ausländerregel” de facto gedeckelt, konnte nun jeder Sportvorstand Superkicker nach Lust und Laune einkaufen. Was uns heute rund um diesen ganzen Transferwahnsinn völlig normal vorkommt, fand vorher so gut wie nicht statt. Jean-Marc Bosman war einer der ersten Profis, die sich selbst als Ware verstanden und von ihrem Warenwert persönlich profitieren wollten. Schon in der Saison 1996/97, der zweiten nach dem Urteil, explodierte das bis dahin gut 35 Jahre stabil funktionierende System, und die Vereine mussten plötzlich mit extremen Summen hantieren. Was also für Spieler in Form von Gehältern, Prämien und Ablösen ausgegeben wurde, musste irgendwie gegenfinanziert werden. Plötzlich brauchten die Clubs begabte Finanzjongleure, um nicht abgehängt zu werden.

Der Fußballclub als Familie

Und dann gab und gibt es noch den Status “Familie”, den ein am höheren Ligabetrieb teilnehmender Club innehaben kann. Der ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass für die Insassen (Mitglieder, Fans, Mitarbeiter) weder der sportliche, noch der wirtschaftliche Erfolg im Mittelpunkt steht, sondern … der soziale Zusammenhalt, der Erhalt der Identität, kurz: die Vereinskultur. Und jetzt kommt’s: Die glorreiche Fortuna, der Deutschen Meister von 1933, die launische Diva befindet sich vermutlich gerade im direkten Übergang vom Dasein als Familie in die Existenz als Firma. Und wie immer, wenn Wandlungen sich rasant, ja, abrupt vollziehen, gibt es viele Menschen, die darunter leiden. Besonders dann, wenn sich das geliebte Kuschlig-Warme zugunsten einer eher nüchternen Kühle verzieht.

Die Figur Paul Jäger steht wie kaum eine zweite im deutschen Fußball nach Bosman für das Geschick, die Fortuna als Familie zusammenzuhalten, ohne von den vorbeieilenden Konkurrenten ganz ausgeschaltet zu werden. Eines der größten Wunder des Fußballs der Nuller-Jahren waren die drei Aufstiege der Fortuna, für die – denkt man in den Kategorien des grassierenden Soccer-Business’ – gar nichts sprach. Der Verein TSV Fortuna Düsseldorf wurde nach dem Absturz ab 2002 sukzessive mit Bordmitteln durch Mitglieder und Fans wieder funktionsfähig und sportlich erfolgreich gemacht. Das zeitweise Rumhantieren des 2008 verstorbenen OB Joachim Erwin kann da nur als Fußnote betrachtet werden. Dass die F95-Familie auch größere Schwierigkeiten meistern konnte, zeigte sich an der Abwehr des Putschversuches 2009 und der folgenden Konsolidierung unter dem Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. Dirk Kall, die im völlig unerwarteten Aufstieg in die Erste Liga im Mai 2012 gipfelte.

Die entscheidenden F95-Figuren der letzten Jahre

In den Jahren des Steigflugs gab es an Bord der Fortuna drei entscheidende Figuren und eine Truppe von weiteren drei, vier Dutzend Leuten, die vieles richtigmachten und dabei den Familienstatus nicht gefährdeten. Beginnen muss man mit dem verstorbenen Charly Meyer, der den Vorstandsposten übernahm, als den keiner wollte und den neuen F95-Spirit befeuerte. Peter Frymuth war es, der die Nickeligkeiten zwischen den widerstreitenden Grüppchen jederzeit kühlen und der auf seine ruhige, sachliche Art Konflikte beilegen konnte, bevor sie ausbrachen. Und eben Paul Jäger, der lange “nur” als Geschäftsführer amtierte (was er heute immer noch ist), dann aber in den Vorstand aufrückte und gern Vorstandsvorsitzender geworden wäre. Leider entblödete der damalige Aufsichtsrat sich nicht, ihren Vorsitzenden Kall auf den Posten eines – erstmal hauptamtlichen und gut bezahlten – Vorstandsvorsitzenden zu hieven, wo dieser gnadenlos scheiterte.

Dass Jäger nicht Nachfolger von Kall wurde, ist die Wurzel der eingangs geschilderten Verschwörungstheorie. Den als VV zu verhindern, so die Theorie, wollte Dr. Ernst um jeden Preis verhindern, um den ihm angedichtete Machtwillen nicht mit jemanden teilen zu müssen, der mit ihm nicht gut kann und mag. Wenn wir nun aber ernstnehmen, was Paul Jäger selbst zur Veränderung seines Status in der Fortuna sagt, dann stellt sich die Geschichte ganz anders da. Denn dann sehen wir einen Mann, einen hochemotionalen Typ, der gut 35 Jahre lang Herz und Magen für die Fortuna eingesetzt hat, der immer an die Existenz der Fortuna-Familie geglaubt und dabei viel, viel Kraft gelassen hat. Vielleicht hat Paule aber auch erkannt, dass der Übergang der Fortuna von der Familie zur Firma mit seinen speziellen Verhaltensmustern im Wege stünde.

Da bleiben drei zentrale Fragen im Raum, die sich vermutlich erst zur nächsten Jahresmitgliederversammlung klären lassen. Erstens: Wollen die Fortunen (Mitglieder, Fans, Mitarbeiter) überhaupt, dass aus F95 etwas Anderes wird als eine Familie? Zweitens: Ist Robert Schäfer mit seinen zunehmenden sichtbar werdenden Methoden der richtige, den Übergang zu dirigieren, der richtige Vorstandsvorsitzende? Drittens: Kann man Dr. Reinhold Ernst vertrauen, dass das kulturelle Fortuna-Erbe beim Übergang nicht verloren geht?

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