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Fortuna-Punkte 16/17: Reise nach Nürnberg. Oder: Hier könnte ein Nazi hängen

Ihr habt ja in Deutschland komische Sprüche. Nach dem Sieg der Fortuna gegen den 1. FC Nürnberg meinte Holger im Biergarten, diese Reise sei ihm ein „innerer Reichsparteitag“ gewesen. Hatte ich schon früher mal gehört, aber nicht verstanden. Holger konnte es mir auch nicht schlüssig erklären, meinte aber ganz schnell, er sei ja nun ganz gewiss kein Nazi.

Mein Großonkel Johnny hat im zweiten Weltkrieg gegen die Krauts gekämpft, in der Second Army unter General Dempsey. So lange er lebte, erzählte er davon. War vermutlich das Aufregendste, bei dem er je dabei war. „Man hätte viel mehr Nazis hängen müssen,“ sagte er manchmal und meinte die Urteile der Nürnberger Prozesse. Damals haben die Alliierten ja versucht, diese ganzen unvorstellbaren Verbrechen des Nazi-Regimes in einem ordentlichen und fairen Prozess zu behandeln. Johnny fand, man hätte mit Göring, Speer, Heß und den anderen Ober-Nazis kurzen Prozess machen und die alle einfach abknallen sollen. Das Komische: Der Bruder meiner Grandma hatte keine Ahnung, was Nazi überhaupt bedeutet, der hasste einfach nur die Deutschen. Wie ich darauf komme: Ich war mit den Lads aus Block 1 in Nürnberg, der Stadt der Reichsparteitage und der Prozesse.

Totally Nazi!

Es gibt so US-Filme aus den 40ern, in denen Nazis immer in so Städten rumturnen, die wie Nürnberg aussehen: schiefes Fachwerk, düstere Burgen und finstere Kirchtürme. Da war ich dann doch überrascht, dass diese Stadt im Großen und Ganzen auch nicht viel hässlicher ist als zum Beispiel Hannover. Bis auf das Stadion und das Drumherum. Das ist totally Nazi! Mir wurde ganz kalt als wir über diese Parkplätze schlichen, die mal – ja, genau – der Platz der Reichsparteitage war. Dem Stadion sieht man das nicht an, das hat man seit dem Kriegsende schon mehrfach umgebaut. Zur WM 2006 hat man so eine übliche Soccer-Entertainment-Bude draus gemacht. Ich weiß nicht wie’s euch Deutschen damit geht, aber ich kann mir den ganzen NS-Scheiß einfach nicht wegdenken. Genau wie im Berliner Olympiastadion, wo ich jedes Mal Adolf Hitler auf der Ehrentribüne sehe…

Ingo konnte das als Einziger der Bande halbwegs verstehen. Holger machte nur Scheibenwischer als ich auf der Rückfahrt im Neuner-Bus darüber sprach. Und Ömme, den ich noch nicht so gut kenne, wurde richtig sauer: „Muss aber mal irgendwann Schluss sein, immer auf dem Nazi-Scheiß rumzureiten!“ Irgendwie hat er ja Recht. Wir konnten Onkel Johnnys Erzählungen aus dem Krieg auch irgendwann nicht mehr hören. Aber noch am Tag vor seinem Tod 1995 sprach er von dem Gefecht am Rhein bei Wesel. Langweilig. Aber normal. Jeder Mensch erinnert sich doch am meisten und längsten an die für ihn aufregenden Sachen. Bei Fortuna-Fans gibt es so Stichworte, da fangen bei den Jungs die Augen an zu glänzen, da fangen die an zu schwärmen, und die Kumpels schließen sich an. Ich sag nur: Basel! Das Endspiel im Pokal der Pokalsieger gegen CF Barcelona ist für F95-Fans, die älter als 55 sind, sowas wie die Schlacht der 2. Armee gegen die Nazis.

Innere F95-Reichsparteitage

Oder die gewonnenen Pokalendspiele gegen Hertha und gegen Köln. Erich, unser Oldie mit seinen 73 Jahren, kann nicht aufhören, von Offenbach 1966 zu schwärmen, von Pitter Meyer. Und irgendwann fallen nur noch Namen von Orten: Chemnitz, Erfurt, Freialdenhoven, Velbert und so weiter. Waren es glorreiche Siege, dann waren es für diejenigen, die dabei waren eben innere Reichsparteitage. Ob der Sieg gegen 1. FCN durch einen Kopfball von Alexander Madlung in der 88. Minute auch mal zu diesen F95-Reichsparteitagen zählen wird? Wäre mir da nicht so sicher, weil Spiele, mit denen ein Abstieg vermieden wurde, eher nicht so lange im kollektiven Gedächtnis bleiben. Das dürfte auch der Grund sein, warum die Deutschen so ungern den 8. Mai feiern.

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