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F95 vs Union 3:2 – Kneif mich. Oder: Am Rande der Perfektion


Im Grund hat Friedhelm Funkel mit seiner kurzen Analyse während der Pressekonferenz das Richtige getan. Nachdem er kurz seine Freude über das weitgehend gute Spiel seiner Mannschaft ausgedrückt hatte, bedankte er sich ausdrücklich bei denen, die – wie er es ausdrückte – „momentan hintenanstehen“ müssen, also die Spieler, die von Spochtrepochtern bisweilen despektierlich „Bankdrücker“ genannt werden oder von denen es heißt, die hätten „auf der Tribüne Platz nehmen“ müssen. Und dann nannte er diese Kicker einem nach dem anderen beim Namen. Symbolträchtiger hätte niemand den aktuellen Geist der Mannschaft ausdrücken können. Zuvor gab es in der Halbzeitpause ungläubiges Kopfschütteln und den gegenseitigen Wunsch, in den Arm gekniffen zu werden. Gesehen hatten die rund 26.000 Zuschauer 45 Minuten am Rande der Perfektion. Die Fortuna stand in einem ungewöhnlichen 4-1-4-1, wobei dieses System mit maximaler Flexibilität vorgeführt wurde.

Zu gut für Gladbach

Das Stellungsspiel war grandios, der feste Wille JEDEN Ball zu erobern jederzeit sichtbar und die Fehlerquote lag bei knapp über null Prozent. Zudem standen die Jungs in Weiß sehr hoch und gaben den Berliner keinerlei Räume zur Entfaltung. Angriff auf Angriff rollte Richtung Union-Kasten, und wenn es irgendetwas zu kritisieren gab, dann dass dabei viel zu wenig Chancen heraussprangen und die Möglichkeiten nicht in Hütten verwandelt wurden. Bisweilen sah es aus, als spiele Marcel Sobottka neben Rouwen Hennings als zweite Spitze, und gar nicht oft und stark genug kann man das kreative Wirken des Florian Neuhaus herausstreichen. Könnte gut sein, dass der junge Herr Neuhaus aktuell der beste Spieler der gesamten zweiten Liga ist. Oder wie es ein Kollege ausdrückt: Der ist nicht nur zu gut für uns, der ist auch zu gut für Gladbach.

Setzen wir die Reihe der Wunderknaben fort. Mit Benito Raman ist ein Kicker gekommen, der nie auch nur den Hauch eines Gedankens an Bebou aufkommen ließ (der ja gestern ganz in dem ihm eigenen Stil ein Tor für Hannoi96 vorbereitete). Tatsächlich ist dieser Raman mindestens so schnell wie Bebou und verfügt über eine zauberhafte Ballbehandlung sowie ein tolles Auge für Spielsituation und Mitspieler. Und wo der abgängige Bebou mit allerlei Tricks glänzte, da geht Raman jederzeit zielstrebig zu Werke. Vermutlich muss er nur noch lernen, seine Kräfte einzuteilen, denn ab etwa der 65. Minute hatte er gewisse konditionelle Probleme. Die hatte auch das andere Wunderkind, der junge Davor Lovren, der überall zu finden war, gerade mit Raman in Form von weiten Flankenwechseln bestens harmonierte und wie dieser durch vorbildliches Defensivverhalten glänzte.

Noch ein Traumduo

Mindestens genauso gut funktionierte das Zusammenspiel mit Jean Zimmer, der heute den rechten Außenverteidiger gab und endlich, endlich ganz ins Spiel eingebunden wird. Der bediente ein ums andere Mal den vor ihm spielenden Raman, der so zu Flankenläufen kam, die immer gefährlich waren. Auf der anderen Seite bildeten Niko Gießelmann – von dem noch die Rede sein wird – mit dem bereits erwähnten Lovren ein ähnliches Dreamteam. Dass Kaan Ayhan und Andre Hoffmann in der Innenverteidigung eine Bank sind, muss man ja gar nicht mehr erwähnen, wobei Ayhan sich viel öfter als sonst in die Offensive einmischte. Und das ging, weil der gute alte Adam Bodzek seine Lieblingsrolle als eine Art Ausputzer vor der Viererkette spielen durfte, also den angriffslustigen Ayhan bei Bedarf ersetzte.

Wie gesagt: Das alles gilt so wie beschrieben erst einmal nur für die erste Spielhälfte, bei der allerdings nur ein winziges Tor heraussprang. Der wie immer wühlende und kämpfende Hennings hatte gar keine Torchance, und den Führungstreffer markierte deshalb Sobottka. Eine von Gießelmann prima geschossene Ecke rauschte an Hoffmanns Birne vorbei, prallte an Bodzek ab und wurde von Sobottka fein ins linke Eck befördert. Das war in der 17. Minute, und die Unioner hatten bis dahin und für weitere rund 18 Minuten keinerlei Zugriff aufs Spiel und verlegten sich folgerichtig aufs Foulspiel. Eine einzige Chance gab’s für die Köpenicker, aber der hervorragend agierende Raphael Wolf war rechtzeitig aus dem Kasten, um das Ding zu entschärfen.

Situationen, die ein Spiel kippen können

Die Fans im Stadion waren sich einig: Dies waren die besten 45 Minuten einer Fortuna-Mannschaft seit vielen Jahren. Nur die Anzahl der Jahre seit dem letzten Zauberspiel variierte bei den Pausendiskussionen. Dass Union einen guten Trainer hat, war sofort nach Wiederanpfiff zu spüren. Die Berliner traten in einem neu sortierten System an und begannen, heftig Druck auszuüben. Nicht dass die Fortunen eine Schlafphase hatten, aber nun waren sie es, die systematisch gepresst und angelaufen wurden – also ihnen exakt widerfuhr, was sie dem Gegner zuvor angetan hatten. Aber bis jenseits der 65. Minute hielt der Spitzenreiter stand.

Und dann kam eine dieser Situationen, die ein Spiel kippen können. Ein Ball, der gut doppelt pillenbreit im Aus war, wurde vom Linienrichter auf der Haupttribünenseite gut gegeben. Beteiligt war Gießelmann, den diese Fehlentscheidung ein wenig aus der Ruhe brachte, sodass er einen unnötigen Eckball für Union verursachte. Das Ei kam in den Sechzehner, wo sich einer der Köpenicker optimal in die Höhe schraubte und das Ding in den Winkel setzte. So blöd wie es zu diesem Ausgleich kam, so sehr war er inzwischen verdient. Wie man zwanzig Minuten vor Schluss ohnehin sagen konnte: Durch zwei völlig unterschiedliche Halbzeiten wäre die Punkteteilung vollkommen gerecht.

Und sie kommen doch zurück

Aber es kam schlimmer. Auch, weil Union immer weiter und immer mehr Druck ausübte und die Jungs von Friedhelm Funkel und Peter Hermann kein Gegenmittel fanden. Eine Rettungstat von Ayhan misslang so unglücklich, dass in der 78. Minute zu einem Eigentor und damit zur Führung für den Gegner kam. Erfahrene Fortuna-Fans dachten spontan: Das war’s. Aber komischerweise kam umgehend Optimismus auf, und nicht wenige waren davon überzeugt, dass der Ausgleich noch gelingen würde. Inzwischen war der neue Takashi Usami für den ausgepumpten Raman ins Spiel gekommen. Außerdem hatte Funkel mit Emir Kujovic einen weiteren Stürmer gebracht.

Zwar brachten die Fortunen keine langwierigen Kombinationen mehr zuwege, spielten aber aus jeder Balleroberung Konter. Ein eigentlich zu langer Pass nach vorne wurde von einem Unioner Verteidiger zu kurz mit dem Kopf abgewehrt, und Usami versenkte die Pille in der 84. Minute völlig humorlos zum 2:2. Sowas heißt in der Fußballreportersprache „Einstand nach Maß“. Und eigentlich hätten jetzt alle zufrieden sein und das Spiel austrudeln lassen können. Aber Neuhaus hatte noch lange nicht genug, sondern unternahm nach einem Ballgewinn im Mittelfeld zu einer Privataktion an, die ihn bis an den Rand des Berliner Strafraums führte, wo er – nicht einmal sehr scharf – abzog. Es kam ein anderer dieser besonderen Momente, die man als Zuschauer wie in Zeitlupe erlebt: Das Ei bewegte sich aufs linke Torwarteck zu, und es sah aus, als würde er ganz knapp neben dem Pfosten landen, was er auch tat. Der Unioner Tormann war noch mit den Handschuhspitzen dran, aber mehr als den Ball leicht abzufälschen ging nicht. Und so fiel das Siegtor in der 90. Minute.

Jeder für jeden

Natürlich freuten sich die F95-Fans in der Arena, die auf den Tag genau 13 Jahre zuvor mit einem Spiel gegen ebendieses Union Berlin eröffnet wurden. Natürlich kam bei nicht wenigen ernsthafte Euphorie auf, und Stadion-DJ Opa konnte nicht an sich halten und legte „An Tagen wie diesen“ auf – einen DTH-Song, der besonderen Momenten vorbehalten ist. Unter den Kollegen auf der Pressetribüne, die es mit der Fortuna haben, herrschte grinsendes Kopfschütteln, und eigentlich wollte sich keiner an einer Analyse versuchen. Dem schloss sich, wie erwähnt, auch Trainer Funkel an.

Tatsächlich können sich übergeordnete Erklärungen für die Leistungen – man muss ja auch die anderen Pflichtspiele hinzunehmen – nur im Phrasenwald verlieren, denn ganz offensichtlich stimmt momentan fast alles. Auf Basis einer grandiosen Transferpolitik haben Friedhelm Funkel und Peter Hermann ein Team geformt, in dem wirklich jeder für jeden spielt, in dem alle Akteure offensichtlich begriffen haben, dass sie alle gemeinsam am selben Projekt arbeiten. Und das schließt eben auch die Kicker ein, die im Augenblick nicht einmal im jeweiligen Tageskader stehen oder auf der Bank sitzen und nicht eingewechselt werden. Wer die verschwitzten Jungs und ihre trockenen Kollegen nach der Ehrenrunde in die Kabinen gehen sah, sah eine Mannschaft, die aus mehr als nur elf, vierzehn, siebzehn Spielern besteht, so sehr freuten sich alle gemeinsam.

Das macht Hoffnung auf mehr. Aber allen Beteiligten ist auch klar, dass der September nicht der Monat für Zukunftsvisionen ist. Erst das Ergebnis des DFB-Pokalspiels gegen Gladbach könnte der Ausgangspunkt für Spekulationen werden. Und wenn es nicht zum Aufstieg oder wenigstens der Relegation reicht, da ist ja auch noch das Pokalfinale in Berlin…

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