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Das Elend mit dem Fußball in den Medien

[Kommentar] „Fußball ist ein Phrasensport“ – Der an dieser Stelle bereits mehrfach verwandte Satz ist inzwischen selbst ein Phrase. Und es wäre an der Zeit, dass ihn die Sprech- und Schreibpuppen, die ihr kärgliches Brot damit verdienen, über den Fußball zu reden und zu schreiben, ihn in ihr Repertoire aufnehmen – das bereits jetzt so groß und breit ist, dass inhaltsschwere Sätze darin keinen Platz mehr haben. Wenn die Fans im Block den DFB beschimpfen und „Ihr macht unseren Sport kaputt“ brüllen, sollten sie bitteschön die Medienvertreter nicht vergessen, die einen gewaltigen Anteil an der schleichenden Tötung des Fußballsports haben.

Ja, Fußball ist ein Sport, aber spätestens als Kasperköppe wie Kerner sich auf das Thema geworfen haben, hat speziell das Fernsehen den Fußball zum Teil der Unterhaltungssparte degradiert. Das liegt vor allem daran, dass innerhalb der Versendungsindustrie generell nur zwischen Informations- und Unterhaltungswert unterschieden wird. Vor der durch Ex-Kanzler Kohl erzwungenen Einführung des Privatfernsehens galt es den öffentlich-rechtlichen Anstalten als Teil ihrer Informationspflicht, über Fußballspiele live oder in den einschlägigen Formaten zu berichten. So betrachteten auch die Kommentatoren die Sache.

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Man erinnere sich an Live-Kommentatoren von Länderspielen, deren begleitende Worte aus der Liste der Kicker bestanden, die gerade den Ball führten. Man erinnere sich aber auch an die wunderbaren Fußballberichterstatter der Bundesligakonferenzschaltungen im Rundfunk, die ihre Partien mit großer Sachkenntnis und viel Liebe zum Fußball begleiteten. Die meisten Vertreter dieser Zunft sind entweder längst gestorben oder pensioniert. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Vor 40 Jahren musste man auch nicht besonders viel vom Fußball verstehen, um ihn angemessen kommentieren zu können, denn die wissenschaftliche Durchdringung des Sports steckte noch in den Kinderschuhen. So war von „Systemen“ meist noch nicht die Rede, und der Libero galt als das modernste taktische Mittel überhaupt.

Einführung des Privatfernsehens: der Sündenfall

Aber, die Journalisten der gedruckten und versendeten Medien hatten noch den Ethos unabhängiger Berichterstatter, die sich nicht am angenommenen Interesse der Leser, Zuhörer und Zuschauer orientierten, sondern am tatsächlichen Geschehen. Vermutlich war die Art und Weise wie die RTL-Sendung „Anpfiff“ über das Geschehen in der Bundesliga berichtete, der initiale Dammbruch. Diesem aus der Gruppe Radio Luxemburg hervorgegangene Sender hatte (und hat bis heute) nur einen Messwert für seinen Erfolg: die Quote. Auch beim Anpfiff ging es darum, die Konsumenten zu unterhalten (und nur am Rande darum sie zu informieren). Leider war das Konzept erfolgreich; auch, weil gegen dieses Format die alte Oma Sportschau und auch das Aktuelle Sportstudio (ASS) relativ dröge daherkamen.

Wobei dem ASS über lange Jahre in der Frühphase des Privatfernsehens den Spagat zwischen purem Entertainment und gehaltvoller Information gut gelang, was aber vor allem an der journalistischen Qualität der Moderatoren lag. Jedenfalls wurde irgendwann zwischen 1988 und 1992 die Vorstellung geboren, der Zuschauer glotze nicht, um zu wissen wie Fortuna gegen die Bayern gespielt hat und wie es ausgegangen ist, sondern um ein maximales Spektakel zu erleben – genau dieser Begriff hielt damals Einzug in die Floskelkiste der Sprechpuppen des TV. Heute kommt er in verschiedenen Verkleidungen her, wobei die Formulierung, bei dieser oder jener Begegnung seien die Zuschauer „auf ihre Kosten gekommen“ die zynischste Variante ist.

Der sogenannte „neutrale Beobachter“

Sie geht nämlich davon aus, dass Menschen in die Stadien pilgern, weil sie einen möglichst wilden Kick mit möglichst vielen Toren erleben wollen. Tatsächlich waren aber bis Ende der Neunziger Jahre Stadiongänger in der Minderheit, die sich einen Event wünschten; man ging hin, weil man Fan, Anhänger oder wenigstens Sympathisant eines der beiden antretenden Vereine war. Kinder nahm man nicht mit, damit die mit dem Wochenendpapa ein Erlebnis teilen konnte (statt Zoo, Kino oder Fantasialand), sondern weil man sie an den Verein des Herzens heranführen wollte. Nicht ein mögliches Spektakel wurde herbeigesehnt, sondern der Sieg des eigenen Clubs.

Möglicherweise ist der von den Sprechenden im TV so oft zitierte „neutrale Beobachter“ nur ein Kollateralschaden der Eventisierung des Fußballs, den man im Stadion zwar auch antrifft, der aber seinen Spektakelbedarf auf der Couch vor der Glotze auslebt. Ja, die zweite Generation der Fußballkommentatoren hat es auch auf dem Gewissen, dass der Fußball vor allem als versendbare Live-Ware verstanden wird, also als etwas, das ein optimales Umfeld für Werbespots aller Art bildet. Und weil das Privat-TV auch die Promifizierung ins deutsche Fernsehen eingeführt hat, pflegen die Männer und Frauen, die uns Gebührenzahler und Reklameaushalter den Soccer nahebringen sollen, im hohen Maße den Starrummel, der sonst auch überall auf den flachen Schirmen herrscht.

Die Promifizierung des Fußballs

Die Idee hinter dieser Perversion ist es, aus dem Fußball noch mehr Sendezeit herausschlagen zu können, indem man nicht mehr bloß über DAS Spiel berichtet, sondern über das Drum und Dran und vor allem die Promis. So ist es möglich, dass die kapitalistischste Ausprägung des deutschen Fußballs, der FC Bayern München, Stoff für eine wöchentliche Ein-Stunden-Sendung bietet. Um so etwas möglich zu machen, wurde vor einigen Jahren begonnen, auch die Spielerfrau in die „Berichterstattung“ einzubinden. Die Grenzen zwischen Fußballprofi und A-,B- oder C-Promi verwischen immer mehr, und mancher Ex-Kicker landet folgerichtig im Dschungelcamp (Ailton, Immel) oder endet als Showclown (Basler).

Die öffentlich-rechtlichen Anstalten haben diesem Treiben lange versucht Einhalt zu gebieten. Vor allem durch das Einbinden von Experten, die dem willigen Zuschauer erklären, was er sieht, aber vielleicht nicht versteht. Was zuvor sporadisch (und in Fällen wie dem Rummenigge als Co-Kommentator unfreiwillig komisch…) stattfand, erreichte seine erste Blüte mit dem, was sich das ZDF als Begleitmusik für die WMimeigenenland 2006 ausgedacht hatte. Mit Jürgen Klopp und Urs Meiser (…der das original Schweizer Wort „schlussendlich“ in die deutsche Hochsprache einführte) traten zwei Kerle auf, die maximale Sachkenntnis mit großem Unterhaltungstalent verbanden – etwas, das in Sachen „Experten“ im deutschen Fernsehen nie wieder zu verzeichnen war.

Das Experten-Unwesen

Von da an rekrutierten alle Sender Experten, die vorher, nachher und in der Pause schematisierte Fragen von oft ahnungslosen Feldreportern beantworten sollten und dafür ziemlich viel Kohle bekamen. Im praktischen Fußball als Trainer kläglich gescheiterte Ex-Stars (Matthäus, Effenberg) können sich von diesem Sprechgeschäft inzwischen ganz gut ernähren. Weil man denen aber gar nicht das sicherlich vorhandene Fachwissen abzapfen will, sondern sich einen das Spektakel steigernden Effekt wünscht, werden die Aussagen dieser Experten immer knalliger und inhaltsleerer – Ausnahmen bestätigen die Regel.

Gebraucht werden Experten aber vor allem in den Show-Formaten rund um den Fußball, in denen die beiden Unterhaltungsfaktoren rund ums Soccer-Entertainment-Business auf die Spitze getrieben werden: das Gelaber über Superstars und über das Transfergeschäft. Während die sonntägliche Sport1-Talkshow „Doppelpass“ mittlerweile vor allem der Profilierung von geschassten Trainern und Vorständen sowie der Manipulation von Marktwerten dient, glänzt „100% Bundesliga“ auf dem Nischenkanal Nitro (Branchenspruch: „Die Schöne und das Biest“ – bezogen auf das Moderationsteam) mit tonnenweise Pseudinformationen, die vor allem aus Statistiken geschöpft werden.

Statistik vorlesen statt Fußball verstehen

Womit wir beim wichtigsten Hilfsmittel für Live-Kommentatoren sind, denen der Fußball am Arsch vorbeigeht und die deshalb auch so gut wie keine Ahnung vom Sport haben: der Statistik. Wie viele andere Elemente der „modernen“ Fußballberichterstattung hat man auch dieses Mittel dem US-amerikanischen Profisport entlehnt, wo es schon seit Jahrzehnten eine Hauptrolle spielt. Bei Sportarten wie dem American Football oder auch Baseball ergeben statistische Auswertungen allerdings auch wesentlich mehr Erkenntnisse als dies beim Soccer möglich wäre. Während ein hilfloser Sprechkopp früher das Vorlesen von solchen Werten mit den Worten „für die Statistiker unter ihnen“ einleitete, schämt sich heute keiner mehr, ein Viertel der Spielzeit mit Verweisen darauf, wer wie lange kein Tor mehr geschossen bzw. kassiert hat, wer für wie viele Mios von wo nach wo gewechselt ist oder welches Team sei wann nicht mehr gegen ein anderes gewonnen hat, zu füllen.

Leider, leider, leider ist aber die Verblödung der TV-Sportberichterstatter in den vergangenen rund 15 Jahren voll auf den handelsüblichen Spochtrepochter durchgeschlagen, der früher – zum Beispiel als Redakteur des Fußballmagazins Kicker – das letzte seriöse Gegengewicht gegen die Eventifizierung des Fußballs bildete. Als Freund des getretenen Rundballs freut man sich regelmäßig wie Bolle, wenn man bei einem Kollegen von der Lokalpresse, einer überregionalen Tageszeitung oder gar einem Nachrichtenmagazin über die Bundesligen schreibt, sodass man sein wahres Interesse, möglicherweise gar die Liebe zum Fußball durchschmeckt. Weil die Printmedien ihren Mitarbeitern jedoch zunehmend deren Berufsethos austreiben, sind die Tage dieser Leuchttürme der Fußballberichterstattung gezählt. Schon jetzt machen sich Jungschreiber überflüssig, die ihre Berichte aus dem Phrasenschwein zusammenklauben und meinen, genau das würden die Kunden lesen wollen. Denn das, was sie fabrizieren, können die Algorithmen der Künstlichen Intelligenz auch – und zwar oft deutlich besser.

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