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Mai 2010 – Gedanken zum Fußball: Rasen. Ball. Spieler. Tor.

[Vorsicht: Sehr langer Text!] Immer wieder kommt jemand um die Ecke und meint: Auf einmal seid ihr (wer immer damit gemein ist) gegen den Neustart der Bundesligen und schimpft auf die Kommerzialisierung des Fußballs. Nein, meint Ihr sehr ergebener Fortuna-Fan, das stimmt nicht. Seit der WM im eigenen Land ist sein Unbehagen am modernen Fußball immer mehr gewachsen. Vor allem wegen der Erinnerungen wie das früher war. Und im Mai 2010 hat Ihr Ergebener diese Gedanken rund um den Rasen, den Ball, die Spieler und das Tor im Vorläufer-Blog „Rainer’sche Post“ niedergelegt – mit zehn Jahren Abstand immer noch Grundlage seiner Haltung. Der Text wurde geringfügig gekürzt, aktualisiert und geändert.

Wenn ich mit dem Hund gehe, komme ich häufig an der Bezirkssportanlage Bilk an der Feuerbachstraße vorbei. Das ist das Heimfeld des Düsseldorfer Traditionsvereins TuRU 1880, deshalb heißt das kleine Stadion am Bahndamm im Volksmund auch einfach „TuRU-Platz„. Hier habe ich nachweislich mein allererstes Fußballspiel gesehen. Das muss Pfingsten 1958 gewesen sein. Da war ich gerade fünf Jahre alt. Wir wohnten auf der Corneliusstraße, und weil mein Vater ein großer Fußballfreund war, gingen wir zum berühmten Pfingstturnier, das die TuRU veranstaltete. Da kamen Juniorenmannschaften aus ganz Europa, und noch heute erinnere ich mich an die exotischen Namen der Vereine…

AC Lecco aus Italien, der FC Drumchapel aus Schottland, ja, und auch Lokomotive Leipzig war einmal dabei. Drei Tage lang war Volksfest an der Feuerbachstraße. Die Haupttribüne mit ihrem Wellblechdach war meist ausverkauft. Als Stehplätze dienten Wällen an den Schmalseiten und Stufen auf der Gegengerade. Damals konnte man noch von der Oberbilker Allee aus durch ein Gässchen am Bahndamm entlang zum Nordeingang gelangen. Ich rieche noch das Gras – und natürlich den Rauch der Stumpen und der vielen, vielen Zigaretten. Damals standen die Männer an den Feiertagen im Anzug da, mit Hemd und Krawatte und Hut, und fast jeder rauchte.

Gehe ich heute zu den Spielen des glorreichen Fortuna Düsseldorf (die damals fast immer eine Mannschaft beim Pfingstturnier am Start hatte…) in die Messehalle, die (Stand: Mai 2010) den bescheuerten Namen „Espritz-Arena“ trägt, aber an der Stelle des alten Rheinstadions steht und deswegen für mich immer das Rheinstadion bleiben wird, dann ähnelt das, was ich zu sehen bekomme, nur noch den Regeln nach dem Fußball der frühen Jahre. Natürlich kommt niemand mehr im Anzug. Geraucht wird auch viel weniger als früher. 40.000 Leute gucken zu.

Aber manchmal, ja, immer öfter versuche ich, das alte Fußballerlebnis aufzuwecken. Dann besuche ich die Spiele der Zwoten von Fortuna im guten, alten Paul-Janes-Stadion am Flinger Broich, unweit der Müllverbrennungsanlage. Das PJS, wie Kenner sagen, hat viel Ähnlichkeit mit dem TuRU-Platz; es passen nur mehr Leute rein. Wenn ich dann am Bier- oder Wurststand mit meinen Freunden quatsche, dann lehnen wir dabei am Zaun, der das Spielfeld umgibt. Auf der Tribüne geht es familiär zu. Man kennt sich, man mag sich, und die Spieler der Zwoten wissen die Unterstützung zu schätzen. Und: Man kann das Gras riechen. Ja, wenn die Spieler miteinander reden oder der Trainer etwas rein ruft, dann versteht man jedes Wort. Man ist mittendrin. Bei Zweitligabegegnungen ist man im Vergleich betrachtet nur dabei…

Das Geld

Die TuRU veranstaltet schon seit Jahren kein Juniorenturnier mehr zu Pfingsten. Irgendwann waren die Kosten zu hoch. Es gab zu wenig Sponsoren. Fußball kostet Geld. Das war schon in den Fünfzigerjahren so. Wobei damals vor allem die Reisekosten ins Gewicht fielen. Natürlich musste der Veranstalter die Anreise von z.B. Twente Enschede bezahlen. Und für die Unterbringung in der Jugendherberge und die Verpflegung auch. Heute verlangen selbst die A-Jugendmannschaften der großen europäischen Vereine nicht nur freie Anfahrt, Kost & Logis, sondern ein Honorar… Das ist oft auch nötig, weil selbst 12-, 13- und 14-jährige in England, Spanien und Italien schon Gehälter beziehen.

Fußball ist zum Geschäft geworden. Die Entwicklung ging von zwei Seiten aus: von den Spielern, die mit dem Kicken ihren Lebensunterhalt bestreiten wollten, und von der Werbewirtschaft, die sich die Emotionen der Fans für ihre Zwecke nutzbar machen wollte. In Relation zur „normalen“ Wirtschaft ist das Fußball-Business aber immer noch eine Gleichung mit vielen Unbekannten. Die unsicherste Variable ist dabei die sportliche Leistung bzw. der sportliche Erfolg. Und das in beiden Richtungen.

Als der FC St. Pauli am 25.01.2006 den SV Werder Bremen auf einem schneebedeckten, durchgefrorenen Acker mit 3:1 schlug und so ins Halbfinale gegen den FC Bayern München einzog, war der Grundstein für den späteren Aufstieg in die zweite und jetzt (Stand: Mai 2010) in die ersten Liga gelegt. Denn allein die TV-Einnahmen für Achtel-, Viertel- und Halbfinale reichten schon aus, alle Verbindlichkeiten zu begleichen und eine Anzahlung auf den Stadionneubau zu leisten.

Ganz ähnlich erging es auch der Alemannia aus Aachen, die Anfang der Nullerjahre finanziell schwer angeschlagen war. Am 04.02.2004 schlug man am Tivoli die Bayern und zog ins Finale ein. Das ging zwar gegen Werder Bremen verloren. Da die aber Meister geworden waren, nahm die Alemannia am UEFA-Cup teil und stieß sich durch zusätzliche Zuschauereinnahmen und Fernsehgelder gesund. Dass ausgerechnet Alemannia Aachen wieder in einer einigermaßen dramatischen Finanzkrise steckt, liegt an der abenteuerlichen Finanzierung des neuen Stadions, das direkt neben dem legendären alten Tivoli errichtet wurde. Geplant wurde die nämlich während der Saison 2006/07. Da spielte die Alemannia in der ersten Liga – man hatte die Einnahmen aus der UEFA-Saison mit dem Aufstieg in Erfolg umgesetzt. Dass man gleich wieder absteigen würde, hatte niemand vorher geglaubt und die drastisch sinkenden Einnahmen nicht ausreichend berücksichtigt.

Tatsache ist, dass die Einnahmen aus Fernsehgelder für einen Erstligaclub mindestens fünfmal so hoch sind wie für ein Team in der zweiten Liga. Der Unterschied kann pro Saison zwischen mindestens zwei und bis zu acht Millionen Euro liegen. Zum Vergleich: Die meisten Vereine, die derzeit eine Lizenz für die zweite Bundesliga haben, könnten sich mit TV-Einnahmen in Höhe von acht Millionen vollständig entschulden!

Die Stadien

Spätestens seit den Olympischen Spielen 1972 in München ist klar, dass das Stadion über den langfristigen finanziellen Erfolg eines Vereins entscheidet. Der FC Bayern München wäre nie so schnell so reich geworden, hätte es kein Olympiastadion gegeben. Bei den letzten Spielen der Bayern im Stadion an der Grünwalder Straße (als ungeliebter Untermieter der Sechzger…) verirrten sich teilweise weniger als 10.000 Zuschauer auf den Rängen. Und das obwohl der FCB um die Meisterschaft mitspielte. Mit dem Umzug begann eine Ära der ausverkauften Stadien. Da die Stadt München als Eigentümer des Olympiastadions den Bayern extrem günstige Mietkonditionen eingeräumt hatte, scheffelte der FCB-Schatzmeister Eintrittsgelder wie kein anderer. Das in Zeiten, wo die Zuschauereinnahmen meist den größten Block bei den Umsätzen ausmachte.

Die Bayern sind kein Einzelfall. Einige Vereine in den Spielstädten der Fußballweltmeisterschaft 1974 haben von den Stadionneu- oder -umbauten profitiert. Das gilt u.a. auch für Fortuna Düsseldorf. Ganz ähnlich wie beim FCB setzte ein zuvor schon erfolgreiches Team seinen Höhenflug ab 1974 fort und brachte es bis zum DFB-Pokalsieger der Jahre 1979 und 1980. Wie gesagt: Einnahmen aus TV-Geldern spielten bis etwa 1986 (RTL Anpfiff darf ein Bundesligaspiel zeigen…) keine Rolle, und Überschüsse aus Spielertransfers sind auch erst als Folge des Bosman-Urteils im Jahr 1995 ein nennenswerter Faktor der Fußballfinanzierung.

Den großen Unterschied zwischen dem FC Bayern München und Fortuna Düsseldorf machte 1979 ein Mann aus: Uli Hoeneß. Der erst 27 Jahre alte neue Manager des FCB erkannte, dass solides Finanzieren höhere und längerfristig gesicherte Einnahmen nötig machte und dass die optimale Geldquelle im Sponsoring zu finden sei. Während bei den anderen Erst- und Zweitligaclubs meist lokale oder regionale Unternehmen über Jahre ohne Vertragsbindung im heutigen Sinn Gelder in die Vereine schoben, schloss Hoeneß einen gut dotierten Sponsorvertrag mit dem Lkw-Hersteller Magirus-Deutz ab, der drei Jahre (Saison 80/81 bis Saison 83/84) gelten sollte. Mit dem anschließenden Sponsorenvertrag zwischen dem FCB und dem Computerhersteller Commodore (84/85 bis 88/89) schoss Hoeneß dann den Vogel ab: Nie zuvor waren so langfristig derart hohe Summen in einen deutschen Verein geflossen. Das Festgeldkonto, mit dem der Manager noch vor wenigen Jahren prahlte, basierte also aus den Zuschauereinnahmen der frühen Siebziger und den Sponsorgeldern der achtziger Jahre.

Dass die Umstände des jeweiligen Stadions die Entwicklung eines Vereins auch nachhaltig behindern kann, zeigt sich an zwei Beispielen. Trotz eines Kaders mit ausgezeichneten Spielern wie Kamps, Hochstätter, Effenberg, Pflipsen etc. ging es mit der Mönchengladbacher Borussia ab 1995 bergab – am Ende stand der Abstieg in die zweite Liga und ein finanzieller Scherbenhaufen. Da es die Borussia immer schwerer hatte, potente Sponsoren zu finden als beispielsweise Bayern und Schalke, war man auf die Zuschauereinnahmen angewiesen. Und die ließen sich im maroden Stadion am Bökelberg nicht steigern. Zwar spielte man auch in den nicht so erfolgreichen Jahren oft vor ausverkauftem Haus, aber die so anwesenden rund 32.000 Leute waren eben immer 20.000 bis 40.000 weniger als bei den Clubs mit den großen und komfortableren Stadien. Ähnlich deutlich zeigt sich die Bedeutung der Spielstätte beim 1.FC Kaiserslautern.

Familien und Geschäftsleute

Nun sind die Zeiten, in den denen die Kommunen ihren Vereinen tolle Fußballarenen bauen, so ziemlich vorbei. Als einer der letzten Clubs profitierte Fortuna Düsseldorf von der Profilneurose des damaligen Oberbürgermeisters Joachim Erwin, der wahlweise die olympischen Spiele oder die Fußballweltmeisterschaft in die schönste Stadt am Rhein holen wollte und vorauseilend schon mal eine moderne Spielstätte bauen ließ. Allerdings zeigte sich rasch, dass diese nicht auf die Nutzung durch einen Fußballverein hin optimiert war – Stehplätze werden erst in diesem Sommer, also fünfeinhalb Jahre nach der Eröffnung, eingebaut. Trotzdem: Diese Multifunktionsarena bildet seit dem Aufstieg der Fortuna in die zweite Liga zum Ende der Saison 2008/09 die Basis für eine nachhaltige finanzielle Gesundung, denn dieses Stadion macht es möglich, dass der Verein einen neuen Allzeitrekord beim Zuschauerschnitt (über 28.000) erzielen konnte.

Vereine in Städten, die notorisch klamm sind, müssen also andere Wege gehen, um an moderne Spielstätten zu kommen. Neben der reinen Größe geht es zunehmend auch um den Komfort. Seit Jahren peilen die Verantwortlichen des Profifußballs in den Verbänden, in den Vereinen, aber auch bei den Medien neue Zielgruppen an. Gemeint sind die jungen, event-orientierten Familien. Tatsächlich sind dem Fußball ab dem Ende der sechziger Jahre ganze Zielgruppen verloren gegangen. Besonders die drastisch anwachsende Gewalt in und um die Stadien herum, die sich Mitte der Siebziger entwickelte und in Deutschland Ende der achtziger Jahre ihren Höhepunkt fand. Wer heute über „Ausschreitungen“ jammert, wenn in einer Arena eine Fackel entzündet wird, sollte sich mal Berichte der Massenkeilereien in den Stadien um 1982, 1983 herum anschauen…

Eine große Rolle spielen auch die Angebote für so genannte „VIPs“. Im dumm-denglischen Jargon der Marketing-Fuzzis heißt sowas auch „Business Seats“. Gemeint sind alle Möglichkeiten für Unternehmen, Gäste zu den Spielen eines (oder auch mehrerer) Vereins einzuladen, um so ein bisschen Image- und Kontaktpflege zu betreiben. Dergleichen war vor zwanzig Jahren so gut wie undenkbar. Fußball galt als Sport der Prolls, und wer sich öffentlich zu seiner Dauerkarte bekannte, erntete Spott oder Ablehnung von den Bürgerlichen. Als beispielsweise Commodore während der CeBIT 1997 den Kader des FC Bayern München im VIP-Zelt auf dem Hannoveraner Messegelände präsentierte, löste das bei den „Ehrengästen“ erhebliche Irritationen aus.

Nach und nach ist der Fußball aber im bürgerlichen Lager angekommen. Ja, seit etwa zehn, zwölf Jahren gilt es geradezu als schick, „Fan“ eines Vereins zu sein. Gefühlte 80 Prozent der männlichen Business-Kontakte, die ein normaler Angestellter heute so hat, sind Fußballfans. In jedem Meeting kann man zu neuen Personen prima Kontakt aufbauen, indem man über Fußball redet. Gehörte es Anfang der Siebzigerjahre eher zum Montagsmorgenritual auf Baustellen und in Fabriken, die Bundesligaspiele des Wochenendes zu debattieren, wird heutzutage bisweilen eine Vorstandssitzung verschoben, weil ein wichtiges Fußballspiel anliegt. Das bedeutet: Wer Geschäftsfreunde zum Fußball einlädt, wird geschätzt.

Wie überall in unserer entertainment-orientierten Spaßgesellschaft erwarten Gäste aber auch eine Vorzugsbehandlung. Reichten früher richtige Sitzplätze auf der Haupttribüne aus, erwarten Geschäftsfreunde mindestens gepolsterte Stühle und natürlich eine nette Bewirtung. So entstanden in den vergangenen fünfzehn Jahren die VIP-Bereiche in den Fußballstadien. Wo das aus baulichen Gründen nicht ging, behalf man sich mit Zelten und Pavillons (so auch bei der Fortuna, als die noch im PJS spielte…). Vielen Verantwortlichen von Clubs mit solchen altmodischen Spielstätten war klar, dass derlei massive Wettbewerbsnachteile mit sich brachte. Und so begann um die Jahrtausendwende herum ein Bauboom ohnegleichen.

Als prototypisch darf die MSV-Arena in Duisburg gelten, die der Bauunternehmer Walter Hellmich anstelle des altehrwürdigen Wedau-Stadions errichtete. Die Kapazität liegt bei rund 32.000 Zuschauern. In der Business-Lounge können bis zu 1.500 Leute feiern, und in den 40 Logen finden während der Spiele rund 400 Gäste Platz. Nachdem in Aachen die Erkenntnis dämmerte, dass der Tivoli zu marode für einen Umbau war, ließ man sich von Helmich einen neuen Tivoli bauen. Der ähnelt der MSV-Arena auffallend – außer, dass alle Sitzschale quietschgelb sind. In dieser Arena zeigt sich aber auch deutlich, welchen Paradigmenwechsel es beim Betrieb von Fußballplätzen gegeben hat. Der Bereich mit den Lounges und Logen, der über der Haupttribüne schwebt, ist so angebracht, dass den Zuschauern auf einigen Hundert der Stehplätze die Sicht aufs Spielfeld verbaut ist.

Arminia Bielefeld

Wenn dieser Beitrag erscheint (Mai 2010), ist die Zukunft des DSC Arminia Bielefeld noch unklar. Der Rat der Stadt hat es am gestrigen Freitag (28.05.2010) abgelehnt, für den größten Teil der Verbindlichkeiten zu bürgen. Das bedeutet, dass der Verein vom DFB keine Lizenz für die zweite Bundesliga bekäme, wenn sich nicht noch Finanziers finden, die für rund 2,5 Millionen Euro einstehen. In diesem Fall dürfte dem Verein der Gang in die Insolvenz nicht erspart bleiben. Und wenn die Arminia als Verein überhaupt bestehen bleiben kann, müssten die Kicker in der sechsten Liga neu beginnen.

Ursache des Desasters ist der Umbau des Stadion, das einst einfach „die Alm“ hieß und heute den bescheuerten Namen „SchücoArena“ (Nur echt ohne Leerzeichen und Bindestrich!) tragen muss. Die Osttribüne sollte nach dem Muster der modernen Arenen mit komfortablen Plätzen und einem VIP-Bereich ausgestattet werden. Dafür hatte man rund 14 Millionen Euro veranschlagt. Mit dramatischer Blauäugigkeit und erheblicher Schlamperei übersah man Folgekosten in Höhe von gut 6,3 Millionen Euro. Und die hat der Verein nicht. Selbst wenn es die Kostensteigerung nicht gegeben hätte, wäre die Finanzierung nur zu stemmen gewesen, hätte die Arminia weiter in der ersten Bundesliga spielen dürfen. Denn (siehe oben) allein die Mindereinnahmen aus TV-Geldern lagen für die DSC bei gut vier Millionen.

Schadenfreude ist in diesem Fall genauso fehl am Platz wie bei den vielen Vereinen der weiter unten angesiedelten Ligen, die in den letzten Jahren aufgegeben haben oder aufgeben mussten. Man denke beispielsweise an Kickers Emden. Der Club mit dem Kartoffelacker als Fußballplatz hielt sich immerhin über Jahre in der jeweils dritthöchsten Liga, bevor vor einem Jahr aus finanziellen Gründe der freiwillige Abstieg in die fünftklassige Oberliga Niedersachsen-West erfolgte.
Selbst in der sechsthöchsten Liga kommt es zu Zusammenbrüchen. So zog sich die TuRa 88 Duisburg aus dem Spielbetrieb der Niederrheinliga zurück, um ab der kommenden Saison mit neuem Kader und neuem Trainer in der Kreisliga neu zu beginnen. Traditionsvereine wie Union Solingen kommen in der Niederrheinliga gerade so eben über die Runden.

Schuldenfalle

Was die europäischen Spitzenvereine in England, Spanien und Italien mit ihren Milliardenschulden vormachen, vollziehen auch die kleineren Clubs in Deutschland nach: Man lebt über die Verhältnisse und wettet auf die Zukunft. Natürlich sind Verbindlichkeiten im Bereich oberhalb von 800 Millionen Euro wie bei Real Madrid geradezu absurd, aber angesichts dieser Situation dann Saison für Saison Ablösesummen von über 100 Millionen Euro (bei Transfereinnahmen, die selten bei mehr als 60 Prozent der Ausgaben liegen…) zu investieren, ist einfach nur verrückt. Allerdings hat der Wahnsinn bei Clubs wie Real, Manchester United (und seit Neustem auch City…) sowie aktuell Inter Mailand Methode. Es ist ganz klar, dass es sich hier um Blasen handelt, die irgendwann platzen werden. Und weder die Stadt Madrid – in diesem Beispiel – noch der Staat Spanien wird es sich noch einmal leisten können, dem Verein ein Gelände zu einem Preis, der beim Sechzigfachen des Marktwertes lag, abzukaufen – allein, weil Real gar keine Immobilien mehr besitzt.

Den einzigen Wert den diese grotesk hoch verschuldeten Unternehmen, die sich „Fußballclubs“ nennen, noch aufweisen, ist der jeweilige Markenwert. Der ist aber bei nüchterner Betrachtung ganz abstrakt, weil weder kurz-, noch mittelfristig in Liquidität umzumünzen. ManUs Name ist nur Geld wert, wenn man im Bereich des Merchandising Hundertausende Trikots verkaufen kann. Das geht aber nur in den nicht-europäischen Märkten (Asien, USA). Und auch nur, wenn ManU dort einen gewissen Grad an Popularität hat. Den kann aber jeder Spitzenclub nur halten, wenn man regelmäßig im Fernsehen präsent ist, also vorzugsweise während der Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb. Würde ManU beispielsweise vier Jahre lang weder Champions-, noch Europa-Liga spielen, wären massive Einbußen im Merchandising die Folge.

Mit dem Wert der Marke zu hantieren ist hierzulande nur wenigen Clubs möglich. Außerhalb der ersten Bundesliga schon gleich gar nicht. Das bedeutet, dass der Abstieg für einen Verein mit geringem Markenimage eigentlich schon so etwas wie ein Todesurteil ist. Einerseits weil die Einnahmen sofort dramatisch einbrechen, andererseits weil die mittelfristigen Umsätze durch sinkende Merch-Einnahmen auch zusammen brechen. Wenn nun Vereine wie aktuell Bielefeld und Aachen, potenziell in Zukunft auch Hertha und der VfL Bochum bedroht sind, dann kann nur ein solides Image mit überregionaler Strahlkraft den Exitus verhindern. Der FC St. Pauli zeigt dies vorbildlich. Aber auch Fortuna Düsseldorf ist da auf einem positiven Weg: Durch den anhaltenden Erfolg wächst die lokale Identifikation, damit die Zahl der Mitglieder und Dauerkarteninhaber, dadurch die Einnahmen im Merchandising und letztlich der überregionale Bekanntheitsgrad.

Nur wetten darf man auf eine derartige Entwicklung nicht. Anders ausgedrückt: Einen solchen Erfolg kann sich kein Verein kaufen. Dazu gehört nämlich eine Politik der ruhigen Hand, ein gerade im Finanzbereich vorsichtiges und nachhaltiges Agieren. Und vor allem: Eine solide Imagepflege.

Einfach Fußball

Das ist also die unternehmerische Seite des Fußballs. Die ja in der öffentlichen Wahrnehmung und auch Diskussion oft überdimensional viel Raum einnimmt. Schon die sportliche Seite des Spiels kommt dabei zu kurz. Zumal sie zunehmend zum Hantieren mit Floskeln, Binsenweisheiten und sinnentleerten Lehrsätzen verkommt. Beste Beispiel war die Debatte um den Ausfall von Michael Ballack. Die notorischen Medienvertreter zettelten sofort eine Diskussion um den nächsten „Führungsspieler“ an. Immer wieder wurden Begriffe wie „Leitwolf“, „Capitano“ etc. wiedergekäut, als ob eine Mannschaft überhaupt nur erfolgreich sein könne, wenn es einen Spieler gäbe, der auf dem Platz das Sagen hat. Wer sich noch an den genialen argentinischen Nationalcoach César Luis Menotti erinnert, wird vielleicht im Ohr haben, dass schöner Fußball nur aus einem Team gleichberechtigter Künstler kommen kann. Nix da mit Leitwolf…

Natürlich hat aber die Theorie vom starken Führer, der seine Kameraden zum Sieg bringt, eine politische Dimension. Denn genau so hätten die konservativen Kräfte ja die Gesellschaft: Starke Persönlichkeiten sagen dem Volk, was es zu tun hat – und davon profitieren alle.

Dass der Fußball in unserer Gesellschaft aber spätestens seit den frühen Dreißigerjahren eine erhebliche kulturelle Funktion hat, wird im öffentlichen Diskurs weitestgehend ausgeblendet. Und da sind wir dann wieder auf dem Fußballplatz, wo man den Rasen riecht, die Spieler hört und zusammen mit Gleichgesinnten die Mannschaft unterstützt, die einem das Stück Heimat bedeutet, das jeder Mensch braucht.

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