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Ein wenig Fortuna-Historie in den Zeiten der Geisterspiele

[Vorsicht, langes Lesestück! Aber mit Bildern…] Nein, ganz viele altgediente Fortuna-Fans haben nicht einfach nur „keinen Bock“ auf Geisterspiele, sondern sind vom ganzen skrupellosen Getue der DFL rund um das zwanghafte Zuendespielen der Saison abgestoßen. Und, nein, das richtet sich auch nicht bloß irgendwie gegen „Kommerzialisierung“. Noch einmal nein: Die Abneigung dagegen, Partien unserer geliebten Fortuna nur im Bezahlsender gucken zu können, ist nicht „plötzlich“ gekommen. Die Ablehnung gegen das ganze System, das ich hier schon des Öfteren als Soccer-Entertainment-Business gebrandmarkt habe, kam schleichend und hat gute Gründe.

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Fußball-WM-Kitsch anno 2010
Natürlich werden wir wieder alle „hinrennen“, wenn es möglich sein wird, unsere Jungs im Stadion – daheim und auswärts – unterstützen zu können. Eigentlich begann alles schon im Jahr 2006 mit der „WM im eigenen Land“, mit dem korrupten Denken und Handeln von Figuren wie dem ehemaligen FIFA-Vorturner Sblatter und dem sogenannten „Kaiser“, der sich der gerechten Verfolgung seiner unwürdigen Taten durch Krankheit zu entziehen trachtet. Noch der WM 2002 in Japan und Südkorea und der EM 2004 in Portugal bin ich mit ziemlicher Begeisterung gefolgt, obwohl schon sichtbar wurde, worum es den Verbänden wirklich geht – nämlich ums Geld.

Aber zu der Zeit ging’s unsere wunderbaren Schicksalsgöttin ziemlich schlecht, und das Ziel ihrer (damals wenigen) Anhänger war es beinahe ausschließlich, den Verein irgendwie am Leben zu halten. Dabei haben sich summasummarum vielleicht 100, 200 oder 300 Menschen, die F95 im Herzen tragen, auf vielfältigste Weise engagiert, und hätte es zum Beispiel die legendäre „Montagsrunde“, den Geheimbund „DFK 1911“ und die „Olio-Opposition“ nicht gegeben, wer weiß, ob wir uns heute überhaupt noch Gedanken über Profifußball in Düsseldorf machen müssten. Das Engagement einiger und die ruhige Hand, mit der Charly Meyer in jenen Jahren den Verein durch die Untiefen von Ober- und Regionalliga geführt hat, waren die entscheidenden Faktoren.

10. 9. 2004: Die Multifunktionsarena am Tag des Softopenings
Gleichzeitig galt es, das Treiben des OB Erwin in Schach zu halten, der den Verein nur deshalb wieder großmachten wollte, um sein völlig schieflaufendes Projekt „Mehrzweckarena“ zu retten. Wir mussten mit ansehen, dass „Weltmeister“ Thomas Berthold als Managerpraktikant allergrößten Blödsinn machte und man uns tatsächlich den schwer erträglichen Reiner Calmund als Aufsichtsrat reindrückte. Aber, das Band zwischen der jeweiligen Mannschaft und den aktiven Fans, das wurde aber 2004 immer fester. Und durch den Erfolg der genannten Initiativen und Aktivitäten lernten wird, dass man einen Verein wieder in Schuss bringen kann, ohne dass man ihm dem großen Geld ausliefert.

Die Fan-Verbände SCD und UD waren es, die immer wieder sorgfältig darauf achteten, dass F95 nicht den Weg der Clubs ging, die sich an Mäzene, Großsponsoren oder gar Investoren verkauften und so Teile ihrer Identität aufgaben. Und das alles gegen eine anschwellende Kampagne der Sportmedien, die uns immer mehr zu Konsumenten machen wollten, zu Fan-Boys und -Girls irgendwelcher Superstars, die uns einredeten, man müsse „gute Spieler einkaufen“, sonst habe man keine Chance. Weil zudem Fußball im TV zur omnipräsenten Ware wurde, wuchs die Zahl der Leute, die „einfach nur guten Fußball“ sehen wollten, also Ballkünstler beim fehlerfreien Spiel.

Parole 2005: Wir sind der Verein
Das war nicht das, was wir uns vorgestellt hatten, als wir der kaum noch atmenden Fortuna wieder Leben einhauchten. „Wir sind der Verein“ war die Parole, also die stolze Gewissheit, dass die Geschicke UNSERES Vereins in UNSEREN Händen lagen und nicht in denen irgendwelcher Handlungsreisenden in Sachen Fußballgeschäft. Ja, nach dem ganzen Hickhack rund um das Sportwelt-Darlehen, dem sportlichen Misserfolg und dem auf beinahe Null sinkenden Interesse der Düsseldorfer an der Fortuna, wussten wir, dass F95 anders ist als die anderen, dass es die von den aktiven Fans geschaffenen Werte sind, die es zu bewahren galt.

Mindestens 7.000 (manche sagen: 10.000) reisten im Mai 2009 zu entscheidenden Spiel um den Aufstieg in die zweite Liga nach Erfurt. Axel Bellinghausen, damals beim FC Augsburg, war als Fan dabei, und Geschäftsführer Paul Jäger herzte und küsste ihn wie einen verlorenen Sohn. Da fuhr niemand hin, weil er irgendeinem „Spektakel“ beiwohnen wollte. Da war man in Erfurt, weil man den möglichen Aufstieg zusammen mit allen, die diesen Verein ausmachten, feiern wollte. Hat leider nicht geklappt, aber ein Jahr später gelang dann in einem denkwürdigen Spiel vor 55.000 Zuschauern gegen Werder II tatsächlich der herbeigesehnte Aufstieg.

Dezember 2012: Aktion „12:12“ und die Pokalblamage in Offenbach
Und damit hatten sich die Mühen der Leute, die das Rheinstadion-Abrissspiel, die Aktion 25.000+ und andere Unterstützungsaktionen ermöglicht hatten, ausgezahlt. Nicht wenige F95-Fans saßen später bei der Party im Stahlwerk wenig euphorisch da und sagten sich „Und, was nun?“ Denn eigentlich war das Ziel erreicht, und die erste Liga lag in weiter Ferne. Schön war die Zeit in der zweiten Liga mit einer Fülle toller Partien gegen andere Traditionsvereine, die ohne den ganzen Event-Quark auskamen. Und irgendwie befassten sich die Veteranen nicht mit einem weiteren Aufstieg.

Aus heutiger Sicht kann man – neben 2006 – das Jahr 2012 als einen negativen Meilenstein in der Geschichte des Bundesligafußballs bezeichnen – gerade auch aus Fortuna-Sicht. Dass die Rotweißen es in die Relegation geschafft hatten, war schon aufregende genug, dass die Jungs dann aber auch noch im Berliner Olympiastadion gegen die hochbezahlten Stars gewannen, war kaum noch zu fassen. Der Verlauf des Rückspiels ist in die Geschichte eingegangen und wurde von diversen Medienmenschen, die sich in den After der Verbände begeben hatten, um dort ihr Einkommen zu sichern, zum Anlass für einen breitangelegten Angriff auf die aktiven und engagierten Fans aller Vereine missbraucht.

Klare Meinungsäußerung aus gutem Grund
Oberflächlich betrachtet ging es um das Verbot von Pyro im Stadion. Tatsächlich aber verarschte der DFB diese Zielgruppe, von der man dort glaubte, man brauche sie nicht mehr. Ein begonnener Dialog zwischen Verband und Fans wurde ohne Begründung abgebrochen. Fortuna wurde mit dem Teilausschluss von Zuschauern – ausgerechnet bei der Begegnung gegen Ostholland im September bestraft, und als die Ultras das mit dem Banner „Fick dich DFB“ beantworteten, wurde das zusätzlich bestraft. Die Aktion „12:12“ wurde geboren, und über Wochen schwiegen die Fans in den Kurven bis zur jeweils 12. Spielminute.

Einsichtige Sportreporter empfanden das Schweigen als gespenstisch und bekannten sich dazu, dass lautstarke Anhänger das Salz in der Ligasuppe sind. Intern gab’s Zoff als eine knappe Mehrheit der Fortuna-Fans diesen Stimmungsboykott auch beim Pokalspiel in Offenbach durchzogen. F95 schied aus, und Paul Jäger beschimpfte die Boykotteure noch vor Ort als „Wichser“. Genau diese Masturbateure hatten aber im August eine mächtige Demo auf die Beine gestellt, die vom Paul-Janes-Stadion in die Altstadt zog und lautstark sowie mit kreativen Plakaten ihre Position im Krieg zwischen DFB und Fans deutlich machten.

F95 Zwote vs RWE 1:1 – der Himmel weint
Übrigens: Trotz Aufstieg in die erste Liga kehrten einige derjenigen, die nur ein paar Jahre zuvor mit voller Kraft an der Rettung der Fortuna mitgetan hatten, der ersten Mannschaft den Rücken und schlossen sich den eingefleischten Unterstützern der U23, liebevoll „die Zwote“ genannt an. Denn bei deren Spielen am Flinger Broich, da konnte man noch den guten, alten Fußball erleben – samt Rasengeruch und Stadionwurst. Und plötzlich waren die engagierten Anhänger in der Arena in der Minderheit. Nach dem Aufstieg war die Fortuna in der Stadt plötzlich wieder hip und cool, und fast 20.000 Leute, die unbedingt Erstligafußball live erleben wollten, hatten sich Dauerkarten besorgt.

Und plötzlich waren die Ultras die Bösen. „Selbstdarsteller“ nannten die neuen Zuschauer sie, „pyrogeile Bengel“ und „Bengalos haben im Stadion nichts zu suchen“ war ihre Parole. Empört beschwerten sich manche, die – um möglichst viel Emotion abgreifen zu können – Plätze in der Nähe der Ultras gebucht hatten, dass Schwenkfahnen ihnen die Sicht aufs Spielgeschehen nähmen. Sich selbst als „oldschool“ empfindende Gestalten lästerten unentwegt über den konzertierten Support mit einem Kapo an der Spitze. Und überhaupt wurde manchmal mehr über die „Stümmung“ diskutiert als über das gesehene Spiel.

Wer in den dunklen Jahren der Fortuna dabei war, wer Oberligapartien in Düren oder sonst wo besucht und Spiele vor kaum 2.000 Zuschauer bei nasskaltem Wetter im PJS gegen Ratingen verfolgt hatte, wusste, was es mit „Fußballkultur“ auf sich hat – die Neulinge, die man umgekehrt als „Eventies“ schmähte hatten davon keine Ahnung. Der Kampf zwischen diesen Fronten unterschiedlichen Interesses tobte heftig, aber – wie wir Fortunen so sind – schafften es die verschiedenen Fan-Gruppierungen, die sich ansonsten untereinander spinnefeind waren, sich zumindest temporär zu verbinden mit dem Ziel, der Mannschaft die maximal mögliche Unterstützung zu geben.

Platzsturm: Nach der Relegation im Mai 2012 gegen die Hertha – Aufstieg!
So gelang der Aufstieg 2012. Doch der Schock bei den ersten Auswärtsspielen war für viele groß. Blöcke der Gästefans wurden durch gigantische Lautsprecherboxen mit nervenzerfetzendem Reklamekram und der schlimmstmöglichen Musik beschallt. Bis zum Anpfiff fühlte es sich an wie bei einer Verkaufsveranstaltung, und alle etablierten Erstligaclubs hatten echte Fan-Gefühle längst durch künstliche, choreographierte Emotionen ersetzt. So hatten wir uns das nicht vorgestellt, und als die Fortuna am Ende wieder abstieg, waren viele einfach nur erleichtert.

Was macht es eigentlich aus, dieses Fan-Dasein (von dem Ahnungslose als einem „Hobby“ reden)? Es besteht zu einem großen Teil aus der Sozialhydraulik unter Gleichgesinnten. Der Block, der ist ein Dorf, dessen Einwohner grundverschieden sind, aber durch die Liebe zur Tradition ihres Kaffs miteinander verbunden sind. In der Kurve zu stehen, gibt einem das Gefühl von Heimat – gern auch durch Verachtung der Gegner ausgedrückt. Fußball ist dabei ein Vehikel, Spieler sind Stellvertreter, und manche werden zu Helden. Nicht weil sie so tolle Fußballer waren oder sind, sondern weil sie mit ihrer ganzen Persönlichkeit zeigen, dass sie zu dem Verein stehen wie wir – „einer von uns“ ist da die höchstmögliche Auszeichnung.

Die Fortuna-Kultur ist eine besondere Form der Fußballkultur, einfach weil die F95-Geschichte – besonders die der vergangenen 20 Jahre – so besonders ist. Die Nähe zwischen Fans, Spielern und teils auch Funktionären, ist ungewöhnlich, die Kreativität der Anhänger herausragend. Geisterspiele aber widersprechen dieser spezifischen Fortuna-Kultur in einem extremen Maß – vielleicht mehr als sie das bei vielen anderen Vereinen tun. Und deshalb boykottieren so viele altgediente F95-Anhänger die Geisterspiele bzw. ihre Übertragung im Bezahl-TV.

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