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F95 vs Hannover 1:1 – Vom Schlechtreden und vom Schönreden

Analyse · Zunächst: Der Ergebene bittet alle Leser:innen je nach ihrer Religion oder Weltauffassung für Andre Hoffmann zu beten, eine Kerze aufzustellen oder einfach positiv an ihn zu denken. Denn was der üble Zusammenstoß schlimmstenfalls bei ihm bewirkt haben kann, ist schrecklich. Dabei handelte es sich um einen Unfall im wahrsten Sinne des Wortes; niemanden trifft eine Schuld. Nach dem Spiel übten sich die üblichen Verdächtigen wieder im Schlechtreden: Auf den Trainer wurde eingedroschen, auf die Spieler, auf Uwe Klein natürlich, und inzwischen dehnt sich die Wut auch auf Klaus Allofs und Thomas Röttgermann aus. Unser Cheftrainer Christian Preußer konnte sich in der Pressekonferenz dagegen ein Schönreden nicht verkneifen und meinte sein Team habe „ein tolles Heimspiel“ gemacht. Wie immer liegt die Wahrheit in der Mitte und lässt sich nur filetieren, wenn man die persönlichen Interessen weitgehend ausschließt. Dann könnte die Kurzanalyse lauten: Fortuna hat eine sehr starke erste halbe Stunde und bis zur Pause alles unter Kontrolle. Auch in der zweiten Halbzeit hatten die Roten mehr Chancen, gerieten aber immer mehr unter Druck. Nach dem Doppelwechsel in der 89. Minute ging die Struktur flöten, die Konzentration ließ nach, sodass Hannover der Ausgleich gelang. [Lesezeit ca. 7 min]

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Irgendwie muss man als Fan einfach mal davon loskommen, nach Misserfolgen immer nur nach Schuldigen zu suchen. Zielführender wäre es, nach den Gründen zu suchen; Trainer und Spieler sind keine Gründe, sondern Menschen, die versuchen ihr Bestes zu geben, was ihnen nicht immer gelingt. Nun hat Christian Preußer zugegeben, dass ihn die Leistungsschwankungen von Spiel zu Spiel ratlos machen, er also keine bissfesten Gründe dafür findet. Wie will er dann die Leistungsschwankung WÄHREND einer Partie erklären, denn die konnte jeder wache Beobachter gestern konstatieren. Dabei hatte alles richtig gut angefangen. Die Fortuna zog mit der ersten Ballübernahme gleich los und setzte den Gegner massiv unter Druck. Felix Klaus holt in der 5. Minute eine Ecke heraus. H96-Verteidiger Krajnc verliert die Kontrolle, Chris Klarer steigt hoch und köpft perfekt ein.

F95 vs Hannover: Uwe Klein erklärt die Welt (Screenshot Sky)

Wer jetzt dachte, es würde so weitergehen, kennt die Fortuna nicht, insbesondere die Fortuna 2021/22. Nicht dass das Team einen Gang heruntergeschaltet hätte, aber der Schwung der ersten Minuten ließ bis zur 30. Minute kontinuierlich nach – unerklärbar. Denn eigentlich war die Startaufstellung so beschaffen, dass weiter Druck hätte gemacht werden können. Ein bisschen überraschend hatte Preußer Khaled Narey auf Linksaußen gestellt, während Felix Klaus die rechte Seite zu beackern hatte. Dies offensichtlich als Ergebnis ausführlicher Videoanalysen der hannöverschen Spielerei. Weil Klaus einen Bombentag hatte, klappte das auch ganz gut. Wobei: Das Zusammenspiel zwischen Zimbo Zimmermann und dem Felix funktionierte ganz gut, weil sie schon öfter so kooperiert haben.

F95 vs Hannover: Die Roten begrüßen das Fanvolk (Screenshot Sky)

Auf der anderen Seite ließ sich dagegen weniger Harmonie zwischen Flo Hartherz und Narey feststellen, also diese typischen Laufwege hinter die gegnerische Linie mit Doppelpässen und allem, was dazugehört. Was nicht heißen soll, dass Hartherz oder Narey nicht gut gewesen wären. Im Gegenteil: Je öfter Flo in der Startelf steht, desto sicherer wird er, desto klarer seine Spielweise. Und Narey war wieder die Vitaminbombe im Sturm – den kann ein Trainer hinstellen, wo er will, Khaled wird immer liefern. Wobei er auf der linken Außenbahn postiert deutlich öfter ins Zentrum zog als sonst und dann mit Shinta Appelkamp ein Spielmacherduo bildete.

Ehrlich gesagt: Die Hannoveraner waren über den größten Teil der ersten 45 Minuten genau so schlecht wie vor anderthalb Wochen im Pokalspiel. Natürlich zeigten sich die Fortunen überzeugend in der Balleroberung und dem Abgreifen zweiter Bälle, aber die Gäste ließen riesige Räume und waren am Ball weitgehend unsicher. Dementsprechend fielen auch die statistischen Werte zur Halbzeit aus, die F95 über 60 Prozent gewonnenen Zweikämpfe attestierten. Die Passquote war mit 75 Prozent wieder mies und besserte sich auch bis zum Ende nicht. Dass unsere Jungs kontinuierlich nachließen und so die Hannoveraner starkmachten, zeigt sich an der Zweikampfquote, denn am Ende hatte dabei H96 mit 51 Prozent die Oberhand.

F95 vs Hannover: Anweisungen an der Seitenlinie (Screenshot Sky)

Gerade aus der wirklich sicht- und fühlbaren Überlegenheit hätten die Burschen in Rot in der ersten halben Stunde zwingend ein weiteres Tor machen müssen. Gelegenheiten gab es genug – zum Beispiel als Cello Sobottka in der 17. Minute ein Ei über den Kasten legte. Und dann in der 47. Minute nach einer weichen Bogenflanke von Hartherz auf den langen Pfosten, wo sich Rouwen Hennings und Felix Klaus ein bisschen im Weg stehen. Apropos Hennings: Unserem Knipser hätte man gestern sehr, sehr eine Bude gewünscht, so wie der geackert hat, so wie der immer wieder goldrichtig im Sechzehner stand. Aber der gute Rouwen hatte eine Menge Pech; laut Strichliste wurden insgesamt sechs Schussversuche im Strafraum abgeblockt – normalerweise geht einer davon rein.

F95 vs Hannover: Andre Hoffmann schwer verletzt – wir sind bei ihm (Screenshot Sky)

Warum aber kamen die Hannoveraner ab der 30. Minute so auf? Einer der Gründe war vermutlich, dass nach der schlimmen Verletzung von Andre Hoffmann und einigen kleineren Unterbrechungen etwas ab Minute 25 der Rhythmus bei der Fortuna raus war. Kann passieren, muss aber von der Linie aus gesehen werden, und die Coaches müssen darauf reagieren. Tatsächlich rief Preußer zwischen der ersten Verletzungsunterbrechung und der 25. Minute gleich vier Mal das halbe Team an die Bank, um Anweisungen zu erteilen. Irgendeine taktische Änderung war aber danach nicht zu beobachten. Der Ergebene hatte in der Phase so einen unterschwelligen Wunsch, Käpt’n Bodze möge das Heft in die Hand nehmen und für neuen Schwung sorgen. Tat er aber nicht. Das ist auch immer ein bisschen enttäuschend, dass der nominelle „Leader“ aktuell ein gutes Spiel nach dem anderen hinlegt, aber seinen Haufen nicht mitreißen kann.

F95 vs Hannover: 57. Minute – War das ein Handspiel? (Screenshot Sky)

Übrigens: Natürlich gab es keinen Grund vor der Pause Personalwechsel vorzunehmen, denn keiner der Jungs zeigte Schwächen oder hing durch. Besonders auffällig, dass der für Andre Hoffmann eingewechselte Tim Oberdorf sich nahtlos einfügte und wieder eine starke Leistung bot, die ihn auch weiterhin für die Startelf empfiehlt. Zumal das Duett von ihm mit Chris Klarer optimal funktioniert. Der einzige Akteur, der im Vergleich ein bisschen hinterherhinkte, war Cello Sobottka, der aber auch zwischen Bodzek hinter und Appelkamp vor sich eine schwierige Position zu spielen hatte.

Und weiter: Hanoi kam taktisch stark verändert aus der Pause, es roch nach verstärkter Defensive mit gezieltem Konterspiel. Also sah die Fortuna bis zur 60. Minute wieder erheblich überlegen aus. So hätte Narey in der 55. Minute gut und gern das 2:0 erzielen können, wenn nicht sogar müssen. Als Zuschauer, der rote Aktien in der Sache hat, dachte Ihr Ergebener, es wäre nur eine Frage der Zeit bis zur erlösenden zweiten Bude. Vermutlich wäre ein solcher Treffer auch der Siegtreffer geworden, denn auch wenn Hannover nun ein paar Mal brandgefährlich vor Flo Kastenmeisters Kasten kam – einen Zweitorevorsprung aufzuholen, hätte denen niemand zugetraut.

F95 vs Hannover: Der blöde Ausgleich kurz vor Schluss (Screenshot Sky)

Bis zur 71. Minute ging das immer so weiter. F95 versuchte den Hanoi-Panzer zu knacken, kam zu Chancen, die aber zu selten zwingend genug waren (außerdem kam Rouwens Schusspech hinzu). Aus jedem Ballverlust machten die 96er gleich einen Konter, und vorne lungerte deren gefährlichster Angreifer ständig herum. In der 66. hätte es bei Flo geklingelt, wären Oberdorf und Klarer nicht konzertiert gegen diese Mann vorgangen. Und trotzdem: Am Ende standen 17 fortunistische Torschüsse gegen elf der Gäste, wobei die genauere Statistik mehr Chancen für Hannover listet.

F95 vs Hannover: Bodze geht, die Struktur auch (Screenshot Sky)

Was Christian Preußer geritten hat, nun ausgerechnet zwei der drei offensiv wirkungsvollsten Kicker vom Rasen zu holen, hat er mit der ihm eigenen Eloquenz in der PK selbst erklärt. Okay, bei Appelkamp könnte es was mit dieser ominösen „Belastungssteuerung“ zu tun haben, wobei der gute Shinta nicht besonders erschöpft wirkte und kurz zuvor noch einen schicken Weitschuss versucht hatte. Den Schweden als Flügelmann reinzuholen, ist nachvollziehbar, zumal dadurch Narey auf seine „natürliche“ Seite kam. Manchmal hat man das Gefühl, dass Preußer in solchen Situationen einfach zu kompliziert denkt. Mit Robert Bozenik eine zweite Spitze einzuwechseln, wo das Umschaltspiel der Gäste doch eher eine defensive Absicherung erfordert, ist schwer erklärbar.

F95 vs Hannover: Christian Preußer – man wird nicht so recht schlau aus ihm (Screenshot Sky)

Annähernd absurd dann die Wechsel in 89. Minute. Es war klar, dass auch in der zweiten Halbzeit einiges nachzuspielen wäre; es ging also darum, das 1:0 unbeschadet nachhause zu bringen. Und dann holt Preußer Bodzek raus! Genau den Mann, der dem Verteidigungsverbund durchgehend Struktur verliehen hatte! Und bringt dafür mit Kuba Piotrowski einen eher nach vorn orientierten Achter, der aber auch für den Rest der Zeit nicht so recht wusste, was genau er spielen sollte. Auch Rouwen Hennings, der ja in brandigen Situationen Defensivstärken zeigt, gegen Emma Iyoha auszutauschen, war zumindest merkwürdig. Denn bis zum 1:1 in der 92. Minute durch einen Zauberschuss war nicht abzusehen, dass die Hannoveraner irgendwas aus der Arena würden mitnehmen können. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die fragwürdigen Wechsel haben nicht eins-zu-eins zum blöden Ausgleich geführt, aber sie haben das Gefahrenpotenzial erhöht.

F95 vs Hannover: VAR wegen Hand in der Schlussminute (Screenshot Sky)

Und dann waren da noch zwei mögliche Handelfmeter. Einer in der 54. Minute auf der Fortuna-Seite gegen Oberdorf, einer ganz kurz vor Schluss im hannöverschen Strafraum. Beide wurden nicht gegeben, und wenn der weitgehend sichere Schiri Kampka den einen nicht gibt, kann er den anderen auch nicht pfeifen. An beiden Szenen konnte man übrigens gut ablesen, dass die neue Handspielregel sehr viel besser funktioniert als der ganze Quatsch der letzten Jahre.

F95 vs Hannover: Die Vorstände Allofs und Röttgermann zunehmend in der Kritik (Screenshot Sky)

Und wieder müssen wir Liebhaber der Diva mit einer Enttäuschung klarkommen. Es macht aber keinen Sinn, deshalb die ganze Partie schlechtzureden. Nur stellt sich die Frage, wie oft der ganze Apparat mitsamt dem sogenannten „Umfeld“ solche Enttäuschungen hinnehmen wird. Schließlich steht die Saison bereits vor dem 14. Spieltag, und die Verantwortlichen sollten langsam realistisch werden. Das heißt konkret über den Rest der Spielzeit nachzudenken. Dass die Fortuna mit diesem zumindest nominell starken Kader nicht in den Abstiegsstrudel geraten wird, ist zu erwarten. Mit dem Aufstieg wird dieses Team mit diesem Trainer aber wohl auch nicht mehr eingreifen können. Selbst eine (nicht sehr wahrscheinliche) Siegesserie gegen Dynamo, Heidenheim und Darmstadt würde wohl nur für einen Platz zwischen 6 und 10 reichen. Grund genug, ab sofort doch einmal andere Systeme mit anderen Akteuren auszuprobieren – speziell mit Oberdorf, Lobinger, Iyoha und Sieben.

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