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F95 vs Sandhausen 0:1 – Fortuna und die große Depression

Analyse · In den Zeiten wirtschaftlicher Depression hat der Populismus Hochkonjunktur. Das gilt für große nationale und internationale Krisen wie auch im eigentlich unwichtigen Fußball(geschäft). Also schauen auflagengeile Medien dem Fanvolk aus Maul und fragen nach, ob es findet, der Trainer gehöre rausgeschmissen. Klar dass eine breite Mehrheit der Antwortenden (nicht der gesamten Fanschaft, wohlgemerkt) fordert, dass Christian Preusser gehen soll, dass er Sportvorstand Uwe Klein gleich mitnehmen soll, und auch Legende Klaus Allofs ist irgendwie schuld. Komischerweise ist das einzig Faktische an diesem missratenen Spiel die Niederlage an sich. Da sollte jede:r klardenkende:r Anhänger:in dieses großartigen Vereins sich doch mal fragen: Lag es wirklich am Trainer? Lag es wirklich am angeblich, ach, so schwachen Kader? [Lesezeit ca. 7 min]

Operieren wir einmal eine Tatsache aus dem ganzen Klumpatsch an Beobachtungen und Meinungen: Dieser komische SV Sandhausen hat am Freitagabend in der Arena praktisch und im Rahmen seiner spielerischen Möglichkeiten fehlerfrei gespielt. Ist natürlich auch nicht schwer, wenn man ab Minute 7 nach dem frühen Tor vorwiegend defensiv agiert und nur eher halbherzig auf Konter hofft. Mutig (auf diesen Begriff kommen wir noch zurück) war das sehr hohe Pressing mit bis zu fünf Mann in den ersten Minuten und später ab und an mal. Gerade das Anlaufen am eigenen Sechzehner verwirrte die startenden Fortunen erheblich; sie waren offensichtlich überrascht und fanden keine angemessene Reaktion.

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Der Siegtreffer für die Sandhäuser fiel aber gar nicht aus einem solchen Pressing, sondern einem eher schlichten Spielzug. Der bekloppterweise erneut als mittlerer Mann der Dreierkette eingesetzte Dragos Nedelcu ließ sich verarschen wie ein Klippschüler. Überhaupt war der freundliche Rumäne mit seinem Job auf ganzer Linie überfordert und durfte nach der Pause auf der Bank Platz nehmen. Die Causa „Nedelcu“ spielt den rausschmisswilligen Wutfans in die Karten. Denn ihn nach der fragwürdigen Leistung gegen Pauli erneut als Bodzek antreten zu lassen, kann nur als schwerer Fehler des Trainerteams betrachtet werden. Ihr Ergebener betont: Trainerteam.

Aufmerksame Beobachter wissen nämlich, dass der ewige Cotrainer Tom Kleine seit den Desastern gegen Dresden und Rostock erheblich mehr zu sagen hat als zuvor in der Saison. Nun neigt TK dazu, sich im Hintergrund zu halten, was natürlich bequem ist, wenn man sich nicht zu Fehlentscheidungen bekennen muss. Weiters muss man hinterfragen, was Uwe Klein getrieben hat, den Dragos zu verpflichten, wo doch für dessen nachweisbare Qualitäten gar keine Planstelle im Kader frei war. In der rumänischen Verbandsauswahl wird als Mittelfeldler geführt und wurde vorwiegend als defensiver Sechser eingesetzt. Man könnte ihn also als Fehleinkauf bewerten.

F95 vs SVS: Das 0:1 in der 7. Minute – das spielentscheidende Tor (Screenshot Sky)

Überhaupt: Warum gegen einen solchen Gegner wieder die Dreierkette? Der Charme dieser Formation mit drei Innenverteidiger liegt doch darin, dass man unter Druck eine defensive Fünferkette formieren kann. Offensiv hängt alles von den beiden Außenläufern ab, also den umfunktionierten Außenverteidigern – im konkreten Fall Leo Koutris und Khaled Narey. Weil die dann noch zwei Außenstürmer vor sich haben, läuft das meiste über die Flügel; also: an der Linie lang, wenn’s schön läuft mit Doppelpässen, bis an die Grundline, Flanke… kein Tor.

Grundsätzlich hat die Fortuna in der Saison 2021/22 einen in fußballtechnischer Hinsicht ziemlich guten Kader – also im Vergleich mit ungefähr zwei Dritteln der Liga. Die Siege gegen Karlsruhe und vor allem in Darmstadt haben das gezeigt. Will ein Team gegen einen spielerisch unterlegenen Gegner gewinnen, ist ein 4-4-2 oder, besser noch, ein 4-3-3 angesagt. Nur leider haben die Coaches ihren Kickern gar nicht so viele verschiedene Systematiken beigebracht. Okay, mit gutem Willen kann man als Erklärung akzeptieren, dass es so oft Verletzte gab, Corona-Betroffene oder durch Länderspielreisen Ausgelaugte.

F95 vs SVS: Schau an – Cello kann sich doch mal aufregen… (Screenshot Sky)

Überhaupt: Cheftrainer Christian Preusser und sein Mitstreiter Thomas Kleine haben die Mannschaft auf das Spiel gegen den SVS Sandhausen völlig falsch eingestellt. Muss man klar sagen. Das heißt aber nicht, dass Preusser ein schlechter Trainer wäre, denn diesen Fehler hat er in der laufenden Saison eher selten beziehungsweise gar nicht gemacht. Die Coaches haben es aber der Mannschaft dieses Malextrem schwer gemacht erfolgreich zu sein. Die Frage steht im Raum: Warum wehrt sich das Team nicht? Wir erinnern uns: Als die Burschen anfangs der Saison 2020/21 mit der Dreierkette nicht zurechtkamen, haben sie Trainer Rösler mitten im Spiel (gegen Darmstadt, übrigens) klar gemacht, dass es nicht funktioniert, woraufhin der auf Viererkette umstellte und es auch dabei beließ.

Aber jetzt? Wo sind die Lauten, die Mutigen, die spätestens in der Pause sagen: Hey, Coach, läuft so nicht, lass uns was anderes probieren. Es heißt ja seit einiger Zeit, am Einsatzwillen läge es nicht. Ja, da muss man dann doch mal fragen, ab wann man von einem Team sagen kann, es kämpfe mit Leidenschaft? Womit wir beim mentalen Zustand des Kaders und der Jobbeschreibung des Axel Zehle angelangt sind. Spieler, die durch Verletzungen und Erkrankungen durchhängen, schwärmen in höchsten Tönen vom Mentalcoach. Aber, kann es sein, dass Zehle nur gut in der Einzeltherapie ist, einer Gruppe aber nicht in die mentalen Strümpfe helfen kann?

F95 vs SVS: Tom Kleine erklärt Shinta Appelkamp die Welt (Screenshot Sky)

Geneigte Leser:innen merken es schon: Der trotz allem bedingungslos Ergebene hat keine Lust, diese deprimierende Niederlage im Detail zu besprechen. Wirklich berichtenswerte Ereignisse gab es ja kaum außer dem Tor des SVS. Und, nein, unser Freund Charlie Benshop hat kein Handspiel im Strafraum begangen, Schiri Osmers hätte den kölschen VAR gar nicht erst bemühen müssen. Ohnehin war das Spiel von wenig Härte geprägt, weil die SVSler, die körperlich durchaus als Kloppertruppe hinlangen können, es gar nicht nötig hatten. Nur 8 (SVS) beziehungsweise 10 (F95) Fouls und nur eine gelbe Karte in der 86. Minute sprechen eine deutliche Sprache. Und wo bleibt das Positive? Unsere geliebte Fortuna lieferte mit einer Passquote von 83 Prozent den Bestwert der Saison; aber dafür kann man sich ebenso wenig was kaufen wie für 65 Prozent Ballbesitz.

Mut, Entschlossenheit, ein bisschen Boshaftigkeit, große Gefühle: Was sich durch die Saison zieht ist, dass diesem Kader einfach das Feuer fehlt. Okay, Rouwen Hennings hatte gegen Pauli die Schnauze voll und machte abseits des Balles Alarm. Und, gut, das Unentschieden in Unterzahl gegen den HSV war eine reine Willensleistung. Aber, aus sich heraus, aus der Sozialhydraulik, die in einer solch engen Arbeitsgemeinschaft herrscht, entstehen keine Flammen. Da brennt nichts. Und das ist kein Vorwurf an die einzelnen Spieler, denn so leicht kommt auch ein hochbezahlter Profifußballer nicht aus seiner Haut. Da muss schon ein exzellenter Psychologe ran, so ein erfahrener und guter Mentalcoach … oh, Mist, über den haben wir ja schon gesprochen.

F95 vs SVS: Vorstand und Aufsichtsrat wissen auch nicht so recht (Screenshot Sky)

Es mangelt eigentlich fast allen aktuellen Fortunen am heißen Temperament. Müssen wir schon wieder auf einen Ex-Spieler verweisen, der es hatte und den Ihr Ergebener sehr, sehr, sehr vermisst: Kaan Ayhan? Oder noch früher natürlich Rotznase Sascha Rösler? Oder oder oder. Das meiste Zeug dazu hat aktuell Chris Klarer, aber der ist gerade mal 19 Jahre jung! Cello Sobottka müsste ein emotionaler Leader sein. Und, ja, am Freitag hat er sich zweimal, na ja, aufgeregt über das Treiben der Kollegen. Tim Oberdorf, der für den Ergebener bester Spieler in Rot war, ist ein ruhiger Typ. Raffa Wolfs Charakter würde man als „ausgeglichen“ bezeichnen.

Weder Leo Koutris, noch Khaled Narey oder auch Emma Iyoha sind Lautsprecher. Kuba Piotrowski könnte mal ein Anführer werden, ist es aber noch nicht. Ao Tanaka? Nach so wenig Kontakt mit dem Team. Shinta Appelkamp? Ja, vielleicht in zwei, drei Jahren. Und Rouwen Hennings ist auch ein Kühler aus dem Norden, der nur wild wird, wenn er sich aus taktischen Gründen dazu zwingt. Alles still, nichts schreit, keiner brüllt, nicht einer tritt die Kollegen mal verbal in den Arsch. Und weder Christian Preusser, noch Tom Kleine sind Typen, die eine Truppe mit emotionalen Kabinenpredigten nach vorn treiben können.

F95 vs SVS: Ja, doch, Fortuna hatte gute Torchancen! (Screenshot Sky)

Und man könnte als erfahrene:r Anhänger:in der glorreichen Diva ja dem offiziellen Mantra von der Mittel- und Langfristigkeit einfach unkritisch, aber solidarisch folgen, drohte da nicht der Abstieg in die dritte Liga, die den TSV Fortuna finanziell schwer schädigen würde. Wobei Ketzer schon sagen: Wo ist der geldwerte Unterschied, ob man in der zwoten oder dritten Liga vor 10.000 Nasen spielt? Dieser emotionsarme Kader spielt die Leute aus der Arena, nicht durch Heimniederlagen, sondern durch dieses merkwürdige Phlegma, mit dem die Kicker auch auf solch bittere Niederlagen reagieren. Da sagt Käpt’n Cello nie ins Mikro, das alles sei eine elende Scheiße, was er und die Kollegen sich da zusammenspielen. Da finden alle befragten Spieler immer gesetzte Worte, die sich anhören wie auswendiggelernt. Aber, in Sachen Kommunikation agierte die Fortuna eigentlich immer schon im Amateurbereich.

Fortuna steht zum Jahresende nach dem ersten Spiel der Rückrunde mit 20 Punkten auf Tabellenplatz 13. Sollen die (in aller Regel) abstiegssichernden 40 Punkte eingefahren werden, reicht es nicht, einfach so weiterzumachen. Denn dann werden es nach Adam Riese eben nur 36, 37 oder 38 Punkte. Und nur mit 38 Punkten ist in den letzten Jahren noch niemand abgestiegen. Der Plan für die Partien in 2022 muss daher lauten: Schnell das Minimum sichern, um dann aus dieser gesicherten Position taktische, systemische und spielerische Experimente zu wagen. Ein solcher Plan – da haben Uwe Klein und Klaus Allofs vollkommen recht – schreit nicht nach einem Trainerwechsel. Zumal die langfristige Erfahrung zeigt, das sogenannten „Feuerwehrmänner“ in weniger als 50 Prozent der Fälle den übernommenen Club vor dem Abstieg retten.

F95 vs SVS: Chris Klarer, der kommende Leader, ist unzufrieden (Screenshot Sky)

Auch Uwe Klein genau jetzt zu schassen, wäre grober Unfug, denn einen Chefkaderplaner kann man nicht so leicht ersetzen wie einen Trainer, zu viele langjährige Kontakte würden beim UK-Rausschmiss flöten gehen, und im Transferbereich handelt es sich um persönliche Kontakte, nicht um welche des Vereins. Man darf auch bei aller berechtigter und fundierter Kritik an Uwe Klein (die ganzen Typen, die ihn einfach nicht mögen, ignorieren wir einfach…) nicht vergessen, dass er als Chefscout über einige Jahre dem Verein sehr nützlich war und auch nur deshalb Sportvorstand wurde, weil Lutz Pfannenstiel (aus guten Gründen) vorzeitig in den Sack gehauen hat. Danke an dieser Stelle noch mal an die Arschlöcher, die ihn und seine Frau mit ihrem rechtsradikalen Scheiß aus der Stadt getrieben haben.

Ihr völlig kritiklos Ergebener ist der Meinung: Da müssen wir jetzt einfach durch. Und wenn Uwe Klein und/oder Klaus Allofs sich, na ja, unsterblich machen wollen, dann verpflichten sie im Winter eine richtige Type, Position egal, der in der Lage ist, das Team zu motivieren, anzutreiben und bei Bedarf in den Arsch zu treten. Einen erfahrenen Recken, an dem sich die jungen Helden orientieren und aufrichten und von dem sie noch was lernen können, was nicht zur fußballerischen Technik gehört. Das wäre eine deutlich wichtigere Personalie als ein neuer Trainer à la Uwe Neuhaus, von dem man bei aller Liebe nicht erwarten kann, dass er dem Verein eine Zukunftsperspektive bietet.

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