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Braucht der Fortuna-Kader tatsächlich Verstärkungen für die Saison 2022/23?

Eine steile These – aber nicht ganz unrealistisch…

Analyse · Anfang der Woche war ich gemeinsam mit den geschätzten Kollegen Bernd Jolitz (Rheinische Post) und Norbert Krings (D.Sports/kicker) zu Gast in einer Online-Talkshow über unsere gute, alte Tante Fortuna. Da ging es auch um die kommende Zweitligasaison und die Frage, welche Verstärkungen der Kader wohl bräuchte. Da wagte ich die steile These, dass F95 unter Umständen gar nicht besonders aktiv am Transfermarkt werden müsse, dass man den Kader eventuell vorwiegend oder gar ausschließlich durch eigene Nachwuchsleute verstärken konnte. Da ich Fortuna Düsseldorf gleichzeitig zum Aufstiegskandidaten ausrief, erntete ich milde Verwunderung bei den anderen beiden Experten. Interessant ist die Sache trotzdem, sodass es sich lohnt, sie einmal detailliert zu betrachten. [Lesezeit ca. 7 min]

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Die Personalie Khaled Narey

Mittlerweile hat sich Annahme, der gute Khaled wolle weg, ein bisschen relativiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass er auch in der Spielzeit 2022/23 das F95-Trikot tragen wird, ist gleichwohl nicht gestiegen. Es wird – wie immer in diesem Fußball, den sie “Geschäft” nennen und der modern sein soll – ums Geld gehen. Einfach ausgedrückt: Kriegen wir die gewünschten zwei oder zweieinhalb Millionen Euro für ihn rein, können sie natürlich für Neuverpflichtungen ausgegeben werden.

SVD vs F95: Wo stünde die Fortuna ohne Khaled Narey? (Screenshot Sky)

Geht Narey, würde man angesichts der Tatsache, dass mit Felix Klaus im aktuellen Kader nur ein weiterer Rechtsaußen steht, sicher nach einem Ergänzungsspieler auf dieser Seite suchen, aber ganz sicher auch keine zwei Millionen für einen entsprechenden Spieler ausgeben. Apropos Klaus: Der tolle Sieg gegen Darmstadt in der vergangenen Woche, in dem Felix Klaus eine besondere Rolle spielte und das beste Spiel in seiner Zeit bei uns gemacht hat, war für die Kaderplanung enorm aufschlussreich, weil er gezeigt hat, dass eine Mannschaft auch ohne Khaled Narey den Fußball spielen kann, den sich Cheftrainer Daniel Thioune vorstellt.

Die Personalie Jordy de Wijs

Mit der holländischen Kante kam eine neue Wucht in die fortunistische Innenverteidigung, so viel ist sicher. Aber, so sehr Jordy den Fans imponierte: Seine spielerischen Qualitäten, gerade in der Spieleröffnung, sollte man nicht überschätzen. Auch um ihn bemühen sich Klaus Allofs und Christian Weber noch. Zwar endet seine Ausleihe von den Queens Park Rangers zum Ende der Saison, ob die ihn aber wirklich zurückhaben wollen, hängt von einer anderen Personalie ab. Denn der junge Ire Jimmy Dunne hat den guten Jordy in der Hinrunde der zweiten englischen Liga auf dessen Stammplatz als Innenverteidiger abgelöst.

F95 vs Dresden: Jordy jubelt mit seinem Kumpel Robert Bozenik (Screenshot Sky)

Wie mir ein recht gut informierter QPR-Fan erklärte, hing alles von einem möglichen Aufstieg der Super Hoops in die Premier League ab, den sie aber letztlich klar verpasst haben. Und nun sind aber verschiedene Erstliga-Clubs auf der Insel scharf auf Dunne, und QPR könnte ihn, der noch bis 2024 einen Vertrag hat, möglicherweise für gutes Geld abgeben. In diesem Fall würden sie Jordy mit tödlicher Sicherheit zurückholen. Andernfalls könnten sich die Westlondoner dazu durchringen, ihn an F95 zu verkaufen. Mijnherr de Wijs würde liebend gern bleiben und wäre auch bereit, beim Gehalt Einbußen hinzunehmen – er fühlt sich in Düsseldorf pudelwohl und hat Bock auf die Fortuna.

Sollte Jordy sich verabschieden müssen, wäre das ein viel weniger schmerzhafter Beinbruch als viele denken, denn der immer noch junge Chris Klarer hat ja nun oft genug gezeigt, dass ihm zum Niveau eines Jordy de Wijs nur noch wenig fehlt. Und trotzdem: Weil es momentan keinen Kandidaten in den U-Teams für den Posten eines IV gibt, müsste also gegebenenfalls ein neuer Innenverteidiger als Ergänzungsspieler angeschafft werden.

Was Trainer Thioune denkt

Herr Thioune, das beweist er bei jedem öffentlichen Auftritt, ist nicht nur ein Supertyp und prima Motivator, sondern ein Analyst und Fußballwissenschaftler, der in dieser Hinsicht kaum hinter seinem Vorgänger Christian Preußer zurücksteht – wenn überhaupt… Der Mann hat nicht nur richtig Ahnung, sondern ist mit seinen Vorstellung voll auf der Höhe der Zeit im Fußball. Allein seine Äußerung, dass die taktische Grundordnung weniger wichtig geworden ist, belegt seinen Fortschrittsgeist.

F95 vs S04: Daniel Thioune in der PK vor dem Spiel (Screenshot F95.tv)

Und natürlich hat er eine ziemlich klare Vorstellung von dem Fußball, den er spielen lassen möchte. Nun zählt er aber auch nicht zu den Coaches, die zwingend einen Kader zu hundert Prozent nach ihren Vorstellungen brauchen, um diese Vorstellung umsetzen zu können. Das hat er in Osnabrück und auch beim HSV bewiesen, und was wir bei den Partien erlebt haben, bei denen jede Menge Stammspieler fehlten, spricht auch dafür – das Spiel gegen Darmstadt war in dieser Hinsicht vorbildlich.

Es sieht nicht so aus, dass Daniel Thioune einen oder mehrere ganz bestimmte Spieler haben möchte, dass er also mit einer Namensliste bei den Einkäufern vorstellig wird. Vielmehr, auch das hat er schon gesagt, möchte er den bestehenden Kader WEITERENTWICKELN. Er wird also auf alle Spieler, die den Verein jetzt nicht verlassen, mehr oder weniger stark setzen. Zudem hat er auch deutlich gemacht, dass er Jungs aus der U19 und U23 nicht nur heranführen, sondern möglichst schnell auch ins Stammteam einbauen will. Das alles spricht gegen einen längeren Einkaufszettel.

Die Knipser-Frage

Bekanntlich kommt die deutsche Nationalmannschaft schon einige Zeit ohne echten Mittelstürmer aus – so wie diverse europäische Spitzenmannschaften auch. Stand der Dinge im Fußball ist auch, dass ein System, dass auf einen Knipser ausgerichtet ist, mit der Zeit erstarrt und selbst ein Terodde nicht zwangsläufig Torfabrik bleibt. Das gilt auch für unseren Rouwen Hennings, dessen Rolle als Torschütze im Lauf der Saison weniger wichtig geworden ist, weil der gute Rouwen unerwartete Fähigkeiten an den Tag gelegt hat, nachdem ihm Thioune diese Bürde genommen hat.

F95 vs Dresden: Gavory kam mit Optimistisch vor dem Anpfiff – Rouwen Hennings (Screenshot Sky)

Heißt im Klartext: Wir brauchen keinen zweiten Hennings. Wir brauchen überhaupt keine weitere Spitze mehr, denn mit Daniel Ginczek ist da einer, der zwar noch nicht ganz angekommen ist, aber in verschiedenen Systemen zum Torschützen werden kann – genau wie Emma Iyoha übrigens. Und, nicht zu vergessen, Tyger Lobinger. Aus dem Nachwuchs ist für diese Position allerdings kein neuer Held zu erwarten.

Die Suche nach dem Regisseur

Und wieder könnte die Begegnung mit den Lilien als Beleg für eine sonnige Zukunft dienen. Denn da sahen wir Shinta Appelkamp mal wieder als echten Spielgestalter. Und zwar als einen hochmodernen, also keinen wie Kevin Stöger, der sich alles mal anguckt und dann einen Zuckerpass spielt. Shinta spielt mit, und … er braucht Mitspieler, mit denen er harmoniert. Dabei kann er verschiedene Positionen einnehmen, um dort kreativ zu werden.

Fachsimpeln auf Japanisch: Ao Tanaka und Shinta Appelkamp

Und doch wird von interessierten F95-Fans zurzeit immer mal wieder nach einem neuen Spielgestalter verlangt. Tatsächlich aber hat Trainer Thioune auch hier schon Bemerkungen fallengelassen, dass eine Systematik mit EINEM Regisseur zu starr und damit altmodisch ist. Problem beim aktuellen und kommenden Kader ist allerdings, dass es keinen echten Backup-Mann für Shinta gibt. Ao Tanaka hätte das Zeug, und es könnte gut sein, dass das japanische Duo in der kommenden Saison Wunderdinge wirkt. Sicher ist das nicht, sodass Allofs und Weber in dieser Richtung ruhig mal Ausschau nach einem passenden Mann halten können.

Die linke Seite

Noch aus Preußers Zeiten stammt die Grundkonstruktion der vertikalen Außenachsen, also des Verbunds eine Außenverteidiger mit einem Außenläufer zum Zwecke der Flankenproduktion. Thioune hat diese Ordnung übernommen, aber das Starre daran aufgelöst. Auf der rechten Seite haben Zimbo Zimmermann und Khaled Narey das vorgemacht, dass nicht immer einer bis zur Grundlinie gehen und von dort aus flanken muss, sondern dass auch gern mal einer von beiden zum Beispiel per Doppelpass nach innen zieht, um in eine Schussposition zu kommen. Links hat das nicht immer gut funktioniert, was lange vor allem daran lag, dass Leo Koutris, der uns ja verlässt, das zwar konnte, sich aber sonst selten für einen Starteinsatz empfohlen hat, und dass die kreative Bandbreite eines Florian Hartherz nicht ausreichte.

Bremen vs F95: Der gute Neuzugang Gavory (Screenshot Sky)

Mit Nicolas Gavory ist es besser geworden, aber noch nicht wirklich überzeugend. Jetzt denken ja schon einige Experten in Richtung Dreierkette, was die Konstruktionen auf den Flügeln nachhaltig verändern würde, weil die ehemaligen AV einen Slot höher stehen würden. Das käme sowohl Zimmermann, als auch Gavory entgegen. Aber, auf beiden Seiten fehlen geeignete Kicker, die bei Verletzungen oder Formdellen der beiden einspringen könnten. Immerhin haben wir Takashi Uchino einen Nachwuchsbuben für rechts, der das könnte und wohl auch das Selbstbewusstsein für den Job mitbringt. Dringend benötig würde also ein linker Außenverteidiger, am besten ein anderer Typ als der gute Nicolas.

Am offensiven Ende gibt es akut nur Kris Peterson, und der MUSS in der kommenden Saison endlich zuverlässig liefern. Weil es ja im aktuellen Kader keinen positionsgenauen Ersatz für ihn gab, kamen Shinta Appelkamp oder Emma Iyoha dort mal zum Zuge, aber sogar auch Tony Pledl, der uns verlässt. Entweder, es findet sich doch ein Bursche aus dem Nachwuchs, den man schnell dorthin verbessern kann, oder es müsste doch genau dort eine Verstärkung gekauft oder geliehen werden.

Die Jungspunde

Die Lage beim Nachwuchs ist ein bisschen unübersichtlich geworden. Tim Köther, den viele als Kandidaten für die Erste gesehen haben, geht. Takashi Uchino wird eingebaut werden. Bei Phil Sieben weiß man noch nicht so richtig. Genau wie bei Ephraim Kalonji. Aus der U19 hat sich auf jeden Fall schon Daniel Bunk empfohlen, der ja mehrfach mit der Ersten trainiert hat. In der U17 ist es vor allem der leider in dieser Saison langzeitverletzte David Savic, der er schon in der kommenden Saison schaffen könnte.

F95 U17 vs BMG U17: Gefährlicher Freistoß für die Gladbacher (Foto: TD)

Der gerade erst 16 Jahre alt gewordene U17-Torhüter Milan Czako hat schon einen Profivertrag bekommen. Rund um einige andere Jungs aus der U17, der U19 und der Zwoten laufen intensive Gespräche zwischen Allofs und Weber sowie natürlich Thioune und dem Jungspielerexperten Jan Hoepner auf der einen und den Leuten vom NLZ und den Trainern der U-Teams auf der anderen Seite. Ergebnisse sind in den kommenden vier Wochen schon zu erwarten.

Also doch: Verstärkungen müssen her!

Euer in Ehren ergraute Ergebene rudert zurück: Ja, doch, die Fortuna braucht für die Aufstiegssaison 2022/23 personelle Verstärkungen! Allerdings zeigt die Analyse, dass man nicht mit dem großen Einkaufswagen unterwegs sein muss, sondern sehr gezielt nach Spielern für bestimmte Positionen suchen sollte. Bei einem Coaching-Team wie dem unseren müssen neben den rein fußballerischen Qualitäten auch die weichen Werte stimmen: Charakter, Einsatzwille, Realismus und Teamfähigkeit. Man sollte also im Zweifel lieber eine gute Type holen als einen möglichen Überflieger.

Erfahrung steckt im Team mit Andre Hoffmann, Matthias Zimmermann, Cello Sobottka, Rouwen Hennings und Daniel Ginczek sowie Käpt’n Bodze, der hoffentlich noch ein weiteres Jahr im Kader stehen wird, reichlich; in dieser Hinsicht gibt es keinen Bedarf. Dafür aber wird es darum gehen, dass sich die mittlere Generation (beispielsweise Kris Peterson und Emma Iyoha) weiterentwickeln und stabilisieren. Auch, dass die Kollegen Gavory, Ginczek und Tanaka so richtig ankommen.

Heißt im Ergebnis: Die Kohle, die wir für Narey kriegen, kann tatsächlich sinnvoll in Neuverpflichtungen investiert werden.

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