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Heidenheim vs F95 2:1 – Bitter, unglücklich, ärgerlich, ungerecht

In einem wahren Spitzenspiel der Zweiten Liga verliert Fortuna unglücklich auf den letzten Drücker, obwohl sie die bessere Mannschaft war.

Analyse · Zweimal kollektive Verwirrung, und schon verlierst du ein Spiel. So könnte man die bittere, unglückliche, ärgerliche und letztlich ungerechte Niederlage der Rotweißen in Heidenheim knapp beschreiben. Rein statistisch war das F95-Team besser als der Gastgeber, aber, was nutzt das, wenn man sich zwei Hütten einschenken lässt und selbst nur eine macht? Dass es nur eine Bude wurde, hat vor allem etwas mit dem fehlenden Druck in der ersten Halbzeit zu tun, der immer geringer wurde, je besser sich der 1. FCH auf unsere Jungs einstellte. In Hälfte Zwo war die Fortuna dann durchgehend die überlegene Mannschaft, erzielte nach einer wunderhübschen Kombination den Ausgleich und war einem Siegtreffer immer näher als der Gegner. [Lesezeit ca. 6 min]

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Fußball ist ja auch ein Spiel im Konjunktiv. Hätte Dawid Kownacki in der 15. Minute den Hundertprozenter reingemacht, wäre es ein anderes Spiel geworden. Hätte Kris Peterson in der 38. Minute mehr Druck hinter den Ball bekommen und so den Ausgleich erzielt, wäre es ebenfalls ein anderes Spiel geworden. Und wäre Felix Klaus ein Torjäger und hätte er einer seiner drei Chancen versenkt, wer weiß, wie es dann ausgegangen wäre. Besonders die Kownacki-Chance hätte es verdient, denn der Steckpass von Daniel Ginczek genau in Dawids Lauf war am Rande von genial. Wie die beiden Spitzen überhaupt prima harmonierten und Dawid Kownacki der beste Fortune auf dem Platz war. Das liegt aber auch am Trainer, denn offensichtlich hat der dem jungen Polen ein gerüttelt Maß an Narrenfreiheit zugeteilt: Dawid war überall und nirgends, für seine Gegenspieler nicht zu greifen, holte sich die Bälle aus dem Mittelfeld und war in Defensivsituationen immer präsent.

HDH vs F95: Schweigeminute – Attentat München 72 (Screenshot Sky)

Sicherlich keine Narrenfreiheit genoss Kris Peterson auf dem linken Flügel, der nahm sie sich und bewegte sich weit außerhalb der taktischen Grundordnung – dass Thioune ihn in der Pause rausnahm, muss als Strafe für Disziplinlosigkeit gewertet werden. Man fragt sich beim Schweden immer, ob er mehr frech oder mehr doof ist. Heißt: Ob er sich dem System absichtlich widersetzt oder ob er es nicht kapiert. Jedenfalls wird seine Art sich am Spiel zu beteiligen zunehmend zum Ärgernis. Per Saldo ist er aber auch einer der wenigen Spieler, die unter Daniel Thioune nicht besser geworden sind. Und weil Kris machte, was er wollte, hing Nicolas Gavory auf der linken Schiene durchweg in der Luft und konnte so gut wie nie Offensivkraft entfalten. Zumal er den besten Heidenheimer gegen sich hatte, der ihm viel Mühe machte.

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Auf der rechten Seite lief es ähnlich, aber aus anderen Gründen. Dort traf Felix Klaus auf die stärkere Abwehrseite der Hausherren, und die Kooperation mit Zimbo Zimmermann funktionierte nicht wirklich gut. So blieb der gute Felix über weite Strecken unsichtbar. Da fragte sich der interessierte Beobachter: Ja, gut, äh, dann hätte man ja auch wieder ganz ohne Außenstürmer spielen können. Da ist was dran, und das bewiesen die Coaches selbst, indem sie Ao Tanaka für Peterson brachten. Jetzt hatte Gavory mehr vom Spiel, und durch das gestärkte Mittelfeld stieg die Zahl der Balleroberungen drastisch an. Nun begann die stärkste Fortuna-Phase.

HDH vs F95: Hätte Klaus den nicht versemmelt… (Screenshot Sky)

Leider waren drei der fünf Wechsel nicht taktisch motiviert, sondern Ergebnisse von Verletzungen. In der 38. Minute traf es Jordy de Wijs ohne Einwirkung eines Gegners, vermutlich an den Adduktoren. Chris Klarer ersetzte ihn für den Rest der Partie und war nach Ansicht des Ergebenen sogar einen Tick besser, was die Beteiligung an der Offensive anging. In der 65. Minute zwickte es Daniel Ginczek im Oberschenkel, der Tausch mit Rouwen Hennings logisch. Jorrit Hendrix krachte um die 72. Minute herum mit einem Gegner zusammen; ein Kopftreffer, der Wirkung zeigte, denn ein paar Minute später musste er raus. Für ihn kam Shinta Appelkamp. Man wird sehen, wie schlimm die jeweiligen Folgen sind und ob und wer in der kommenden Woche bei der Partie gegen Rostock nicht mitmachen kann.

HDH vs F95: Cello Sobottka – nie war er so wertvoll wie heute… (Screenshot Sky)

Reden wir ein wenig über Jorrit Hendrix, der ja von vielen Auguren als das gesehen wird, was man im Jargon “Königstransfer” nennt. Wohlmeinend würde man sagen: Der ist im Team noch nicht angekommen. Polemisch könnte man auch rufen: Boah, der krieg ja nix auf die Reihe. Was der (das muss immer betont werden) international erfahrene Holländer da im Mittelfeld spielte, war schwer genießbar. Dass er bei einer Passquote deutlich über 80 Prozent auch Fehlpässe produzierte – geschenkt. Dass er aber noch immer kein Auge für die Außen und die Spitzen hat, macht ihn beinahe wertlos. Und seine Unsicherheiten in der Defensive übertragen sich nach hinten auf die Viererkette.

HDH vs F95: Jorrit Hendrix – der Schädel brummt (Screenshot Sky)

Dabei könnte das Duo aus ihm und Cello Sobottka doch fast unbezwingbar sein. Denn eigentlich ist Cello als Achter wertvoller als je zuvor. Nur muss er sich dann auf einen Sechser hinter sich verlassen können. Da fragt man sich, ob nicht sogar Zimmermann als defensiver Sechser die bessere Alternative wäre. Und über alles gerechnet hat das “magische Dreieck” aus Sobottka, Tanaka und Appelkamp am meisten überzeugt. Natürlich kann ein abschließendes Urteil über Hendrix und seine mögliche Rolle noch lange nicht gefällt werden, aber er muss jetzt wirklich schnell zeigen, dass er der Knaller ist, für den ihn viele halten.

Und wenn der Ergebene Recht hat mit der Aussage, dass Klarer als Innenverteidiger besser ist als de Wijs, dann stellt sich langsam wirklich eine Systemfrage. Denn nicht immer ist eine Dreierkette angesagt, weil man darauf ein bestimmtes System bauen will, sondern weil man das optimale Personal dafür hat. Stünden hinten Klarer, Hoffmann und de Wijs, könnten Zimmermann und Gavory offensiver agieren, und ein wie auch immer zusammengerührtes Dreieck in der Mitte. Vielleicht wäre unabhängig vom Gegner ein 3-5-2 (das übrigens nicht zwingend defensiv ausgerichtet sein muss) die beste Alternative.

HDH vs F95: Zimbos Eigentor zum 1:0 für HDH (Screenshot Sky)

Und wenn, was ja für ein Spitzenteam wie die Fortuna prinzipiell angeraten ist, Außenstürmer auf dem Platz stehen, dann müssten Daniel Thioune und seine coachenden Spießgesellen vielleicht mal experimentierfreudig werden. Beispiel: Der vogelwilde Peterson beliebte so zwischen der 10. und der 35. Minute gern mal auf dem rechten Flügel aufzutauchen. Zwangsweise rochierte Felix Klaus dann rüber auf links und agierte dort mehr aus dem Halbfeld heraus als von der Seitenlinie her. Möglicherweise sollten die Trainer also doch schon mal Kudschu Baah auf der rechten Außenbahn starten lassen und auf einen linken Außenstürmer ganz verzichten. Solche asymmetrischen Grundordnungen sind im modernen Fußball inzwischen gang und gäbe.

Euer zutiefst ergebener F95-Beobachter wälzt diese Überlegungen übrigens nicht, weil die Fortuna in diesem Spitzenspiel in Heidenheim verloren hat, sondern vor allem wegen der deutlich erkennbaren Schwächen – Schwächen einzelner Spieler, aber auch systemischer Schwächen. Besonders nach dem Führungstor der Ostschwaben fehlte erneut das Tempo. Da wurde wieder viel hintenrum gespielt (was ja nicht grundsätzlich verkehrt ist, um den Gegner zu locken), aber wenn’s nach vorne ging, dann einfach nicht schnell genug. Fehlt Tempo im Spiel eines Teams, hat das keine individuellen Gründe, sondern welche, die in der taktischen Grundordnung zu suchen sind. Kleiner Stachel am Rande: Dass Flo Kastenmeier beim Hintenrumspiel immer anspielbar ist und auch angespielt werden soll, entlastet seine Vorderleute ja auch ein bisschen bei der eigentlich nötigen Kreativität á la “Och, mir fällt gerade nix ein, ich spiel zurück auf Flo.”

HDH vs F95: Guter Abzug, kein Tor (Screenshot Sky)

Wirklich ermutigend ist die ganze Situation rund um unsere drei Spitzen. Möge der Fußballgott beziehungsweise die Fußballgöttin verhindern, dass wir Dawid Kownacki verlieren! Das ist genau der Typ Stürmer, der zu gestandenen Mittelstürmern wie Daniel Ginczek und Rouwen Hennings passt. Und dass die Fortuna in Sachen Knipser nicht mehr allein auf Hennings angewiesen ist, darf bejubelt werden. Und so war das Zusammenspiel von Daniel und Dawid nicht nur bei der Chance in der 15. Minute überragend, sondern eben auch beim Ausgleich, den Daniel einleitete und Chris dem guten Dawid perfekt per Kopf auflegte.

In welcher Welt Sky-Kommentatoren leben, fragt sich der Ergebene inzwischen minütlich. Der gestern amtierende Reporter zeigte sich enttäuscht darüber, dass “nur” 500 F95-Fans angereist waren. An einem Freitag in um die sechs Stunden über gut 500 Kilometer zu einem Auswärtsspiel zu reisen, muss man sich als Arbeitnehmer:in erstmal leisten können. So sehr die Spieler diese Frühabendspiele mit einer gewissen Flutlichtatmosphäre mögen, für Otto und Lise Normalfan sind solche Ansetzungen eine Herausforderung. Außerdem machte der F95-Block mit den vielen hochaktiven Ultras wirklich besten Alarm – wie ja ohne Ultras auswärts überhaupt nichts los wäre. Das muss auch mal gesagt werden.

HDH vs F95: Nehmen auswärts alle Mühen auf sich – die Ultras (Screenshot Sky)

Die Niederlage ist bitter, unglücklich, ärgerlich und letztlich auch ein bisschen ungerecht, aber kein Nasenbeinbruch. Der Ergebene hat ja den 1. FC Heidenheim in seiner Saisonprognose unter die ersten drei gesetzt und gestern die Bestätigung dafür bekommen. Nur Paderborn war bisher ein schwererer Gegner als HDH. Und gegen die Kontrahenten auf Augenhöhe darf man auswärts auch verlieren. Was aber partout nicht mehr passieren darf, sind Niederlagen gegen Teams aus dem unteren Tabellendrittel und schon gar keine Heimniederlagen. Da wird die Begegnung mit Rostock am kommenden Samstag schon ein wenig zum Wegweiser; gewinnt F95 nicht, ist es erstmal Essig mit dem oberen Tabellendrittel. Das wäre deprimierend.

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