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Niederlande vs Deutschland 0:1 – Fußball in der Bummsbude

Niederlande vs Deutschland in Sittard: Nach dem 1:0 für Schland (Foto: FP)

Niederlande vs Deutschland in Sittard: Nach dem 1:0 für Schland (Foto: FP)

Das Frauen-DFB-Tean gewann in Sittard glücklich – unter verstörenden Umständen für Fans des Fußballs.

Bericht · Am Karfreitag machte sich Euer Ergebener in Begleitung zweier namhafter F95-Ehrenamtler auf den Weg ins nahegelegene Sittard, um die Fortuna-Aufsichtsrätin Martina Voss-Tecklenburg, die ja nebenbei Nationaltrainerin ist zu unterstützen. Unsere Anwesenheit hat ergebnistechnisch gewirkt. Dafür aber mussten wir enorme Ohrenschmerzen und weitere Anstrengungen in Kauf nehmen, die volle Kanne aufs Konto des Stadion-DJs gingen. [Lesezeit ca. 4 min]

Die größte Herausforderung war es jedoch, einen Parkplatz zu finden. Denn die Karren durften nur auf den ausgewiesenen Flächen abgestellt werden, wenn man zuvor online ein Parkticket erworben hatte – was aber von Deutschland aus unmöglich war. Nach mehreren Runden durchs kuschelige Industriegebiet von Sittard, das ja an sich ein hübsches Städtchen sein soll, half ein radelnder Kaskopp weiter. Er empfahl, das Auto in einem Wohngebiet zu parken, da sei das legal möglich. Problem: Wir hätten auch zu Fuß von Düsseldorf zum Fortuna-Sittard-Stadion laufen können, denn der Marsch zur Event-Location kostete uns gefühlt eine Stunde Lebenszeit.

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Wie heute beim Frauenfußball üblich, war die Sache als Familienfest angelegt, Menschen unter 16 Jahren waren in der Mehrheit. Sowohl bei den vorzugsweise orange dekorierten Zuschauenden, als auch beim deutschen Anhang. Papa und Mama sowie die vielen kinderlosen Paare hatten schwarzrotgoldenes Beiwerk aus der Truhe gekramt, und im Auswärtsblock hagelte es Nationalfahnen. Die allerdings nach Schluss der Veranstaltung wieder eingesammelt wurden.

Vor den Hintertortribünen wackelten orangefarbige, aufblasbare Plastiktüten mit Gesicht. Und der verantwortliche DJ haute raus, was heutzutage in jeder Dorf-Disko das Volk zum Zappen bringt. Dies in einer Lautstärke, die jedes Gespräch unmöglich machte. Immerhin konnte man untereinander noch WhatsApp-Nachrichten austauschen, denn es gab freies Wlan. Wenn er nicht das Schlimmste von gestern und heute durch die Boxen jagte, schrie der Typ uns auf Niederländisch an. Soweit verständlich präsentierte er eine Mischung aus Statistiken und dem, was er für Support hielt.

Euer Ergebener hatte die Hasskappe auf, wollte sich schon auf die Suche nach der Regielaube machen, um den Stadionschreier körperlich zum Schweigen zu bringen, oder wahlweise die Hauptsicherung rauszudrehen. Mitfahrer Tim machte sich dagegen Notizen als Anregung für die fortunistischen Event-Manager. Außerdem wurde die Playlist sorgfältig notiert mit dem Ziel, diese unserem Stadion-DJ Opa zwecks Nachmachung zu übergeben. Dann tanzten zwei Dutzend Meisjes mit großen Fahnen an den Seitenlinien entlang, die Flaggenstöcke waren mit kleinen LED-Birnchen verziert.

Die Bummsbude in Sittard (Foto: FP)

Der größte Skandal aber: Es gab im Stadion keine Pommes! Hey, ich fahr doch nicht nach Holland um KEINE Pommes zu essen! Dafür gab es Bratwurst im Hot-Dog-Brötchen für fünf Euro, bezahlbar ausschließlich per Karte. Essiggurkensticks konnte man sich kostenlos dazuschaufeln. Der Proviantverkauf war gut organisiert und freundlich. Freundlich waren auch die Ordner, die nicht so recht wussten, warum sie sich den kühlen Abend in dieser Hütte um die Ohren schlagen sollten. Handelsübliche Spochtrepochter würden das Fortuna-Stadion vermutlich als „Schmuckkästchen“ bezeichnen, weil es rechteckig ist und nur rund 12.000 Nasen hineinpassen.

Von außen sieht es – passend zum umgebenden Industriegebiet – aus wie eine Lager- oder Produktionshalle oder ein Cash-&-Carry-Markt. An einer Ecke hat man eine Aldi-Filiale angeflanscht, die Seiten in wechselnden Blautönen verkleidet. Um die Paneele rundum zu installieren, hat wohl die Kohle gefehlt, denn an der Südwestecke fehlt ein größeres Stück. Nachdenklich macht auch die Farbe, schließlich spielt Fortuna Sittard in Grüngelb, die NL-Farbe ist Orange und deren Flagge blau-weiß-rot.

Das Kind vor uns im DFB-Trikot hielt sich fortgesetzt die Ohren zu, der Papa nickte im Disko-Takt wie der Dackel im Autorückfenster. Noch vor dem inzwischen obligatorischen Countdown schaltete der DJ auf eine Loop um, mit der vor 25 Jahren die Plattenaufleger die Erregung im Club zu steigern suchten. Dann die Nationalsongs. Wer dabei nicht aufstand, wurde schief angeguckt. Komisch, dachte der Ergebene, die Beschallung in der Bummsbude ist doch eigentlich gar nichts für Kinder, eher was für popkulturell zurückgebliebene Teenager von 16 bis 28 Jahren – also der werbewirksamen Zielgruppe. Gefehlt haben nur Diskokugel und Lichtorgel.

Das Schlimme ist ja, dass die Eventies und ihre Blagen meinen, genau SO müsste ein Fußballspiel sein. Es müsse Scheißmucke laufen, man müsse egal was fressen und saufen und man dürfe vor allem nicht ohne Merchandise-Scheiß erscheinen. Natürlich gab’s auch Klatschpappen, und die niederländischen Anwesenden in der hinteren linken Ecke entblödeten sich nicht, grundlos eine La-Ola anzuzetteln, die vom deutschen Volk begeistert aufgenommen wurde.

F95-Aufsichtsrätin Martina Voss-Tecklenburg – nebenbei Nationaltrainerin (Foto: FP)

Dann beendete der Anpfiff die Tortur für gut 45 Minuten. Die Vizewellmeisterinnen setzten gnadenlos auf ein hohes Pressing und Martinas Schützlinginnen gerieten schwer ins Schwimmen. Es hagelte Großchancen, und wäre Torfrau Merle Frohms nicht so gut drauf gewesen, hätte es schon in den ersten zwanzig Minuten mehrfach in ihrem Gehäuse klingeln können. Im DFB-Team lief überhaupt wenig zusammen, was wohl vor allem daran lag, dass mehrere Spielerinnen mittun durfte, die sonst nicht so oft ran dürfen. Dass die anwesende Elf so noch nie gemeinsam angetreten waren, wurde deutlich.

In der Pause gab der Stadion-DJ noch einmal alles, und wer Raucher:in war, konnte ins Außengehege flüchten und seiner:ihrer Sucht frönen. Da war es angenehm ruhig. Die Zuschauenden versorgten sich mit Speis und einem Trank, der aussah wie eine Urinprobe und nicht viel besser roch. Kinder mussten Cola trinken.

Bunztrainerin Martina wird den Frauen in den schlammgrün changierenden Trikots in der Kabine ein paar gute Ratschläge gegeben haben, denn ab der 45. Minute sah die Sache schon anders aus. Die Holländerinnen kamen seltener durch. Ausgenommen gleich nach Wiederanpfiff, als die eingewechselte Torfrau Ann-Katrin Berger (Chelsea FC) einen Hunderprozenter nach missglücktem Rückpass in der Manier eine Welttorhüterin an den Pfosten lenkte.

In der 53. Minute fiel dann das einzige Tor der Nacht. „Aus dem Nichts“ würden kreative Spochtrepochter:innen sagen. Aber nach einer fein getretenen Ecke nickte Sidney Lohmann die Kugel unhaltbar ein. Wie heißt es so schön: Der Treffer stellte den Spielverlauf auf den Kopf, denn die NL-Kickerin Beerensteyn allein hatte beinahe ZEHN gute bis sehr gute Chancen einzulochen. Danach bauten die Gastgeberin sukzessive ab. Aber in der 86. Minute musste Frau Berger noch einmal ran: Wie eine Handballkeeperin mit weit abstehenden Armen und Beinen machte sie die letzte Torchance der Niederländerinnen zunichte. Da waren auch schon Frau Popp und Frau Magull an Bord, und vielleicht weil Poppi nicht als Spitze fungierte, sondern auf einer Sechserposition, gewann der Auftritt der Deutsch:innen an Stabilität.

Aus Sicht von Martina Voss-Tecklenburg war die Partie vermutlich sehr nahrhaft, weil es überdeutlich wurde, welche Kolleginnen das Zeug zur WM haben und welche nicht und welche Spielerinnen harmonieren und welche nicht. Wir gratulierten unser Aufsichtsrätin artig per WhatsApp und schleppten uns durch den öden Teil Sittards zum Fahrzeug – Kopf- und Ohrenschmerzen waren bis zur Endstation an der Philipshalle noch nicht ganz abgeklungen. Aber, manchmal muss man halt Opfer bringen.

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