Nach angeblich „massiven“ Protesten von Fans hat Fortuna Düsseldorf kurzfristig auf die Verpflichtung von Shon Weissman verzichtet.
Meinung · Man muss sich ja heutzutage erklären, bevor man zur Situation rund um Gaza etwas schreibt oder sagt. Ich mag Israel und die Israelis, die ich kennenlernen durfte. Ich mag auch die Palästinenser, die ich kennenlernen durfte. Ich verachte zutiefst die Hamas, diese islamistische Terrororganisation, die am 7. Oktober 2023 ein menschenverachtendes Massaker an Israelis verbrochen, Tausende getötet und mehrere Hundert als Geiseln entführt hat. Ich habe unendliches Mitleid, mit den Opfern der widerlichen Mordbrennerei der Hamas, mit den vielen weiblichen Opfern sexualisierter Gewalt, mit den israelischen Geiseln und deren Angehörigen. Ich habe unendliches Mitleid mit den leidenden Menschen in Gaza, die nicht der Hamas angehören und diese Terrororganisation nicht unterstützen. Ich verehre die Gaza-Bewohner, die zum Teil unter Lebensgefahr gegen die Hamas-Terrorherrschaft demonstrieren – sie sind die einzigen Helden in diesem fürchterlichen Krieg. Ich verachte Benjamin Netanjahu von Herzen, der den Krieg gegen die Hamas mit Rückdeckung rechtsradikaler Siedlerparteien immer weiter verlängern will, um so der Verurteilung wegen Korruption zu entgehen. Grundsätzlich gilt: Ich mag einen Menschen, ganz egal, ob er Christ, Jude, Moslem oder sonst was ist, so lange er mich als Atheisten respektiert. Ich bin gegen jede Form von Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung, wobei der Antisemitismus die verachtenswerteste Form davon ist. Ich habe eine tiefsitzende Allergie gegen Patrioten gleich welcher Nationalität, zum Beispiel auch israelische Patrioten. Wenn ich also nicht sicher bin, ob es klug war, dass der Verein Fortuna Düsseldorf den israelischen Kicker Shon Weissman NICHT verpflichtet, dann ganz bestimmt nicht, weil er Israeli und schon gar nicht, weil er Jude ist. Am ehesten, weil er sich als israelischer Patriot zur Vernichtung des Gaza-Gebiets und den dort lebenden Palästinensern bekannt hat. Dies als Vorrede. [Lesezeit ca. 7 min]
ACHTUNG – langer Text, differenzierte Betrachtung!
Mir ist bewusst, dass ich mich mit diesem Artikel in viele verschiedene Nesseln setzen kann und bin bereit Scheißestürme – von welcher Seite auch immer – hinzunehmen. Es ist mir wichtig, diesen schwierigen Fall von möglichst vielen Seiten zu beleuchten, ohne am Ende mit einer festen Meinung herauszukommen. Ich hoffe, meinen Leserinnen und Lesern gefällt das.
Die Verhandlungen von Klaus Allofs mit Shon Weissman, der beim FC Granada unter Vertrag steht, sowie dessen Verein waren so weit gediehen, dass sich Sohn Weissmann am Montag (04.08.2025) schon der üblichen medizinischen Tests unterzogen hat, also in Düsseldorf anwesend war. Ob und in welchem Umfang Allofs und den anderen Vereinsverantwortlichen bekannt war, wann und wie Weissman sich nach dem 7. Oktober 2023 geäußert hat, ist nicht bekannt. Ob es erst der Verweis eines Users des 95er-Forums auf den Wikipedia-Artikel über Weissman war, der Allofs dazu brachte, noch einmal intensiv mit dem möglichen neuen F95-Kicker zu reden, ist nicht bekannt. Vermutlich war es eher ein Artikel in der BILD-Zeitung vom Montag.
Ob Klaus Allofs und die Fortuna-Verantwortlichen wussten, wie zum Beispiel die Fans des spanischen Zweitligisten Burgos CF im Januar 2024 reagierten, als der Wechsel von Weissmann zu ihrem Verein drohte, ist ebenfalls nicht bekannt. Übrigens: Weil es für die meisten Menschen anscheinend unmöglich ist zu differenzieren, wurde der FC Granada, für den Weissman spielte, beim LaLiga-Auswärtsspiel des FC Granada beim CA Osasuna am 20. Oktober 2023 – also keine 14 Tage nach dem Massaker der Hamas an Israelis – mit antisemitischen Schmährufen überzogen, obwohl Shon Weissman nicht einmal auf der Bank saß. Ob die Osasuna-Fans da seine Zustimmung zu übelsten Anti-Palästinenser-Post auf Social Media kannten, weiß man nicht.
Worum geht’s? Kurz nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2025 hat Shon Weissman zwei Postings (auf Instagram?) abgesetzt: „Was ist der logische Grund, warum nicht 200 Tonnen Bomben auf Gaza abgeworfen wurden?“ und „Gaza muss ausgelöscht werden“ (oder ähnlich). Zudem hat er in der Folge mehrere Tweets geliked und wohl auch geteilt mit Aussagen wie „Es gibt keine Unschuldigen, wir müssen sie nicht warnen, bevor man sie bombardiert; löscht Gaza einfach aus“, „Die Kinder von Gaza 2014 sind zu den Mördern von 2023 geworden“ und „Schluss mit Werten; Mitleid oder Menschlichkeit, die man denen gegenüber zeigen muss, ist vorbei“. Später behauptete sein Management, nicht Weissman selbst habe gepostet und geliked, sondern ein Mitglied des Social-Media-Teams (wessen Social-Media-Team wird nicht klar). Inzwischen hat Shon Weissman – anscheinend auch im Gespräch mit Klaus Allofs – zugegeben, die beiden Postings abgesetzt und einige der genannten Tweets geliked zu haben.
Zur Info: Shon Weissman war 2019 mit damals 23 Jahren, seinerzeit schon israelischer Nationalspieler, ablösefrei von Maccabi Haifa zum österreichen Wolfsberger AC gewechselt, wo er in der Saison 19/20 Torschützenkönig wurde, bevor er im Sommer 2020 für 4 Mio Euro an Real Valladolid verkauft wurde, mit denen er dann abstieg. Im Januar 2023 wurde Weissman, der bei Valladolid nicht einschlug an den FC Granada verliehen und im Sommer für 3,5 Mio Euro an diesen Club verkauft. Zum Zeitpunkt des widerlichen Terrorangriffs der Hamas war Weissman also gerade neu im Kader von Granada.
Shon Weissman ist gläubiger und praktizierender Jude und wurde 1996 in Haifa (einer wunderschönen Stadt, die ich liebe…) geboren und hat vermutlich ab 2014 seinen dreijährigen Militärdienst in den IDF absolviert. Ab der Saison 2015/16 stand er im Kader der Erstligamannschaft seines Heimatvereins Maccabi Haifa, wurde aber gleich zu Beginn an zu Happoel Akko verliehen, mit dem er abstieg. Danach wurde er bis zum Ende der Saison 2018 innerhalb Israels mehrfach zu verschiedenen Clubs verliehen, ohne je Stammspieler zu werden. Erst mit dem Wechsel nach Wolfsberg begann seine Karriere, die unter anderem 33 Berufungen in die A-Nationalmannschaft Israels brachte.
So weit es meine Recherchen ergaben, ist Shon Weissman in all den Jahren vor dem 7. Oktober 2023 nie durch irgendwelche politischen oder besonders israel-patriotische Äußerungen aufgefallen. Der abscheuliche Terrorüberfall auf Israelis der Hamas scheint etwas bei ihm ausgelöst zu haben. Und das kann ich nachvollziehen. Nachdem ich die Dokumentationen mit Originalmaterial von diesem Tag gesehen habe, besonders den YouTube-Film #NOVA, empfand ich nichts anderes als Hass auf diese sogenannten „Kämpfer“ der islamistischen Terrororganisation und, ja, konkret gegenüber den widerlichen Typen, die mit ihren widerlichen Taten zu sehen waren, entwickelte ich ernsthafte Gewaltfantasien.
Die Reaktion des Netanyahu-Regimes war vorhersehbar. Das geäußerte Ziel der militärischen Aktionen, die Hamas zu vernichten, erschien mir realitätsfern. Und erst nach Wochen begriff ich, dass „Bibi“ Netanyahu dieser Krieg gerade recht kam. Nur so lange er Ministerpräsident bleiben würde, wäre er vor der drohenden Strafverfolgung geschützt. Noch später erkannte ich das wahre Ziel der rechtsradikalen Siedler- und Religionsparteien, die Netanyahu am Gängelband führen: Gaza und das komplette Westjordanland komplett zu erobern, frei von Palästinensern zu machen und dann israelisch zu besiedeln – eine alte zionistische Wunschvorstellung.
Weil ich selbst in den Tagen und Wochen nach dem 7. Oktober 2023 Hass auf die Hamas entwickelt habe, kann ich jede emotionale Reaktion eines jeden Israelis vollkommen verstehen. Ja, ich kann sogar verstehen, wenn ein junger Israeli seine Gewaltfantasien auf Social Medie öffentlich macht – wie es Shon Weissman getan hat. Nun hat er sich ja heute auf X zur Sache geäußert:
„Loyalty isn’t up for debate. Especially not when your people are still burying their dead.“
„I will continue to proudly carry the Israeli flag wherever I play.“
„I am a son of a nation still grieving from the horrors of October 7th. That black day, when entire families were murdered, kidnapped, and brutalized, remains an open wound for me. as a person, as an Israeli, and as an athlete representing my country.“
Mit diesen Sätzen drückt er seinen starken Patriotismus aus, eine Haltung, die man dem Bürger eines Staates zugestehen kann, der seit seiner Gründung ständig bedroht und teils militärisch angegriffen wird und dessen Auslöschung von starken Kräften im islamischen Lager gefordert wird. Wer als Europäer das Existenzrecht Israels bestreitet, hat nicht verstanden, was die Gründung und die Existenz dieses Staates überhaupt bedeutet. Gleichzeitig kann niemand, der sich selbst für einen Humanisten hält, den auf Gesetzen basierenden Umgang mit Palästinensern in Israel gutheißen, der – besonders unter den orthodoxen und militanten jüdischen Siedlern nichts anderes ist als Rassismus. Aber, es sind nicht „die Israelis“ und schon gar nicht „die Juden“ allesamt Rassisten. Bei den letzten Wahlen zur Knesset stimmten zusammengerechnet rund 22 Prozent der Wähler für offen rechtsgerichtete Parteien. Weil schon seit sechs Jahren keine andere Koalitionen mit der Likud von Netanyahu eine Mehrheit hätten, ging er mit den offen rechtsgerichteten Parteien zusammen – ohne sie wäre seine Regierung am Ende.
So wie sich Shon Weissman aktuell geäußert hat, wird er kein Anhänger einer rechtsradikalen Partei sein, sondern eher Likud- oder Jisra’el Beitenu-Wähler; beides Parteien mit konservativ-nationalistischen Positionen. Damit gehört er politisch eher zum israelischen Mainstream als zu einem radikalen Flügel. Was an Vorwurf gegen Shon Weissman bleibt, ist, dass er sich bis heute nicht wirklich glaubhaft von den Äußerungen aus dem Jahr 2023 distanziert hat. Was er (Quellen nicht gefunden) immer wieder betont, ist, dass er gegen Hass ist und die Menschenrechte achtet. Das muss man ihm einfach glauben. Leider kennen wir die Inhalte der Gespräche dieser Tage zwischen Allofs und Weissman nicht, können also nicht beurteilen, ob der israelische Kicker nicht doch weiterhin Positionen vertritt, die mit den Werten der Fortuna (laut deren Satzung) nicht vereinbar sind.
Nun ist in den Medien, die seit heute morgen alle voneinander abschreiben, von „massiven Protesten“ der Fans die Rede. Ich habe mich heute über den Tag über mehrere Stunden durch das 95er-Forum und die zuständigen sozialen Medien gewühlt und vermag „massive Proteste“ nicht zu erkennen. Selbst die auf change.org gestartete Petition unter dem Titel „Verhindert Verpflichtung von Shon Weissman bei Fortuna Düsseldorf“ bemüht sich um einen moderaten Ton.
Völlig außer Rand und Band dagegen Hunderte anonymer User auf X und anderen Social-Media-Plattformen, die nun den Verein Fortuna Düsseldorf mit Hass in jeder Form überziehen und davon ausgehen, der Verein wolle keinen Juden im Kader haben, sei also antisemitisch. Ohne ins Detail zu gehen: Wieso haben sich Klaus Allofs und Chris Weber den so lange um Weissman bemüht, wenn sie keinen Juden im Kader haben wollten? Auch die oft geäußerte Meinung, die Fanszene sei von sogenannten „pro-palästinensischeren Kräften“ unterwandert, wobei pro-palästinensisch und pro Hamas gleichgesetzt werden, ist haltlos. Diese harschen Reaktionen könnten ihre Ursache aber (wie schon so oft) in der unglücklichen Kommunikation des Vereins haben.
F95 setzte heute gegen Mittag einen sogenannten „INFO TWEET“ mit folgendem Inhalt ab:
„Wir haben uns intensiv mit Shon Weissman beschäftigt, uns aber final entschieden, von einer Verpflichtung abzusehen.“
Das kann alles oder nichts bedeuten. Zumal nicht der geringste Ansatz einer Erklärung der Gründe für die Nichtberücksichtigung gegeben wird. Das gibt (wie schon so oft) Raum für Spekulationen (wie sie die RP natürlich fährt), Gerüchte und vor allem Streit unter den Fans. Schlimmstenfalls (das begrüßt die RP ausdrücklich) haben Aufsichtsrat und Vorstand entschieden, auf Shon Weissmann zu verzichten, um Fortuna vor den Reaktionen der Medien und der Fans konkurrierender Vereine zu schützen. Dann hat man eben nicht auf Basis der satzungsgemäßen Werte entschieden, sondern aus rein opportunistischen Gründen – und das fände ich einfach scheiße.
Ich bin unsicher, wie ich im Zweifel entschieden hätte. Wüsste ich genau, Shon Weissman hätte die schlimmen Äußerungen damals im Jahr 2023 nur im Affekt getan, habe sie bereut und seine Position zum Befehl Netanyahus, Gaza auszulöschen, umgehend geändert, wäre ich der Meinung, er hätte eine Chance als Spieler bei der Fortuna verdient. Hätten die Gespräche dieser Tage mit ihm aber ergeben, er sein nach wie vor der Meinung, Israel müsse diesen Krieg bis zur endgültigen Vernichtung der Hamas führen und dabei einen Genozid an den Palästinensern in Gaza in Kauf nehmen (oder gar anstreben), wäre klar, dass seine Meinung nicht zu den Werten der Fortuna passt und er nicht verpflichtet werden dürfte.
Dies ist ein verdammt langer Text geworden, und wer ihn bis hierher gelesen hat, verdient meinen Respekt. Und hat sich offensichtlich bemüht, den Fall Shon Weissman differenziert zu betrachten. Danke dafür.