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Sehen und Gesehenwerden. Oder: Das Ultras-Auswärts-Fahnen-Schwenk-Problem

Paderborn vs F95: Prächtiger Auswärtsblock in der Möbelhalle (Screenshot Sky)

Paderborn vs F95: Prächtiger Auswärtsblock in der Möbelhalle (Screenshot Sky)

Es ist ein Dauerkonflikt bei Auswärtsspielen: Die Ultras schwenken ihre großen Fahnen, und die dahinter sehen nichts.

Meinung · Mal ehrlich: Auch der Ergebene wäre sauer, wenn seine geliebte Fortuna auswärts antritt, und er vom Spiel so gut wie nichts mitkriegt, weil er hinter dem mächtigen Block der Ultras steht. Denn in den meisten Stadien beanspruchen sie die Plätze ganz unten im Auswärtsblock und versperren mit ihren Schwenkfahnen, Doppelhaltern und Bannern die Sicht auf den Platz. Nun fährt der Ergebene aus Altersgründen nicht mehr so oft zu Auswärtspartien, zuletzt nur zu den Pokalspielen. Aber praktisch nach jedem Auswärtsspiel häufen sich die zum Teil sehr wütenden Kommentare der „Normalos“, die ihre Jungs im Stehblock anfeuern wollen, aber fast nur noch das Fanmaterial von hinten sehen. [Lesezeit ca. 4 min]

Leider zeigen sich unsere Ultras diesem Problem gegenüber uneinsichtig und reagieren auf Kritik und Beschwerden teilweise ausgesprochen aggressiv. Die Standpunkte sind verhärtet, eine Klärung nicht in Sicht. Mehr als ein Versuch, das Verhalten der hochaktiven Fans zu erklären, bleibt kaum übrig.

Wir ebenfalls engagierten, aber nicht ganz so bekloppten Fans sollten die Ultras zunächst einmal besser verstehen. Ihnen geht es nicht nur um maximalen Support für die Mannschaft, sondern sie sehen sich auch im Wettbewerb mit allen anderen Fanszenen. Ihnen ist wichtig, mit ihrem Support stark und mächtig auszusehen; es geht ihnen auch ums Gesehenwerden. Je mehr und je größere Fahnen sie schwenken, desto besser glauben sie im Verhältnis zu anderen Ultra-Gruppen dazustehen. Das hat eine lange Tradition, die bis weit in die Sechzigerjahre, die Frühzeit der Ultra-Bewegung in Italien und den Ländern rechts der Adria reicht.

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Die Art und Weise, das eigene Team anzufeuern, wurde von Fans geprägt, deren oberster Wert die „Mentalita“ darstellte. Damit ist der unbedingte Support des eigenen Vereins gemeint, für den die Ultras ihre Zeit nicht nur im Stadion einsetzen, sondern möglichst jeden Tag des Jahres, in jeder Situation, auch abseits der Spiele. Wichtiges Stilmittel war und ist die Choreo, gern begleitet vom Einsatz pyrotechnischer Mittel. Dafür opfern Ultras auch heute noch viel Zeit und übrigens auch eine Menge Geld.

Bielefeld vs F95: Wunderdschöne., sehr kreative Choreo unserer Ultras (Screenshot Sky)

Und, mal ehrlich, wir anderen Fans lieben und bewundern die herrlichen Choreos mit blocküberspannenden Transparenten, oft sogar beweglich. Sie gehören heutzutage zum Spieltagserlebnis einfach dazu. So wie die diversen Gesänge und Anfeuerungssprechchöre. Schon seit Langem wird den Ultras von den sogenannten „Oldschool-Fans“ vorgeworfen, es sei der immer gleiche, von nervigem Getrommel begleiteter Singsang. Das Credo dieser Kritiker ist: Anfeuerung sollte dem Spielverlauf angepasst sein und am liebsten spontan aus verschiedenen Ecken kommen. Das ist eine romantische Vorstellung. Denn, wann immer die Ultras aus irgendeinem Grund ein Spiel verpassen, wird es dünn mit dem Support. Ausnahmen wie die beim letzten Auswärtsspiel in K*** bestätigen die Regel.

Und der Wunsch nach individuellem, spielbezogenem Support widerspricht – siehe oben – der Ultra-Philosophie. Die besagt ja auch, dass die Mannschaft jederzeit bedingungslos anzufeuern ist, auch und gerade, wenn sie scheiße spielt oder aussichtslos zurückliegt. Bei Heimspielen gibt es inzwischen nur noch ganz selten Konflikte zwischen „Normalos“ und Ultras. Wenn auf der Süd beispielsweise die Bereiche links und rechts und oberhalb der Blöcke 36 bis 39 aufgefordert werden, aktiv an einer Choreo mitzuwirken, dann tun sie das auch. Genau das ist im Sinne der Ultras, denn ein solcher breiter Support dient dem gewünschten Gesehenwerden.

Darmstadt vs F95: Mächtige Choreo im Auswärtsblock (Screenshot: Sky)

Manchmal stinkt es dem Ergebenen, der seit über 15 Jahren seinen Stammplatz im 41er an der Treppe hat, wenn er Torraumszenen auf der Südseite nicht verfolgen kann, weil die Sicht darauf durch die Fahnen der Ultra-Gruppierung der Dissidenti beeinträchtig wird. Aber er hat gelernt, damit zu leben. Bei Auswärtspartien aber ist je nach Stadion ALLEN anderen Fortuna-Fans im jeweiligen Stehbereich der Blick auf die Wiese durchgehend versperrt.

Im Sinne der Mentalita sehen sich die Ultras im Recht und sagen in solchen Fällen, dann solle man sich eben Karten für die Sitzplätze neben den Ultras beschaffen. Die Betroffenen antworten, sie wollen sich doch von den Ultras nicht vorschreiben, von wo aus sie ein Auswärtsspiel verfolgen wollen – das ist eine absolut legitime Entgegnung. Besonders schlimm wird es aber, wenn Otto und Liese Normalfortune rechtzeitig eingetroffen sind und sich Plätze im unteren Bereich gesichert haben. Kommen die Ultras später, oder haben sie sich aufgrund von Staus, Zugverspätungen oder bescheuerter Polizeiaktionen verspätet, verdrängen sie diese anderen Fans nicht selten mit teilweise massiven Mitteln aus den Bereichen, von denen sie meinen, sie stünden ihnen zu.

Süd bleibt Süd (Symbolfoto)

Diskutiert wird dann nicht. Wie es ja ohnehin nicht einfach ist, mit Ultras zu diskutieren. Die weisen Kritiker immer darauf hin, sie mögen doch beim Kurventreff vorbeischauen, dann könnten sie das Gespräch mit den Ultras führen. Der Ergebene hat das vor einigen Jahren ein paar Mal gemacht, und es war nicht immer erfreulich, weil ein Teil der Ultras mit ihrem Absolutheitsanspruch überhaupt nicht diskussionswillig und -fähig ist.

Eine wie auch immer geartete Einigung scheint nicht in Sicht. Wie könnte die auch aussehen? Dass sich die Ultras hinter den „Normalos“ platzieren? Dann würde man deren Fahnen, Doppelhalter und Banner von außen nicht oder nur schlecht sehen. Dass sie je nach Spielsituation die Fahnen unten lassen? Würde aussehen, als ob sie den Support einstellen. Sich mit Nicht-Ultras mischen? Wohl kaum. Ganz harte Auswärtsfahrer fordern ein Eingreifen des Vereins. Aber der hat keinerlei Handhabe, auf die Anordnung der Fans bei Auswärtsspielen Einfluss zu nehmen.

Ergo: Der Ergebene hat auch keine Lösung, außer an beide Seiten zu appellieren, zu diesem Thema immer wieder ins Gespräch zu kommen, außer die Ultras aufzufordern, auch die Ansprüche anderer Fans ernst zu nehmen. Ob und was sie ändern könnte, weiß er allerdings auch nicht. Die gute Nachricht: Das Problem besteht nicht bei allen Spielen in allen Stadien, sondern vor allem auf den altehrwürdigen Fußballplätzen der „kleineren“ Vereine, so dass die Zahl derjenigen, die unter den Ultras leiden überschaubar ist.

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