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Die Wahrheit über sogenannte „eingespielte“ Mannschaften – am Beispiel der Fortuna von 1973

Dass der Spruch „Never change a winning team“ statistisch betrachtet nicht hinhaut, ist bekannt. Wie aber ist es mit dem angeblichen Vorteil einer „eingespielten“ Mannschaft?

Analyse · Auch wenn sich im Fußball in den vergangenen fünfzig Jahren beinahe alles verändert hat, lohnt es sich doch manchmal, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Und die goldenen Siebzigerjahre der glorreichen Fortuna sind immer eine genauere Betrachtung wert. Wir denken an Spieler wie Baltes, Kriegler, Zewe, Hesse, Brei, Köhnen, Seel, Herzog, Bude und Geye sowie den Tormann Nr. 2 Büns. Diese Truppe belegte am Ende der Erstligasaison 1973/74 den dritten Tabellenplatz. Verrückt genug: Auch in der Vorsaison 1972/73 wurde F95 Dritter – damals sogar nur einen Punkt hinter dem hässlichen Äff-Zeh. Und zwar im letzten Spiel mit Woyke im Tor, Hesse, Biesenkamp, Kriegler, Senger, Brei, Zewe, Schulz, Herzog, Budde, Geye. Na, klingelt’s? [Lesezeit ca. 4 min]

Auch dieser Vorjahreskader umfasste nur 21 Spieler, und von der Saison 1972/73 zur folgenden hatte die Fortuna nur vier Abgänge zu verzeichnen. Der spätere F95-Funktionär Benno Beiroth hatte seine Karriere beendet, Klaus Senger ging nach nur zwei Spielzeiten zu RWE, der Grieche Maik Galakos wechselte nach nur einer Saison zu Panathinaikos, und auch Bernd Kipp brachte es nur auf eine Spielzeit im Fortuna-Dress. Dafür aber kam der unvergleichliche Wolfgang Seel für ungeheure 300.000 DM von Lautern zu uns. Dazu noch ein gewisser Udo Klohs, über den die Datenbanken nichts hergeben, außer dass er später in Aachen und Uerdingen verpflichtet war.

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Okay, 300.000 DM entsprächen heute wohl so um die 1,5 Mio Euro, was damals schon eine enorme Summe war. Aber wie wir wissen, war Wolfgang Seel jede Mark wert, die der Verein für ihn ausgab. Denn genau dieser Kicker aus dem Saarland glich die einzige Schwäche des „alten“ Kaders aus, die auf der Position des linken Halbstürmers (die es so heute nicht mehr gibt). Dass die wunderschöne Fortuna trotzdem „nur“ Dritte wurde, hatte hauptsächlich damit zu tun, dass unsere Jungs in der Rückrunde (in die Bayern, Gladbach und F95 mit je 23 Pluspunkten starteten…) mehrfach schwächelten und gleich mehrere blöde Unentschieden einfuhren.

Das waren die F95-Transfers zur Saison 1973/74 (Screenshot)
Das waren die F95-Transfers zur Saison 1973/74 (Screenshot)

Schaut man sich die Kader der Konkurrenten jener Jahre, also wie erwähnt die Bayern, den Äff-Zeh, Gladbach und Frankfurt an, findet man auch bei denen maximal 25 Kicker unter Vertrag; wie bei der Fortuna traten manche Vereine auch mit weniger als 20 Spielern an. Das hat sehr viel damit zu tun, dass die Häufigkeit und Schwere von Verletzungen vor fünfzig Jahren erheblich geringer war als heute, dass also Kicker viel seltener ausfielen.

Heute gilt ein kleiner Kader als „nicht breit genug“, um Ausfälle ersetzen zu können. In der abgelaufenen Saison zählten – Zu- und Abgänge während der Spielzeit eingerechnet – 32 Jungs zum Kader. Im Durchschnitt hatten die Zweitligisten zwischen 28 und 32 Kicker unter Vertrag. Aktuell sind es bei F95 nur noch 22 Spieler, rechnet man die zwei bis drei möglichen Abgänge hinzu, sind es nur 19 oder 20, also mindestens zehn zu wenig – ein gutes Argument dafür, Neuzugänge bzw. Verstärkungen zu fordern.

Da sind sie, unsere Jungs - hier vorm Anpfiff im Spiel gegen Regensburg (Foto: TD)
Da sind sie, unsere Jungs – hier vorm Anpfiff im Spiel gegen Regensburg (Foto: TD)

Aber, denn es gibt immer ein Aber, die Experten wissen, dass es auf den schieren Umfang eines Kaders nicht so sehr ankommt. Denn immer noch gilt, dass ein eingespieltes Grundgerüst zum entscheidenden Vorteil werden könnte. Insofern passt in der aktuellen Situation der Fortuna der Begriff „Ergänzungen“ besser. Denn wesentliche Achsen einer F95-Mannschaft für die kommende Saison bleiben ja erhalten. Die drücken sich vor allem in den Kollegen Kastenmeier, Hoffmann, de Wijs, Zimmermann, Gavory, Sobottka, Appelkamp, Iyoha und Klaus aus – das sind dann schonmal neun Spieler, auf die Trainer Thioune einigermaßen sicher setzen kann.

Ob das schon ein eingespieltes Team ausmacht, ist die Frage. Was aber ist der große Vorteil einer Mannschaft, die von einer Saison zur nächsten ein solches Grundgerüst halten kann? Vor fünfzig Jahren waren es vor allem die sozialen Faktoren im Sinne von „Elf Freunde müsst ihr sein„, denn von eingeübten Laufwegen und sogenannten „Automatismen“ war seinerzeit noch nicht die Rede. Das ist heute anders. Die Fußballlehre hat in Sachen Taktik enorme Fortschritte gemacht – nicht zuletzt wegen der in den vergangenen zwanzig Jahren rasant gewachsenen Möglichkeiten der Analyse.

Rostock vs F95: Zum ersten Mal - Zimbo trifft zweimal (Screenshot: Sky)
Rostock vs F95: Zum ersten Mal – Zimbo trifft zweimal (Screenshot: Sky)

Die Idealvorstellung aller Trainer ist dabei, dass beispielsweise ein Mittelfeldmann erkennt, dass ein Stürmer in den freien Raum geht, bevor dieser überhaupt gestartet ist. Das wird bei einem neuen Mitspieler selbst nach einer erfolgreichen Saisonvorbereitung kaum je klappen. Wenn aber zum Beispiel Zimbo Zimmermann und Felix Klaus schon über 30 Partien in der gegebenen Positionierung hinter sich haben, dann wissen beide genug voneinander, um erfolgreich Möglichkeiten zu antizipieren. Wie lange so etwas dauern kann, hat man in der Rückrunde beim hochbegabten Micky Karbownik gesehen, der die Laufwege seiner Mitspieler erst lernen musste.

Insofern wünschen sich viele Trainer einen möglichst konstanten Kader – von Saison zu Saison, aber auch über eine Spielzeit hinweg. So wie früher als F95-Helden wie Herzog, Geye, Budde und Seel einfach jederzeit wussten, was die Freunde auf dem Platz machen würden. Denn ein eingespieltes Team bringt auch mit sich, dass die dabeigebliebenen Kicker sich nicht nur während einer Partie gut miteinander verstehen, sondern auch außerhalb. Deshalb fürchten Kaderplaner heutzutage einen sogenannten „Umbruch“ mindestens genauso sehr wie damals in der guten, alten Zeit.


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3 Gedanken zu „Die Wahrheit über sogenannte „eingespielte“ Mannschaften – am Beispiel der Fortuna von 1973

  • War ne tolle Zeit damals , war selber als Fan schon dabei ! Leider hat sich der Fußball zu seinem Nachteil verändert , hat eigentlich fast nichts mehr mit Sport und Leidenschaft zu tun ! Der Satz „eine Bundesligamannschaft ist heute eher ein Wirtschaftsunternehmen“ ist leider zutreffend, es geht immer und überall nur noch darum , das erwirtschaftete Geld zu verteilen, der Etat steht über allem ! Schade eigentlich 🤷‍♀️ ! Die Jungs von damals wie Reiner Geye , Klaus Budde oder Dieter Herzog waren noch Vereinsikonen , heute wollen sie alle „den nächsten Schritt“ machen ! Und dabei die Kohle mit der Schubkarre abholen ! So läuft das leider …! Wie gesagt, schade drum

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  • Sehr gut analysiert. TOP wie immer!👍

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  • Hoffmann bleibt Mannschaftskapitän. Aha.
    Klarer nach Darmstadt. Natürlich.
    Tanaka in der Winterpause für’s halbe Geld.
    Zwei Zugänge aus der Dritten Liga als Ergänzungsspieler.
    Shipnoski lässt grüßen.
    Aber sicher zaubert Aloffs noch einen von VW aus dem Hut.

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