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EM 2016: Über die Möglichkeit, vier Wochen lang patriotisch zu sein

Ich kenne da ein, zwei Händevoll Leute, die sind ernsthaft Fans der DFB-Auswahl, die ja jetzt „Die Mannschaft“ heißt. Mir kommt das komisch vor, aber ich respektiere diese Fans und ihre merkwürdige Vorliebe. Bei den meisten der genannten Personen hat das Gründe, die weit zurück in der Kindheit liegen. Ja, diese Jungs (und auch die eine Dame darunter) haben natürlich ein, zwei Nationalmannschaftstrikots im Schrank, auch das mit den vier Sternen. Aber keiner von denen käme auf die Idee, sich mit Schwarzrotgold die Haare zu verfärben, sich die Backen vollzumalen oder irgendwelche nationalfarbigen Klamotten im Stadion oder beim Rudelguck mit Freunden zu tragen. Das Original-DFB-Käppi geht gerade noch. Diese Fans regen sich regelmäßig über das Pack auf, das ihnen bei Länderspielen mit ihrem scheinpatriotischen Quatsch die Stimmung versaut. Das hat ja kaum einer der Menschen auf dem Schirm, die angesichts der Kritik an den „Schlandioten“ immer sagen: „Aber die anderen machen das doch auch.“

Stimmt nicht. Mit den „anderen“ sind die Anhänger der Nationalelfen anderer Länder gemeint. Nun habe ich dank meiner multinationalen Herkunft und einem ziemlich großen und europaweiten Freundeskreis ein wenig Einblick in das Denken und Fühlen dieser anderen. Nehmen wir nur mal England und die Niederlande: Beide Auswahlmannschaften haben erheblich mehr Dauerfans als die deutsche, also Anhänger, die IMMER Fans ihres Landesteams sind, egal ob gerade um Pokale gekickt wird oder nicht. Gleichzeitig gibt es in diesen beiden Ländern praktisch keine Modefans. Also Typen und -innen, die null Ahnung vom Soccer haben, an den falschen Stellen pfeifen und klatschen und vor allem geil auf Tore sind. Natürlich liegt auch dem weiß-roten bzw. orangefarbigen Treiben dieser Fans ein Patriotismus zugrunde. Also das klare Gefühl, im richtigen Land zu leben und es trotz aller Unzulänglichkeiten zu lieben.

Nicht jeder Patriot ist Nationalist

Merke: Nicht jeder Patriot ist Nationalist. Zumal es Patriotismus ja auf jeder regionalen Ebene gibt – der Chefred dieses Online-Magazins ist bekanntlich glühender Lokalpatriot. Für ihn gibt es keine schönere Stadt als Düsseldorf, und er bedauert all die armen Socken, die nicht in Düsseldorf leben. Wenn man ihn fragt, ob er stolz ist auf Düsseldorf, dann wiegt er den Kopf ziemlich lange und sagt dann so etwas wie: „Das Wort ’stolz‘ trifft es irgendwie nicht.“ Klar, man kann ja eigentlich nur auf etwas stolz sein, was man selbst mit persönlichem Einsatz so gemacht hat wie es ist. Da fragt man sich natürlich, ob deutsche Fußballpatrioten STOLZ sind auf die DFB-Auswahl. Die Insassen der oben eingeführten Testgruppe sagen mehrheitlich „Ja, schon…“, und die Dame in der Auswahl sagt dazu einen tollen Satz: „Ich bin schon stolz darauf, dass im deutschen Trikot so Kerle wie Özil, Khedira, Boateng und Bellarabi kicken, weil das doch belegt, wie gut Integration in Deutschland klappt.“ Herr Gauland sieht das bekanntlich anders, aber er kann ja nichts dafür.

Gönnen wir also den fußballbegeisterten Fans der bundesdeutschen Nationalelf ihre patriotischen Gefühle – sie tun ja keinem was. Wenn Patriotismus in Nationalismus umschlägt, sieht die Sache schon anders aus. Nationalisten sind Patrioten, die andere Länder (Städte, Regionen…) für schlechter halten als die Nation, dem sie sich in jeder Hinsicht zugehörig fühlen. Wobei das ja inzwischen dank der ethischen Vermischung nicht ganz einfach ist, dieses Zugehörigkeitsgefühl irgendwie mit Fakten zu untermauern. Mittlerweile gibt es ja – auch im Zusammenhang mit Fußball – nicht wenige deutsche Patrioten mit migrantischen Wurzeln; also besonders angehörige der dritten Einwandergeneration. Aber in der Regel geben die auf Befragen an, dass sie die Türkei, Marokko, Kroatien, Albanien oder woher auch immer ihre Großeltern eingewandert sind, gut finden. Nationalismus ist tendenziell aggressiv – alle anderen Nationen werden als mögliche oder tatsächliche Konkurrenten betrachtet, und es geht immer darum, dass es der Nation, der man sich zugehörig fühlt, besser geht als den anderen. Koste es, was es wolle.

Altmodische Nationalisten

Nicht alle Nationalisten denken völkisch, aber vermutlich die meisten. Sie hängen einer politischen Lehre an, die altmodisch ist, dass sie eigentlich nur noch auf dem Trödel zu haben sein sollte. Denn sie definieren den Begriff Volk auf Basis der ethnischen Herkunft. Solch ein aggressiver, völkischer Nationalist wird zum Beispiel sagen: „Die Türken, die können noch so viele Generationen hier gelebt haben, Deutsche werden die nie.“ Und, schwupps, sind wir beim Rassismus des Herrn Gauleiter, der ja auch durchblicken ließ, dass nur ein Team aus lauter Müllers, Meiers, Lehmanns, Schulzes und Hinterhubers aus seiner Sicht eine deutsche Nationalmannschaft ist. Man komme Rassisten nie mit Fakten, das macht sie bloß noch aggressiver. Und schon gar nicht mit der Frage, wo genau denn dieses imaginäre Deutschland anfängt und aufhört, auf dass sie sich beziehen. Was wäre zum Beispiel mit einer Familie Piqué, also hugenottischen Einwanderern? Schon deutsch oder noch französisch? Wie sieht’s in Grenzgebieten aus, deren Zugehörigkeit zu einem von zwei Ländern ständig gewechselt hat? Oder – wenn angeführt wird, deutsche sei, wer Deutsch als Muttersprache habe – was ist denn mit den deutschsprachigen Gebieten In Dänemark, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg und Frankreich? Was ist mit der deutschsprachigen Schweiz und Österreich und Südtirol?

Die nicht-aggressiven Nationalisten lenken dann ein und sagen: Das Land, in dem wir leben, ist die Nation, und die Menschen mit passendem Pass darin sind das Volk. Okay, das kann man hinnehmen, auch wenn es andere Fragen aufwirft, auf die Nationalisten keine Antwort haben. Schließlich sagen deutsche Sportreporter ja auch immer noch „Nationalmannschaft“ oder „Nationalelf“… Übrigens eine Begrifflichkeit, die es so in den meisten anderen Ländern, deren Teams dieses Jahr bei der EM mitspielen, nicht kennt. Auch wenn es dort ansonsten auch immer einen ziemlich dicken Bodensatz Nationalismus gibt.

Lasst die Fußballpatrioten mal in Ruhe

Kommen wir also zurück zu den bundesdeutschen Fußballpatrioten, die außerhalb von Meisterschaften nichts oder wenig mit dem getretenen Rundball zu tun haben. Sie werden auf den EM-Partys, beim Public-Viewing und vermutlich auch in den französischen Stadien in der Mehrheit sein. Sie werden sich so massiv wie möglich mit Schwarzrotgold umgeben, sie werden Party machen, sie werden sich besaufen, sie werden feiern bis zur Besinnungslosigkeit und sie werden jubeln, wenn „Deutschland“ ein Tor geschossen und ein Spiel gewonnen hat oder gar Europameister wird. Für diese Menschen ist die ganze EM ein großer Fest, ein fröhlicher Dauerevent im Sommer, bei dem man vor allem eines haben kann: Spaß. Dass sie dann bei einer Niederlage oder dem Ausscheiden der DFB-Auswahl deprimiert in die Kameras gucken oder gar öffentlich weinen, ist auch okay – sie meinen eben, echte Fans täten das so. Und das ist es ja, was sie bei aller Feierei auch tun: Sie imitieren echte Fußballfans bzw. das Bild vom echten Fußballfan, das von den Medien gezeichnet wird. Mit der Fußballrealität der Ligen hat das alles nichts zu tun.

Hat man einmal erkannt, dass die Sache ungefähr so funktioniert, kann man den grassierenden Schwarzrotgold-Patriotismus prima aushalten. Ja, wenn man „Die Mannschaft“ – aus welchen Gründen auch immer – mag, dann kann man eben auch vier Wochen lang Fußballpatriot sein. Das stört überhaupt nicht – so lange daraus kein aggressiver Nationalismus wird. Aber den gibt es so oder so, der wird durch Fußballpatriotismus nicht schlimmer oder aggressiver, sondern durch die Desinformation der rechtspopulistischen Propaganda von Pegida und AfD. Da haben sich die Rechtspopulisten der Geschmacksrichtung Gauland ja dieser Tage ein heftiges Eigentor geschossen: Sich zum Thema „Nationalmannschaft“ zu äußern und dann nicht so patriotisch wie es die Fußballpatrioten nun mal sind, wird natürlich abgestraft.

Übrigens: Meine Wenigkeit hält aus familiären Gründen wie immer (wenn sie denn mitmachen darf) zum Three-Lions-Teams und sagt ein Endspiel der Belgier gegen England voraus. Einfach nur für irgendein Land (momentan schwer angesagt: Island) zu sein, um ja nicht die Auswahl des eigenen Landes bejubeln zu müssen, ist auch nur Antipatriotismus. Und der ist albern.


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2 Gedanken zu „EM 2016: Über die Möglichkeit, vier Wochen lang patriotisch zu sein

  • Die Fußball-EM interessiert mich wenn überhaupt nur am Rande. Wäre schön, wenn das Team des KBVB das Turnier gewinnt; der ist nämlich auch 1895 gegründet worden.

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  • Da es sich bei der EM um eine hochprofessionelle Dienstleisterpachty handelt, auf der es lupenreine, von austrainierten Ballartisten vorgeführte Kunststückchen zu bewundern gibt,
    wüsste ich 1. nicht, warum ich mir das nicht anschauen sollte und 2. nicht, in wieweit sich da das Ligabusiness in irgendeiner relevanten Weise von unterscheidet.
    Außer natürlich, dass sich die Fans des Ganzjahres-Events für was Besseres halten … Frei nach Juhnke: „Ich hasse Silvester, da saufen auch die Amateure“ 

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