Fortuna-Punkte 16/17: Können Ultras keine Songs?
Nein, ich hab das Spiel (Spiel? Welches Spiel?) am Freitag nicht im Block 1 bei den Jungs gesehen. Ingo hatte vorgeschlagen, mal von der Süd aus zu gucken. Also waren wir beide im Block 33b. Ingo war mal Ultra. Ist noch gar nicht so lange her. „Bis erste Liga,“ hat er gesagt. „Es gab da einen Vorfall,“ hat er erzählt, „danach habe ich das Kapitel Ultra zugemacht.“ Und schwärmte von den Zeiten als Niko noch Capo war. Hab ich ja nicht persönlich erlebt. Kenne aber inzwischen viele, die diesen Niko vergöttern. Wie der Kapo jetzt heißt, hab ich gefragt. „Das ist der Marvin,“ antwortete Ingo und machte eine wegwerfende Handbewegung. Wir waren ja ziemlich nah dran an den Ultras. Und an Marvin.
Der steht vorne am Zaun auf einem Podest und hat ein Mikrofon in der Hand. Sowas kenn ich aus England nicht. Die Lads in Leeds haben nie einen Vorsänger gebraucht. Die haben einfach von selbst die alten Lieder gesungen. „Ja,“ sagt Ingo, „das ist Oldschool-Support. Hat mit Ultra nichts zu tun.“ Hatte ich mir schon gedacht. Mir kommt das alles komisch vor. Auf der Süd stehen die Leute ziemlich luftig, aber im Block der Ultras wie die Sardinen. Dann haben sie – hab ich ja schon berichtet – viele schöne und große Fahnen. Dazu zwei Jungs mit Trommeln. Die haben Handschuhe an wie beim Kampfsport und hauen durchgehend mit Knüppeln auf die Dinger. Das Mikro vom Marvin ist an zwei oder drei Lautsprecher angeschlossen, damit alle Leute auf der Süd hören, was der so zu sagen hat.
Eintöniger Singsang
Viel ist das nicht. Meist grölt der den Anfang von irgendeinem eintönigen Singsang oder fordert die Leute auf, mitzugrölen. Meistens steht er mit dem Rücken zum Spielfeld. Aber manchmal dreht er sich um und guckt ein bisschen zu was die Kicker da auf dem grünen Rasen machen. Im Block verteilt stehen ein paar Jungs, einer davon mit einem Megafon, die vermutlich Marvins Befehle weitergeben. Alle tun sehr ernsthaft und aufgeregt. „Der Niko,“ sagte Ingo, „der war kreativ und hatte Humor.“ Okay, Marvin scheint mit nicht besonders kreativ zu sein und Humor strahlt der auch nicht gerade ab. Überhaupt kam mir der ganze Support der Ultras am Freitag irgendwie gezwungen vor, kam gar nicht aus dem Herzen, fand ich. „Das sind nur noch Rituale, was die da treiben,“ meinte Ingo.
Ich schließe aus allem, was der Ingo sagte, dass es früher besser war mit den Ultras. Aber früher war ja immer alles besser. Oder: Wer mal dabei war und es nicht mehr ist, fand alles besser in der Zeit, wo er dabei war. So wirkt das bei Ingo. Aber die Leute im 33b, die waren auch nicht besonders begeistert. Nicht vom Spiel, und nicht von dem, was die Ultras boten. „Boah,“ brüllte ein älterer Herr in Bomberjacke, der ein F95-Trikot aus den Achtzigern (das hat mir Ingo erklärt) drunter hatte, „jetzt fängt der Blödmann wieder mit seinem Schlafwagen-Singsang an!“ Und eine Frau mittleren Alters mit Fortuna-Ohrringen stöhnte: „Ich kann’s nicht mehr hören.“ Das war, als Marvin irgendwas von rot und tot ins Mikro brüllte. Ingo hat mir dann noch erklärt, dass dieser Ultra-Support aus Italien stammt, aber seine Wurzeln in den Fünfzigerjahren in Jugoslawien hat.
Ja, Mensch, fragte ich mich: Warum machen die denn italienischen Support? Haben die keinen eigenen deutschen Support? Denn die älteren Fans bei uns im 33b, die sprachen in der Pause auch vom Oldschool-Support. Was die darüber erzählten, hörte sich an, als wenn sie unsere englische Art beim Support meinen. „Vielleicht waren die Siebziger und Achtziger die einzige Zeit, wo es einen typisch deutschen Support gab. Das waren die Kuttenträger,“ Erzählte Ingo. Ah, das kannte ich so ähnlich auch aus Leeds. Da gab es unter den Fans auch so drei, vier Verrückte, die Jacken aus der Clubfahne anhatten und darauf ganz viele Badges. Damals müssen aber Tausende in Deutschland so rumgelaufen sein. „Und,“ fragte ich, „wie haben die angefeuert?“ Ingo dachte nach. „Ich war da noch zu klein, das hab ich nicht mitgekriegt. Aber ich kann dir einen Kuttenträger zeigen, gleich in der Pause.“
Echte Kuttenträger
Der Typ, den er mir vorstellte, trug eine Jeansjacke mit abgeschnittenen Ärmel. Überall waren rot-weiße Fransen angenäht. Hintendrauf ganz groß das F95-Logo. Und außerdem jede Menge Aufnäher, die alle aussahen wie Comic-Bildchen. „Das ist der Jörg,“ sagte Ingo, „der ist übriggeblieben. Jörg hatte schon einige Altbier getrunken und konnte sich nicht so richtig konzentrieren. „Ja, watt hammer damals jesunge? Mer hamm ja nich jesunge, mir habe jebrüllt.“ Und lachte. Dann fing er an: „Fortuna! Fortuna! Fortuna!“ Das kannte ich ja schon. Immer wenn beim Spiel was abgeht für die Fortuna, dann brüllt das die ganze Süd. Mehr kriegten wir aus Jörg nicht raus. „Da wurde wirklich nur gebrüllt oder mal getrötet. Die meisten Hasssprüche gegen Schiris und andere Mannschaften wurden da erfunden,“ sagte Ingo. „Keine Lieder?“ fragte ich. „Keine Lieder. Die gab’s nur bei der DEG.“
Gut, über Hockey wollte ich nichts hören, das ist eine dieser absurden Sportarten, mit denen ich nichts zu tun haben will. Jedenfalls achtete ich nach der Pause darauf, was die Ultras so von sich gaben. Die meisten, ähem, Gesänge bestehen aus einer oder zwei Zeilen, die sich hinten mehr oder weniger reimen. Manche haben sogar vier oder sechs Zeilen. Eines hat sogar zwei Strophen. Aber da kamen dann schon einige Leute beim Mitsingen ins Schleudern. Und das verstehe ich nicht. Bei uns in Leeds und bei den anderen großen Clubs in England kennt jedes Kind die Texte von mindestens sechs oder sieben Liedern auswendig. Und diese Songs haben oft fünf, sechs Strophen. Die werden wirklich gesungen, okay, wobei es sich immer eher nach Grölen anhört, wenn zehntausend drunken Lads ganz laut zu singen versuchen.
Lads können Songs
Aber die Burschen können noch so besoffen sein, die Texte der Songs können sie auswendig. Übrigens hat fast jeder Club in good old England die eine oder andere Spezialität beim Singen. So haben die Arschgeigen von Tottenham jede Menge Songs von Benny Hill umgedichtet. Beim Liverpool FC können sie sowieso nur You never walk alone. Und zu Manchester United und Chelsea gehen ja keine Lads mehr, sondern nur noch Kunden. Aber geh mal nach Stoke oder Southhampton – so scheiße die Fans da sind, singen können sie. „Ja,“ sagte Ingo nochmal, „das nennt man hier Oldschool-Support, wenn richtige Lieder gesungen werden. So was wie 10 German Bombers…“ Ha, ha, dachte ich, da gehen die Deutschen steil drauf, wenn wir sie verarschen. Und erinnerte mich an ein herrliches Match bei der EM 1970 als wir mit dreißig Jungs knapp hundert Krauts gegenüberstanden und den Song von den Bombern, die wir alle runterholen, sangen. Würde sagen, die Sache endete damals Unentschieden.
Ob ich nochmal in den 33b gehe? Eher nicht. Mir persönlich geht der Lärm, den die Ultras machen, auf die Nerven. Mich persönlich reißt das nicht mit. Mir persönlich fehlen Seele und Humor. Ich persönlich steh mehr so auf Songs. Das Trommel finde ich schrecklich, die meisten Gesänge öde. Wie gesagt: Meine persönliche Meinung.
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100% Zustimmung. Es gab sogar mal Zeiten, da konnten die das ganze Stadion mitreißen. Heute feiern die sich nur noch selbst. Traurig!
Ich denke der Schlafwagen – Modus hat den Vorteil, dass er immer zu hören ist. Der Nachteil ist, dass die Spannung eines Spiels sich nicht in den Gesängen ausdrückt. Vielleicht verliert Fortuna deswegen ?
Wer auch immer diesen Artikel geschrieben hat, war damals nicht im Rheinstadion und seit langem nicht mehr in der Premier league dabei. Im Rheinstadion war es leiser als in meinem Wohnzimmer und selbst in den glorreichen Zeiten der Fortuna kamen weniger Fans als heute gegen Aue. Und in England hat der Kommerz jeglichen Fankult aus den Stadien verdrängt. Die echten Fans feuern jetzt die zwoten der jeweiligen Clubs an!
Auch wenn die Ultras seit dem Abgang von Nico noch keinen gleichwertigen Ersatz gefunden haben, sind sie die einzigen die unsere Jungs immer unterstützen und auch bei Auswärtsspielen in der Kälte stehen!
Darüber sollten alle die glauben es besser zu können mal nachdenken bevor sie die Klappe ausreißen!!!!
Ich kann da nur im Namen von Nick antworten. Der hat ja schon mehrfach erzählt, dass er nie so richtig „Fan“ war. Ist aber mit seinem Vater in den Siebzigern oft mitgegangen zu den Spielen von Leeds United. Ihm kommt der Support-Stil der Ultras eben merkwürdig vor. Und natürlich war er nie im Rheinstadion. Aber er erinnert sich noch gut an die mehrstrophigen Songs der Supporter – die übrigens selbst heute bei manchen Clubs der Kommerz-Premier-League immer noch im Chor gesungen werden. Das habe ich persönlich in den letzten Jahren ein paar Mal selbst erlebt (z.B. beim FC Redding). Ich verstehe seine Kolumne nicht als Kritik an den Düsseldorfer Ultras – würde er sich auch nie anmaßen. Übrigens: Nach meiner Beobachtung sind die Ultras nicht „die einzigen, die unsere Jungs immer unterstützen und auch bei Auswärtsspielen in der Kälte stehen“. Sind ja nach eigenen Aussagen maximal 120 Nasen, die sich zu „Ultras“ zählen, aber selbst nach Aue sind die letzten Male immer mindestens 800 F95-Fans gefahren. Schließlich: Ich persönlich mag die Art und Weise, mit der unsere Ultras anfeuern, habe aber trotzdem etliche Kritikpunkte am aktuellen Status und auch am aktuellen Kapo. Also, kein Ultra-Bashing in Sicht…
Oft frage ich mich, wo die alten Lieder sind, die die mitreißen. Mehr als kämpfen und siegen. Bremen ist ein gutes Beispiel. Die begleiten ihre Mannschaft mit dem Wir-Gefühl. Und egal wo sie stehen, bedingungslos und zahlreich. Heimspiele werden so zu dem, was sie sein sollen. Ein einziges Wir-Gefühl! Das fehlt uns! !!!
Was in der Arena fehlt ist das außer dem SCD/Ultras Stehplatz Bereich keiner mehr wirklich supported. Ich selber bin schon viele Jahre im Oberrang auf der Süd und früher kam von dort viel Support…Mittlerweile wird dort nurnoch gemeckert und hin und wieder mal geklatscht…Alle so verwöhnt!! Grausam!