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Fortuna für alle: Es geht überhaupt nicht um den freien Eintritt

Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler – alte Marketingregel, von den F95-Verantwortlichen perfekt übersetzt, denn in Wahrheit spielt die „Ticket-Revolution“ eine Nebenrolle.

Hintergrund · Die Fische im Teich waren die Sportmedienmacher:innen, der Köder hieß „freier Eintritt bei Heimspielen“. Und dann noch der Claim „Fortuna für alle“. Und dieses perfekt gemachte Video Da wurde endlich mal deutlich, dass in dem Verein, den wir lieben, inzwischen echte Marketingfuzzis am Werk sind. Denn bei der neuen strategischen Ausrichtung der Fortuna geht es überhaupt nicht um kostenlose Tickets, sondern um eine langfristige und nachhaltige Strategie zur Finanzierung des Vereins. Ja, des Vereins und nicht nur des Profispielbetriebs. Ausgangspunkt aller Überlegungen war, dass der Düsseldorfer Turn- und Sportverein Fortuna 1895 e.V. sich weiterhin als eingetragener Verein in dieser verrückten Fußballwelt behaupten will. Und muss… [Lesezeit ca. 7 min]

Nachdem die Presseabteilung am Dienstagabend die Medien über die Sache informiert hatte (nur ein Blatt hielt sich nicht an die Sperrfrist), war die ganze Welt gespannt auf die Pressekonferenz am Mittwochnachmittag. Die ganze Welt? Na ja, immerhin brachte es die F95-Initiative bis auf Tagesschau.de und ins US-amerikanische Sportnetzwerk ESPN. Auf den ersten Blick war die Veranstaltung wenig nahrhaft; man musste schon zwischen den Zeilen lesen. Leider waren die Fragen der anwesenden Journalisten (vorwiegend die üblichen Lokalverdächtigen…) durchweg nicht geeignet zur Klärung beizutragen. Also gilt es, das Gesagte auf dem Hintergrund der vielfältigen Informationen auf anderen Kanälen zu interpretieren.

Na, schon gespannt auf den Beitrag? Nach einer kurzen Werbeunterbrechung geht’s weiter. Denn die Fortuna-Punkte verstecken sich nicht hinter einer Paywall. Alles, was du hier findest, ist gratis, also frei wie Freibier. Wenn dir aber gefällt, was du liest, dann kannst du uns finanziell unterstützen – zum Beispiel mit dem Kauf von Lesepunkten. Wir würden uns sehr freuen.

Euer kostenlos ergebener F95-Liebhaber und -Analyst versucht im Folgenden ein paar dieser Interpretationen zu liefern.

Worum geht’s wirklich?

Der Aufsichtsratsvorsitzende Björn „Borgo“ Borgerding erzählte, dass die Verantwortlichen schon vor der Bestellung von Alexander Jobsteinig waren, so könne es nicht weitergehen. Und damit meinten sie übrigens nicht nur die Fortuna, sondern den Profifußball allgemein. Man hatte registriert, dass der ständige Aufschwung zu Ende sei und dass gerade bei der Finanzierung die Schere zwischen armen und reichen Clubs immer weiter auseinanderging.

Medienvertreter bringen TV-Gelder (Foto: FP)
Medienvertreter bringen TV-Gelder (Foto: FP)

Außerdem war man sich klar, dass Fortuna Düsseldorf als eingetragener Verein (den er nach dem Willen der Mitglieder auch bleiben soll) einen eigenen Weg einschlagen müsse. Unter dieser Prämisse wurde der Marketingfachmann Jobst schließlich zum VV bestellt. Seine Hauptaufgabe sollte sein, ein Konzept für diesen Weg zu entwickeln. Jobst selbst berichtete, dass er von seinem Arbeitsbeginn im Februar 2022 sich hauptsächlich auf diese Aufgabe konzentriert hat. Da passt es gut, dass er Mitglied der DFL-Kommission „Marketing & Sponsoring“ und damit im ständigen Austausch mit Vertretern anderer Vereine ist.

Der Kern des Konzepts unter dem feinen Namen „Fortuna für alle“ ist nicht der freie Eintritt zu den Heimspielen, sondern eine grundsätzliche Veränderung der Vereinsfinanzierung.

Woher kommen bisher die Einnahmen? Was soll sich ändern?

Schon seit rund 40 Jahren beruht die Innenfinanzierung des Spielbetriebs von Fußballprofiteams auf fünf Säulen:

  1. Einnahmen aus dem Ticketing (Eintrittsgelder)
  2. Einnahmen aus Fernsehrechten (TV-Gelder)
  3. Einnahmen aus Sponsoring
  4. Einnahmen aus Merchandising
  5. Einnahmen aus Transfererlösen

Bei eingetragenen Vereinen (außer F95 sind dies in den oberen beiden Ligen noch Union Berlin, Mainz 05, SC Freiburg, Schalke 04, Heidenheim, Nürnberg, Darmstadt 98, Sandhausen; Holstein Kiel und St. Pauli) kommen noch die Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen hinzu. Allerdings haben diese e.V. nicht den Betrieb einer Profimannschaft als einzige Aufgabe, sondern den Betrieb aller Abteilungen, die entsprechend den Mitgliederentscheidungen gegründet wurden. Dazu später mehr. Nach dem Gesetz handelt es sich um nicht-wirtschaftliche Vereine, deren Zweck es nicht sein darf, Gewinne zu erzielen. Deshalb gelten für e.V. auch besondere steuerliche Bedingungen.

F95 vs Fürth: Unermüdlicher Support auf der Süd (Screenshot Sky)
F95 vs Fürth: Unermüdlicher Support auf der Süd (Screenshot Sky)

Nach verschiedenen Quellen tragen die Eintrittsgelder bei den Clubs der oberen beiden Liga im Durschnitt mit 14 bis 15 Prozent zur Gesamtfinanzierung bei. Das sieht bei den Fernsehgeldern ganz anders aus. Die Beträge unterscheiden sich dramatisch. Während die Bayern für die laufende Saison auf rund 62 Millionen Euro (nur nationale Einnahmen) kommen, erhält Schalke in der 1. Liga nur ca. 27,8 Millionen Euro. In der 2. Liga kommt der HSV auf etwa 16,8 Millionen, die Fortuna liegt hier mit genau 15.423.328 Euro auf dem dritten Platz.

Der Anteil der TV-Gelder an den Erträgen von insgesamt rund 47,6 Millionen liegt bei F95 damit bei etwas mehr als einem Drittel. Die restlichen 50 Prozent des Budgets werden also mit Einnahmen aus Sponsoring, Merchandising und Transfererlösen bestritten. Im Laufe der Saison 2022/23 nahm F95 aus den Transfers von Khaled Narey, Kuba Piotrowski und Tyger Lobinger genau 3 Mio. ein. Ausgegeben wurden 2,4 Mio., sodass diese Säule – wie in den vergangenen Jahren meistens – nicht wirklich eine Rolle spielten.

Weil die Gewinne aus dem Verkauf von Merchandising-Artikeln bei der Fortuna ebenfalls so niedrig liegen, dass sie fast zu vernachlässigen sind, tragen die Zahlungen der Sponsoren verschiedener Größe mit zwischen 40 und 45 Prozent zu den Einnahmen bei. Bisher hat die Fortuna auf klassische Formen des Sponsorings gesetzt.

In Zukunft sollen Sponsoren vom Image des eingetragenen Vereins mit seiner besonderen Glaubwürdigkeit und sozialen Verantwortung profitieren.

Welche Rolle spielen die Sponsoren? Welche Rolle sollen sie in Zukunft spielen?

Die sogenannten „Strategiepartner“ (Henkel, Adidas, Stadtwerke, C&K Logistik) sind in der Außendarstellung – zum Beispiel auf den Trikots und in der Arena – prominent vertreten. Die sogenannten „Premiumpartner“ sind rund um den Spielbetrieb ebenfalls sichtbar, werden aber vor allem bei Aktionen (z.B. Postcode Lotterie) eingebunden oder sponsern als Gegenleistung für Aufträge (z.B. Stölting). Bei den sogenannten „Metropolpartner“ handelt es sich de facto um Sponsoren zweiter Ordnung, häufig um lokal agierende Unternehmen, die deutlich geringere Beträge geben als die Großsponsoren. Hier spielt meist auch die sogenannte „Hospitality“, also die Nutzung von Logen, als Gegenleistung eine große Rolle.

Die Meistermannschaft von 1933 in der Arena (Foto: FP)
Die Meistermannschaft von 1933 in der Arena (Foto: FP)

Mit kleineren Beiträgen beteiligen sich die derzeit 201 Mitglieder des Club95, in dem sich durchweg lokale Firmen befinden. Dieser Pool für Kleinsponsoren war in den frühen Nullerjahren eine Erfindung, die in schwierigen Jahren zum finanziellen Überleben der Fortuna beigetragen hat. Als Gegenleistung für ihre Zahlungen haben die Club95-Sponsoren Anrecht auf Plätze im VIP-Bereich.

In Zukunft sollen (spezielle) Sponsoren vor allem als Unterstützer der des Gesamtvereins von der Imageübertragung profitieren.

Das haben die neuen (speziellen) Sponsoren von ihren Zahlungen

Seit dem April 2021 gelten für Unternehmen innerhalb der Europäischen Union neue Regeln in Bezug auf Nachhaltigkeit. Die Firmen sollen in ihren sogenannten „Nachhaltungsberichten“ genau aufschlüsseln, welche konkreten Maßnahmen sie zur Realisierung ihrer sozialen Verantwortung ergriffen und wieviel Geld sie dafür ausgegeben haben. Dies auch im Bereich der sogenannten Corporate Social Responsibility (CSR). Platt ausgedrückt: Die Unternehmen müssen Gutes tun und das beweisen. Die neuen Richtlinien haben unter anderem dazu geführt, dass gemeinnützige Einrichtungen mit Anfragen von Firmen bombardiert werden, die dort Gutes tun wollen.

Nochmal: Fortuna Düsseldorf ist ein eingetragener Verein und als solcher mit einer definierten Rolle im Sozialleben ausgestattet. Ein Großteil der Aktivitäten des Vereins liegt außerhalb des bezahlten Fußballs (z.B. alle breitensportlichen Bereiche). Und damit entpuppt sich der Verein als mögliche Einrichtung, in der und für die Unternehmen im Sinne der CSR Gutes tun können.

Die neuen (speziellen) Sponsoren können ihre Zahlungen an die Fortuna (zumindest teilweise) im Bereich CSR verbuchen und damit belegen, dass sie Gutes tun.

Deshalb hat die Stadt Düsseldorf mit der Sache zu tun

An dieser Stelle kommt die Stadt Düsseldorf mit ihrem OB Keller ins Spiel. Erstens, weil das Wohnzimmer der Fortuna, die Mehrzweckarena in Stockum, der Stadt gehört und von der Stadttochter D.live verwaltet und vermarktet wird. Weil das so ist, finden in der Spielautomatenarena nicht nur die Heimspiele der Fortuna statt, sondern Konzerte und andere Events. F95 ist nur ein Nutzer unter mehreren und zahlt für die Nutzung Miete an die Stadt.

OB Stephan Keller auf der Pressekonferenz zum Konzept "Fortuna für alle" (Screenshot: F95,tv)
OB Stephan Keller auf der Pressekonferenz zum Konzept „Fortuna für alle“ (Screenshot: F95,tv)

Die Probleme dieser Konstruktion zeigen sich seit Jahren an allen Ecken und Enden und haben ihren Ursprung in der Art und Weise wie der damalige OB Erwin den Bau der Mehrzweckarena damals durchgepeitscht hat. Mittlerweile ist die Fortuna als Hauptmieter an einigen Stellen in der Arena sichtbar. Aber – und das betonte OB Keller auf der PK am Mittwoch – der Laden soll in Zukunft klar und deutlich als F95-Wohnzimmer erkennbar sein.

Was das konkret bedeutet, hat er nicht gesagt. Nicht wenige Fans hoffen darauf, dass die kunterbunten Sitzschalen durch solche in Rot und Weiß ersetzt werden. Da zwanzig Jahre nach Eröffnung im nächsten Jahr eventuell ohnehin Sitze zu ersetzen sind, könnte diese Umfärbung stattfinden. Romantiker unter den Fortuna-Anhänger träumen davon, dass die Arena irgendwann wieder offiziell „Rheinstadion“ heißen können. Da in der Marketingwelt der Wert von Location-Sponsoring inzwischen umstritten ist, könnte das sogar passieren. Die ganz Verrückten unter denen, die das F95-Logo im Herzen tragen, würden sich wünschen, dass die Fortuna irgendwann die Arena kauft und dann tatsächlich Hausherrin ist.

Darüber sprach Keller nicht, sehr wohl aber über die aktuelle und die gewünschte Rolle, die der TSV Fortuna Düsseldorf in der Imagepolitik der Stadt einnehmen sollte und könnte. Der PR-Coup mit dem freien Eintritt hat da ja schon gewirkt.

Gewünscht aber ist, dass F95 mit ihrem neuen Weg sportlich erfolgreich wird, wieder in die erste Liga aufsteigt und dieser Erfolg mit dem neuen Konzept auf die Stadt abstrahlt.

Diese Rolle spielt der freie Eintritt bei Heimspielen

Wie bei jedem ordentlichen PR-Coup muss etwas Neues, Aufregendes, Nie-da-Gewesenes, Revolutionäres den Kern der Kommunikation bilden, damit die Medien darauf anspringen. Hat ja geklappt. Auch wenn es in der kommenden Saison nur drei Heimspiele sein werden, für das potenzielle Zuschauende sich kostenlose Eintrittskarten beschaffen können – mutmaßlich gegen weniger attraktive Gegner wie Elversberg oder Regensburg. Die Ankündigung der Gratistickets wird also in der Saison 2023/24 noch keine wirklich wichtige Rolle spielen.

Angelegt ist der Modellversuch auf fünf Jahre. Am Ende soll der Eintritt zu den Heimspielen der Fortuna für ALLE kostenlos sein. Dann würde der Verein auf rund 15 Prozent seiner Einnahmen verzichten. Diese Einbuße soll durch die Einnahme neuer Sponsorengelder ausgeglichen werden. Vier Partner (Provinzial, HP Enterprise, Targobank und Common Goal (dazu demnächst mehr) sind an Bord und garantieren Zahlungen in Höhe von insgesamt 45 Millionen Euro über den Fünfjahreszeitraum (also im Schnitt neun Mio. per annum).

Angestrebt werden weitere Sponsoren des neuen Typs, und man kann sich leicht ausrechnen, dass die Gesamtsumme für die fünf Jahre des Modellversuchs, die von Sponsoren stammen, sich etwa um 60 bis 80 Prozent erhöhen muss, damit Fortuna tatsächlich auf Einnahmen aus dem Ticketing verzichten kann.

Fazit

Das Konzept „Fortuna für alle“ ist hochinteressant, hochmodern, aber nicht ohne Risiken. Der PR-Coup zur Vorstellung ist rundum gelungen. Die Reaktionen der Mitglieder und Fans überwiegend positiv. Auch euer Ergebener sieht die Sache positiv. In einem weiteren Beitrag zum Thema wird sich dieser Tage aber auch einmal mit den Bedenken von Fans und Mitgliedern und dem teilweise negativen Urteil von Journalisten und Experten befassen.


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6 Gedanken zu „Fortuna für alle: Es geht überhaupt nicht um den freien Eintritt

  • Sehr gut und übersichtlich beschrieben und analysiert!

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  • Jobst hin, Keller her, aber zu glauben, dass die Zukunft des Fußballs ausgerechnet bei den Biedermännern und -Frauen von Fortuna Düsseldorf beginnen wird, fällt mir als „Altvorderem“ verdammt schwer…
    Das Ding wird mMn früher oder später implodieren, weil weitere Sponsoren kalte Füße bekommen.
    Lasse mich aber gerne eines Besseren belehren…

    Antwort
  • Danke. Dass mit CSR ist interessant.

    Korrektur: In den oberen beiden Ligen gibt es m.W. 11 echte Vereine – der Kicker hat nicht alle Zweitligisten gelistet. Das sind sie:

    FC Union Berlin
    1. FC Heidenheim
    1. FC Nürnberg
    FC St. Pauli
    Fortuna Düsseldorf
    Holstein Kiel
    Mainz 05
    SC Freiburg
    Schalke 04
    SV Darmstadt 98
    SV Sandhausen

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    • Vielen Dank! Das ist absolut korrekt, deine Liste ist die vollständige.

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  • Gut und verständlich erklärt. Hoffentlich lesen den Beitrag viele. Der Sponsor schreibt sich Provinzial, nicht mit c. 😉

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