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7 Thesen zur Kaderplanung 2023/24

Die Kunst der Kaderplanung hat sich in den letzten fünf, sechs Jahren drastisch verändert. Da kommen wir Fans bisweilen nicht mehr mit. Der Ergebene versucht es trotzdem.

Analyse · Grund für die dramatischen Veränderungen ist vor allem die Verwissenschaftlichung und Digitalisierung des Fußballs. Selbst die KI („künstliche Intelligenz“) hat längst in die Arbeit von Trainern und Kaderplanern Einzug gehalten. Zumindest die Kicker, die schon mehr als eine Saison in einer der oberen drei Ligen auf dem Buckel haben, sind mit ihren Leistungs- und Verhaltensdaten schon umfassend erfasst, die Daten sind größtenteils frei zugänglich. Das hat massive Auswirkungen auf das Scouting, aber auch auf die Kaderplanung an sich, also auf die Frage, welche Spieler ein Team gern holen würde und eher abzugeben plant. [Lesezeit ca. 6 min]

Darüber hinaus geht es schon längst nicht mehr darum, die besten Kicker für eine bestimmte Position zu verpflichten, die sich der Verein leisten kann. Denn immer mehr wird das Gesamtgefüge eines Kaders unter einer Fülle an Gesichtspunkten beleuchtet, also auch die Psychohydraulik im Team. Dies jenseits aller Küchenpsychologie auf der Basis von psychosozialen Profilen der Spieler. Hieß es früher „das ist ein Stinkstiefel“ oder „der ist ein aggressive leader“, finden heute viel mehr, auch auf empirisch ermittelten Daten basierende Faktoren Berücksichtigung.

Na, schon gespannt auf die 7 Thesen? Nach einer kurzen Werbeunterbrechung geht’s weiter. Denn die Fortuna-Punkte verstecken sich nicht hinter einer Paywall. Alles, was du hier findest, ist gratis, also frei wie Freibier. Wenn dir aber gefällt, was du liest, dann kannst du uns finanziell unterstützen – zum Beispiel mit dem Kauf von Lesepunkten. Wir würden uns sehr freuen.

Ja, das ist der moderne Fußball. Das kann man mögen oder vehement ablehnen. Abgelehnt wird der wissenschaftliche Fußball von denen, die man als Romantiker bezeichnen kann oder die sich als solche verstehen. Manche sagen, mit all den Messungen und Statistiken würde ihnen der Fußball vermiest. Andere geben hinter vorgehaltener Hand zu, dass die mess- und belegbaren Fakten rund um die Kicker und das Spiel ihnen den Spaß daran nehmen, sich selbst zu Partien und Spielern zu äußern. Und es macht es „Amateuren“ viel, viel schwieriger, fundierte Vorschläge zur Kaderplanung zu machen. Da bleibt wenig mehr als Behauptungen aufzustellen.

1. Die Fortuna braucht nicht DEN einen Spieler oder genau DIESE Spieler.

Die Zeiten, in denen ein Mann nur Libero, Sechser, Achter oder Spitze spielen konnte, sind unwiderruflich vorbei. Gebraucht werden „polyvalente“ Bursche, die a) auf mehreren Positionen nützlich sind und b) Positionen flexibel interpretieren können.

Bedeutet auch: Ja, ein Kader kommt beispielsweise auch ohne „Knipser“, ja ohne dezidierte Spitze aus; Spitzenteams im europäischen Fußball machen das vor. Die einzige Position, auf die ein hochspezialisierter Mann gehört, ist die des Torwarts.

Deshalb ist es überhaupt nicht sinnvoll, irgendwelche Wunschlisten von Kickern aufzustellen, die ablösefrei zu haben sind oder ihre Wechselbereitschaft signalisiert haben.

2. Die Mannschaft der nächsten Saison braucht ein Gerüst.

Wenn eine Saison nicht so gelaufen ist wie gewünscht, werden schnell Rufe nach einem Umbruch laut. Fans fordern gern auch, die Coaches mögen doch lieber „die jungen Spieler“ (gemeint sind meist die Buben, die in der U23, U19 oder U17 aktiv sind) anstelle der älteren „Graupen“ ranlassen. Mal abgesehen davon, dass es beinahe unmöglich ist, in der Sommerpause aus einem Haufen Youngster ein Team zu formen, das gleich mehrere Spielsystem beherrscht und alle Laufwege kennt, ist bei einer Mannschaft so wie in einer Firmen: Jede Abteilung, jede Arbeitsgruppe, jedes Team braucht Leute mit Erfahrung im jeweiligen Berufsumfeld.

Deshalb sollten die Kicker, die schon länger für F95 zu Werk gehen, auf jeden Fall das Gerüst für den Kader der nächsten Saison bilden. Übrigens auch dann, wenn sie nicht zu den absoluten Cracks der Liga oder des Teams zählen. Traditionell versuchen Kaderplaner auf der fußballerischen Seite eine vertikale Gerüststange zu erhalten. Also gern von einem Tormann ausgehend über einen altgedienten Sechser bis hin zu einem „Mittelstürmer“. Zwei Knoten der Stange werden 2023/24 mit großer Wahrscheinlichkeit an Bord bleiben: Florian Kastenmeier und Marcel „Cello“ Sobottka.

Finde den Fehler: Menschen machen Fehler. Schreiber:innen sind Menschen, machen also Fehler. Und Schreiber ohne großes Team hinter sich – wie der Ergebene – machen natürlich auch Fehler. Deshalb unsere Bitte an alle: Wer einen Fehler im Text entdeckt, meldet ihn uns auf einem der bekannten Wege – z.B. per Mail an kontakt@fortuna-punkte.de oder über das Kontaktformular. Wir versprechen, falls wirklich etwas Falsches im Beitrag stand, bedanken wir uns nicht nur, sondern korrigieren es umgehend. Schönen Dank im Voraus!

Inzwischen hat sich aber auch die Erkenntnis durchgesetzt, dass es auch ein Gerüst in Bezug auf die sozialen Kompetenzen geben muss, etwas, das man bei der Fortuna in den letzten Jahren ziemlich vernachlässigt hat. Gebraucht werden erfahrene Männer, die vorangehen, die Verantwortung übernehmen, die neue Kicker und junge Spieler nicht nur auf dem Platz unterstützen. Ob Käpt’n Hoffmann, mit dem gerade über eine Verlängerung gesprochen wird, diese Rolle ausfüllen kann, ist zu bezweifeln.

3. Funktionale Lücken müssen gefüllt werden.

Moderne Spieler mögen polyvalent sein, aber den Allzweckkicker, der auf allen Positionen in allen Systemen beste Leistungen bringt, gibt es selbst unter den absoluten Stars des internationalen Fußballs so gut wie gar nicht. Die Ursachen liegen in der Physiologie von Fußballern: manche sind klein, manche groß, manche haben lange Beine, andere nicht, manche können nur mit einem Fuß brauchbar schießen, manche sind nicht nur groß, sondern kräftig, andere lang und dünn. Einige haben das Talent fürs Kopfballspiel, andere lernen das ihr Fußballleben lang nicht.

Die kognitiven Fähigkeiten unterscheiden sich. Große Talente (Luka Modric, um mal einen zu nennen, den der Ergebene zutiefst bewundert) können ein ganzes Spielfeld lesen, ohne sich groß umgucken zu müssen. Andere nehmen nur wahr, was sie unmittelbar im Fokus haben. Einige verstehen die Körpersprache von Kollegen und Gegnern und reagieren angemessen darauf. Andere machen nur ihr Ding.

Und weil einige ihre maximale Leistung nur auf einem Flügel und/oder in der Mitte bringen, können funktionale Lücken entstehen. Wie bei F95 schon seit einiger Zeit auf der linken Schiene, weil Nikolas Gavory so lange verletzt ist. Das heißt nicht, dass Fortuna jetzt zwingend einen linken Außenverteidiger holen muss (obwohl Micky Karbownik wohl kaum übers Saisonende bleibt), sondern einen eher defensiv ausgebildeten Spieler mit einem starken linken Fuß.

Das nur als Beispiel für funktionale Lücken.

4. Duos und Trios müssen gebildet werden.

Kennt man aus der Arbeitswelt: Wenn du Jupp und Ahmed auf eine Baustelle schickst, wird die Sache glatt und schnell laufen. Fahren Murat und Micha hin, kannst du dich auf Schwierigkeiten einstellen. Menschen harmonieren miteinander oder nicht. Im Fußball gilt als höchstes Maß an Harmonie, wenn sich zwei (oder seltener) drei Kicker blind verstehen, wenn sie sich so gut kennen, dass sie, ohne hinzugucken wissen, was der andere als nächstes macht.

Unabhängig von den Systemen sind im aktuellen Fußball die folgenden Duos gang und gäbe: Außenverteidiger und Außenläufer, die beiden Innenverteidiger, die beiden Sechser, die beiden Sturmspitzen. Wird vorwiegend mit Dreierkette gespielt, braucht es ein funktionierendes Trio aus Innenverteidigern. Und bei den meisten Systemen müssen sich Sechser und Achter bzw. Zehner gut verstehen.

Heißt konkret: Bestehende, gut funktionierende Duos und Trios sollten möglichst erhalten bleiben. Nicht so gut funktionierende Duos und Trios sollten durch neu verpflichtete Spieler optimiert werden.

Das gilt übrigens nicht nur für die Stammelf, sondern für den gesamten Kader.

5. Mehr Willensstärke und auch Härte muss in den Kader.

Ganz interessant: Im vergangenen Sommer wurde ein Mann nicht wegen seiner rein spielerischen Qualitäten verpflichtet, sondern wegen dem, was man heute so unscharf „Mentalität“ nennt: Jordy de Wijs. Der Ergebene betrachtet dessen Holung als den sinnvollen Versuch, mehr Härte und Willensstärke in den Kader zu bringen. Leider hat Jordy mit Verletzungen zu kämpfen, und wenn er auf dem Acker steht, neigt er dazu zu überdrehen. Kann also nur besser werden.

Wenn eines dem Kader laufenden Saison ganz sicher gefehlt hat, sind es solche psychischen Qualitäten. Zum Beispiel die Bereitschaft, Gegenspieler einzuschüchtern. Oder die Kollegen auf dem Platz auch mal rundzumachen (à la Axel Bellinghausen). Oder sich gelegentlich mit dem Schiri anzulegen. Oder selbst dann auf letzte Lunge zu rennen, wenn die Mannschaft 0:4 zurückliegt.

Ob man die Fähigkeit, Partien unbedingt gewinnen zu wollen, unbedingt „Gier“ zu nennen, sei dahingestellt. Fakt ist, dass diese Willensstärke immer von einzelnen Männern ausgeht und dann (im besten Fall) auf alle übergreift.

6. Schnellere Denker müssen geholt werden.

Ein Mangel, der in der laufenden Saison nicht mehr so stark zu beobachten war wie in der Spielzeit zuvor, war, dass so viele Spieler in komplexen Situationen immer so lange brauchten, sich zu entscheiden. Fußball ist inzwischen auch ein Denksport, bei dem Situationen Sekundenbruchteile, bevor sie eintreten, abstrakt erkannt werden, damit sich der jeweilige Kicker schneller für die richtige Reaktion entscheidet.

Insofern wäre es vermutlich wichtiger, nach schnellen Denkern mit genetisch bedingtem Fußballverstand zu holen als Burschen, die flink auf den Beinen sind.

7. Unsere Youngster müssen JETZT und sorgfältig integriert werden.

Was den eigenen Nachwuchs angeht, ist die Fortuna schon seit gut vier, fünf Jahren auf einem guten Weg. Das zeigen vor allem die Erfolge von U17 und U19. Dass die Zwote diese Saison schwächelt, hat andere Ursachen. Erfreulich ist besonders, dass sich Talente aus der geografischen Umgebung sehr viel öfter und einfacher für die Fortuna entscheiden als für die Nachwuchsförderung einiger Erst- und der meisten Zweitligisten.

Die Liste der Jungs, die jetzt schon oder spätestens in einem Jahr das Zeug dazu haben, als Stammspieler im Kader der Ersten zu sitzen, ist relativ lang. Es begann mit Shinta Appelkamp, inzwischen haben Daniel Bunk und Taka Uchino einen Profivertrag. Dass auch Elo Fernandes Neto und Jona Niemiec einen bekommen, ist nur eine Frage von Tagen. Und da ist ja auch noch Jamil Siebert, der mit einiger Wahrscheinlichkeit von seiner Leihstation bei Viktoria K**n zurückkehrt. Ob sich auch Tom Geerkens, Niko Vukancic und Marcel Mansfeld für diese Form der Beförderung anbieten, wäre zu diskutieren. Und dann sind da ja noch Buben wie der hochtalentierte David Savic, der schon oft bei den Profis mittrainiert hat.

Ja, die genannten – bis auf Savic – wurden schon eingesetzt. Das ist die gute Nachricht. Die vielleicht wichtigste Aufgabe der Nachwuchsverantwortlichen, der Coaches und auch der Kaderplaner wird sein, diese Youngster so sorgfältig zu integrieren, dass sie bald Stammspieler werden können.


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