Klopp bei RB – ein Verräter am Fußball, wie wir ihn lieben?
Jürgen Klopp, der sich jahrelang als bodenständiger und ehrlicher Fußballliebhaber inszeniert hat, wechselt zum fußballgottverfluchten Red-Bull-Konzern.
Meinung · Sofort sind sie da, die „Realisten“, die uns „Fußballromantiker“ schimpfen, weil wir wütend sind, dass Kloppo zum Teufel geht. Zum Red-Bull-Konzern nämlich, diesem Verbreiter von süßen Brühen ohne Funktion für teuer Geld, den einst ein rechtsdrehender Marketingfuzzi in Ösi-Land auf Basis einer Lizenz, die er ahnungslosen Thais abgeschwatzt hatte, gründete. Verrückterweise hat dieser Mateschitz ausgerechnet den Extremsport als Thema für seine Reklame gepachtet. Ausgerechnet Sport für ein Getränk, das unsportlicher nicht sein könnte. Und dann hat sich der RB-Kaiser auf den Fußball gestürzt und die Business-Werdung unseres Sports drastisch beschleunigt. [Lesezeit ca. 4 min]
Sich über uns Fußballromantiker lustig zu machen ist kleine Münze. Es ist so ähnlich wie der Dauervorwurf der „bürgerlichen Mitte“ gegen „Linksgrün“ wegen deren Versuche, moralisch richtig zu denken und zu handeln. Als ob Moral was Schlechtes sei und ohne Moral zu leben, richtig und vernünftig. Womit wir beim verstorbenen Mateschitz und seiner Vorliebe für einen Kapitalismus ohne Grenzen wären. In diesem Sinne hat er politisch alles gefördert, was den Superreichen (wie ihn selbst) erlaubt, noch superreicher zu werden.
Alles wird verwurstet
Nun hat der entgrenzte Kapitalismus die Eigenschaft, alles zu verwursten. Also jede menschliche Regung in Profit zu verwandeln. Eben auch den Fußball. Der wird seit etwa zwanzig Jahren mit maximalem Tempo und erheblichem Kapitaleinsatz in das Soccer Entertainment Business verwandelt. Unterhaltung, besonders diejenige, die per TV, Internet und andere elektronische Kanäle verbreitet wird, dient nur einem Zweck: Die Konsumenten mit mehr Reklame zu beballern, mehr Reklame und noch mehr Reklame. Den nur so kann die auf Konsum basierende kapitalistische Wirtschaft noch wachsen. Folgen für die menschliche Gesundheit und Psyche und für den Planeten spielen da keine Rolle.
Der Red-Bull-Konzern ist global betrachtet einer der Konzerne, der diese rücksichtlose Profitmaximierung mit am konsequentesten betrieben hat und betreibt. Die Rolle der von ihm betriebenen Soccer-Franchises ist klar: Sie sollen das Image des Konzerns durch Emotionalisierung von Konsumenten aufpolieren. Wichtig dabei ist, dass die Menschen Konstrukte wie RB Leipzig als Fußballvereine wahrnehmen. Bei den anderen Soccer-Konzernen wie die BVB-AG oder dem FCB-Konzern liegen die Dinge anders: Hier sind Investoren engagiert, die auf ein möglichst großes Return on Investment hoffen und nebenbei vom Abglanz des jeweiligen Clubs auf ihre Marken profitieren wollen.
RB-Soccer-Maschine stockt
Spätestens seit dem Weggang vom Rangnick funktioniert die RB-Soccer-Maschinerie nicht mehr so richtig. Gedacht war es, Rasenball (har-har-har) Leipzig zu einem Weltfußballclub zu machen, der auf Augenhöhe mit den größten Teams aus England, Italien und Spanien mithalten kann und so globale „Fans“ generiert – wovon dann wieder der Dosenkonzern was hat. Dazu wurde eine Lieferkette für das Spielermaterial aufgebaut. Vielversprechende Kicker wurden – je nach messbarem Talent – zum österreichischen Farmteam des FC Liefering oder gleich zu RB Salzburg gelotst. Wer sich dort bewährte, wurde konzernintern nach Leipzig überführt. Die RB-Franchises in den USA und Brasilien dienten einerseits der Zweitverwertung und andererseits dem Schürfen von Nachwuchs. Das galt auch für die Niederlassung in Ghana, die inzwischen wieder dicht gemacht wurde.
Genau dieses Schürfen von Talenten ist in den vergangenen Jahren schwer ins Stocken gekommen. Die Nachwuchsarbeit von RB Leipzig ist inzwischen von den C-Junioren an sehr erfolgreich, eine Zwote auf Regionalliganiveau haben sie 2017 eingestellt. Aber der Quertransfer über Österreich funktioniert nicht wie gewünscht. In den letzten zwei Jahren gab es keine nennenswerten Wechsel aus Salzburg nach Leipzig. Der FC Liefering wird mit den RB-Salzburg-Junioren gefüttert, liefert aber maximal drei Kicker pro Saison nach Salzburg. Ein Austausch mit RB Bragantino in Brasilien findet gar nicht statt. RB-Star Emil Forsberg wurde von Leipzig zu den New York Red Bulls verklappt. Kurz und knapp: Talentförderung im RB-Kosmos funktioniert nur in Form der Nachwuchsarbeit in Leipzig.
RB-Ziele: Deutsche Meisterschaft und Champions-League-Gewinn
Nun ist es – wie oben erwähnt – erklärtes Ziel von Oliver Mintzlaff, Insasse der RB-Geschäftsführung, dass Rasensport Leipzig demnächst Deutscher Fußballmeister (den Pokal haben sie ja schon) wird und dann die Champions League gewinnt. Das bedeutet kurzfristig, dass man Vereine wie den FC Bayern (Adidas, Allianz, Audi), Bayer Leverkusen (Bayer), VfB Stuttgart (Mercedes-Benz, Porsche) und schon gar Luschen wie Eintracht Frankfurt oder den SC Freiburg vom Meistertitel fernhalten muss. Auch wenn der Konzern seinen Umsatz inzwischen auf über 10 Milliarden Euro gesteigert hat, kann nicht beliebig viel Kohle in Spielerkäufe fließen. An die 634 Millionen Euro bei Bayer Leverkusen oder die 939 Millionen Euro bei den Bayern an Marktwert wird man bei RB durch reines Shopping nicht rankommen.
Außerdem hat der erwähnte Mintzlaff vor gar nicht langer Zeit in einem Interview einmal erwähnt, dass die Soccer-Engagements des Konzerns auf mittlere Sicht profitabel arbeiten sollen. Also das, was Hopp bei Hoffenheim nie gelungen ist. Und weil Transfererlöse neben den globalen TV-Geldern und Einnahmen aus dem weltweiten Merchandising die wichtigste Säule auf der Einnahmenseite darstellen, MUSS der Red-Bull-Konzern endlich gezielter Talente schürfen und fördern. Nicht nur, um sie in ihren Soccer-Franchises selbst zu nutzen, sondern nach einer gewissen Zeit mit Profit abgeben zu können.
Klopp soll neue Methoden entwickeln
Und da kommt der ehemalige „Pöhler“ ins Spiel. Der ist seit seinen Auftritten als Experte während der WM 2006 in erster Linie eine Medienpersönlichkeit. Und natürlich auch Unternehmer in eigener Sache. Nehmen wir zu seinen Gunsten mal an, dass er den Fußball (der ihn zu dem gemacht hat, was er ist) immer noch liebt. Nehmen wir weiter an, dass ihm am Herzen liegt, den Fußball immer besser zu machen. Nur: Was heißt eigentlich „besser machen“? Innerhalb des Soccer-Kosmos bedeutet ist, immer mehr Talente immer besser auszubilden. Und vor allem: Talente schürfen.
Nun hat JK ja in England gearbeitet, der Fußballregion, in der man inzwischen dabei ist, Kader von bis zu 40 Kickern pro Profiteam zusammenzustellen und Jungs schon im Alter von 12 oder 13 Jahren in die Nachwuchszentren zu holen. Sonderlich erfolgreich ist beides nicht, aber schädlich für den englischen Fußball als Breitensport. Das hat Klopp aus der Nähe erlebt. Es kann ihm bei seinem RB-Job nur darum gehen, es anders und besser zu machen.
Zwei Konzepte (die RB-Lieferkette und das englische Massenmodell) haben sich nicht als erfolgreich erwiesen. Aufgabe von Jürgen Klopp bei Red Bull wird es also sein, neue Methoden zu entwickeln und in die Praxis umzusetzen. Dass ihn eine solche Herausforderung gereizt hat, kann man verstehen. Zumal die Dotierung vermutlich astronomische Höhen erreicht. Das Paket muss für ihn so reizvoll gewesen sein, dass er – und darüber hat er sicher nachgedacht – sein Image mit dem Wechsel zum bösen Feind aller Fußballromantiker zu beschmutzen, wissentlich in Kauf nimmt.
Was immer dieser Jürgen Klopp bei RB in Sachen Fußball tun wird, es wird die Umwandlung des Fußballsports in das Soccer Entertainment Business beschleunigen. Das scheint im egal zu sein. Und damit können wir Romantiker ihn mit gutem Grund als Verräter am Fußball, wie wir ihn lieben, betrachten.
[Bildnachweis – Titelfoto: Mehdi Bolourian via Wikimedia unter der Lizenz CC BY 4.0]
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Ergebener, deine leider immer seltener werdenden gesellschaftlichen Analysen, finden bei mir regelmäßig noch größere Zustimmung, als deine Spielkritiken. Toller Kommentar.
Danke fürs Kompliment. Werde mich bemühen, wieder mehr über die gesellschaftlichen Seiten des Fußballs zu schreiben.
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