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Fortuna-Punkte 16/17: Lost in Rostock

Der Chefred hat mir nicht nur eine Zugfahrt nach Rostock spendiert, sondern erlaubt mich „Ihr sehr ergebener Berichterstatter“ zu nennen. Langjähriger Leser dieses Online-Magazins und seiner Vorläufer werden ahnen, was das bedeutet. Als ich dann am Hauptbahnhof dieser hansigen Stadt ankam, stellte ich fest: War schonmal hier. Mehr als 20 Jahre her. Als sportlicher Ehrengast eines norddeutschen Vereins, dessen Name hier nicht genannt sein soll. Zusammen mit den Lads. Wir haben uns damals ganz ordentlich geschlagen. Seinerzeit kamen wir über Schweden und per Schiff. Wo es billig Alkohol gab. Eine schöne Zeit, damals. Also kannte ich den Bahnhof nicht. Aus lauter Faulheit mietete ich mich ins Hotel daneben ein. Ein schwerer Fehler. Denn in Rostock enden die Rangiergleise genau da. Mein Zimmer ging nach hinten raus. Ein zweiter schwerer Fehler.

Lebenslanges Stadionverbot

Nun bin ich in meinem Leben vorher nur zwei- oder dreimal überhaupt im Osten gewesen. Klar, dass es ein Deutschland gibt, ist mir schon aufgefallen. Aber dass es blühende Landschaften jenseits der Zonengrenze gibt, war mir bis dato unbekannt. Auf dem Weg zum Stadion gibt es zum Beispiel den blühenden Lindenpark. Unweit eine Gaststätte. Das Bier schmeckt ganz gut. Wie immer bei Auswärtsspielen der angeblich glorreichen Fortuna steuerte ich die Sitzplätze der Eingeborenen an. Karten gab’s noch. Aber sie haben mich nicht reingelassen. Der Türsteher am Einlass guckte mich an. Ich guckte zurück. Dann dämmerte es uns. Wir waren uns schon mal begegnet. Im Mai 2010. In der Düsseldorfer Altstadt. Der Typ nuschelte in sein Sprechdings, und schon waren die Cops da. Man erteilte mir einen Platzverweis. Hatte ich lange nicht mehr. Aber, mal ehrlich: Stadionverbot ist halt Stadionverbot. Da nützt kein Lamentieren.

Zwei Ordnungshütchen hakten sich bei mir ein und schlenderten mit mir Richtung Platz der Freiheit, wo sie mich losließen. Na gut, dachte ich, guck ich das Spiel halt in einer Kneipe. Mein Smartphone bot mir was in einem Stadtteil namens Lütten Klein an und empfahl die S-Bahn. Man nennt das wohl Plattenbauten. Alles ganz ordentlich und ziemlich gleichmäßig. Und ich auf der Suche nach einer Gastronomie mit Sky-Abo. Gab es auch von. Aber die war randvoll, und die Insassen schafften es, sich so zu drängeln, dass ich keinen Blick auf den TV-Bildschirm hatte. Dabei war noch nicht mal angepfiffen. Ich wanderte durch diesen Stadtteil, der Samstagsabends um halb sieben ziemlich ausgestorben ist. Zurück zur S-Bahn und auf gut Glück weiter.

Von Seebädern und Imbissbuden

Zwei Stationen später steht was von „Seebad“ auf dem Bahnsteigschild. Tatsächlich bin ich plötzlich in einer Art Brighton ohne Seepromenade und Pier. Alles voller alter Leute. Jede Menge Cafés und nur eine Kneipe. Ob ich hier das Spiel gucken könne, frage ich die ondulierte Wirtin. Welches Spiel? fragt sie, und mir wird klar, dass sie eher kein Sky haben wird. Draußen zufällig ein Taxi. Der Kutscher ist freundlich, wenn auch nicht von da. Er wisse da was. Plötzlich geht’s durch einen Tunnel, und am anderen Ende sehe ich: Die Stadt hat einen Hafen. Er hat das Radio an. Drei dicke Chancen für die Fortuna. Er dreht sich zu mir und grinst: Hasse die Hansa. Ach so…

Das Tor fällt in der 21. Minute. Da haben wir an einem Imbiss in einem ganz toten Viertel angehalten, wo ich dem Chauffeur Currywurst mit Fritten und ne Cola spendiere. Der umgebaute Wohnwagen ist komplett in Blau und Weiß dekoriert. Auch hier berichtet der Mitteldeutsche Rundfunk live. Als ich in einen kurzen Jubel verfalle, kommt die baumlange Bedienung und räumt unsere halbaufgegessenen Schalen ab. Er kriegt kein Trinkgeld. Pjotr, so heißt mein neuer Kumpel, schlägt vor, es mal in der Altstadt zu versuchen. Er habe eh Feierabend, und das Spiel fange an ihn zu interessieren. Wir landen in einem Ratskeller, der so aussieht und riecht wie er heißt.

Fanfreundschaften

In einem Nebenraum hängt ein maximal 30-Zoll-Flachbildschirm der drittletzten Generation, davor drei Greise an schalen Getränken. Wir gesellen uns dazu. Das Bild ist nicht gut, aber das Bier. Rensing haut eine Hundertprozentige weg. Pjotr murmelt was von „Welttorhüter“. Ob er sich überhaupt für Fußball interessiere, frage ich. Er macht eine unbestimmte Handbewegung und nippt an seiner Schwipp-Schwapp. Ich kriege ungefragt einen Klaren serviert und sehe beim Kippen am Glas vorbei wie Sobottka einnickt. Also, den Ball ins Tor. Die Greise rühren sich nicht. Außer einer mit einem sehr altmodischen Blauweiß-Käppi auf der Birne, der unkontrolliert zuckt. Nach dem 3:0 durch Bebou dreht er sich ein wenig und droht mir Prügel an. Ich geb ne Runde aus, während Gartner gerade das 4:0 verbaselt.

Pjotr bestellt sich einen Eintopf der aussieht wie schon mal gegessen. Riecht aber nett. Ich entscheide mich nach der abgebrochenen Currywurst für ein gutes deutsches Zigeunerschnitzel. Das Bier ist lecker. Wir kommen ins Gespräch, also der gefährliche Greis, sein verstörter Kumpel, Pjotr und ich. Sind uns einig, dass der F.C. Hansa bald wieder Bundesliga spielt. Und die Fortuna sowieso. Sieben Schnäpse später reden wir dann über UEFA-Cup und Champignon-Liga. Nach mein neuer taxifahrender Freund nach dem Empfang einer nicht unerheblichen Gebühr abgezogen ist, schwören wir anderen uns ewige Freundschaft. Der Mann mit dem Käppi heißt Kalle, die Namen der anderen habe ich vergessen.

[Foto: Sandra Drljaca]


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