EM 2016: Das Jammern der Geschäftemacher
Um es vorwegzuschicken: Wer meint, er müsse seine Vorliebe für die Auswahl des Deutschen Fußballbundes (DFB) dadurch deutlich machen, dass er sein Auto, seine Fenster oder gar sich selbst in den Farben Schwarz-Rot-Gold schmückt, der soll das tun. Ist völlig okay. Wer dagegen flaggt und wimpelt, weil er stolz ist ein Deutscher zu sein, der möge sich in die passende therapeutische Betreuung begeben. Denn natürlich liegt es nah, als Inhaber eines bundesdeutschen Personalausweises eher zur „Le Mannschaft“ zu halten als zum Beispiel zum Team aus Island. Dass aber derart viele deutsche Fußballfreund bei dieser Europameisterschaft stärker auf Seiten der Nordiren, der Iren, der Waliser und vor allem der Isländer standen und stehen, sollte die Marketingfuzzis des DFB und vor allem diesen Herrn Bierhoff mal ans Nachdenken bringen, was da falsch läuft. Dies als Vorrede zum anschwellenden Gejammer der Unternehmen, die ihren Reibach bei und mit der EM im Allgemeinen und „Le Mannschaft“ im Speziellen machen wollten. Wir haben uns in Düsseldorf in Geschäften, Kaufhäusern, Getränkemärkten und an Tankstellen mal umgehört, wie das Geschäft mit Fanartikeln so lief.
Nur anonyme Auskünfte
Interessant dass keine einzige befragte Person mit ihrem Namen erscheinen wollte und dass die befragten Getränkemärkte und Tankstellen darauf bestanden, ebenfalls nicht namentlich genannt zu werden. Um die befragten Angestellten zu schützen, verschweigen wir auch die Namen der Geschäfte und Kaufhäuser. In einem der großen Warenhäuser dieser Stadt fanden sich Fanartikel ab Ende Mai gleich in mehreren Abteilungen – vor allem Trikots, Hüte, Mützen, Blumenketten und Schals. Am Ende der ersten EM-Woche hatte man den Kram dann im Erdgeschoss zusammengezogen. Eine Verkäuferin: „Hier am Sonderstand verkaufen wir praktisch nichts. Oben in der Sportabteilung sind wohl die aktuellen deutschen Trikots ganz gut gegangen.“ Inzwischen ist aus dem Stand ein Tisch geworden, den die Kunden durchweg ignorieren.
Vorsichtiger ans Thema herangegangen ist ein anderes Kaufhaus, das in der Sportabteilung eine sehr kleine Auswahl schwarz-rot-goldener Artikel präsentiert – hier gibt es auch Autofähnchen. Der fröhliche junge Mann, den ich anspreche, berichtet: „Geht dieses Jahr gar nicht. Vor zwei Jahren zur WM haben wir hier noch richtig viel Fanartikel verkauft, aber jetzt…“ Das bestätigt ein Tankstellenkassierer, der selbst glühender „Deutschland-Fan“ ist, findet es aber auch okay: „2006 hat sich jeder Depp ne Deutschlandfahne ins Gesicht gemalt, jetzt sind es die richtigen Fans, die Fansachen haben.“ Eine Verkäuferin in einer Tankstelle einer anderen Marke weiß: „Die Qualität der Autofähnchen ist dieses Mal unter aller Sau. Die gehen schon kaputt, wenn man sie ans Fenster steckt.“ Allerdings seien bei ihr die Wimpel recht gut verkauft worden – nicht nur die deutschen, sondern vor allem polnische, türkische und albanische.
Zwangsartikel
Ein längeres Gespräch haben wir mit dem Inhaber eines größeren Tabakladens samt Schreibwaren, der ein ganzes Schaufenster in schwarz-rot-gold dekoriert hat. Seine These lautet: „Die Leute haben doch schon allen Quatsch, also Fähnchen, Spiegelüberzieher, Aufkleber und und und – die brauchen doch nicht alle zwei Jahre ne neue Ausstattung.“ Seiner Beobachtung nach haben viele seiner Kunden, die noch bei der WM 2014 ihre Autos geschmückt und Flaggen aus den Fenstern gehängt hatten, dieses Jahr darauf verzichtet: „Die wollen nicht mit diesen Pegida-Leuten in einen Topf geworfen werden.“ Zuletzt besuchten wir einen Flaggengroßhandel, der Fahnen in allen Größen und Qualitäten und – nach eigenen Aussagen – für jeden noch so kleinen Staat anbietet. Hier wollte man zunächst gar nicht mit uns sprechen. Der stellvertretende Geschäftsführer ließ sich dann doch zu der Aussage hinreißen, dass das Unternehmen im laufenden Jahr so gut wie keine Effekte durch die EM verspürt habe.
Unmut über Lieferanten hörten wir besonders in Getränkemärkten und teils auch in Supermärkten. Ein Inhaber: „Die Lieferanten haben uns dermaßen mit billigstem Kram zugemüllt, den sie wiederum von Herstellern zu Promotion-Zwecken bekommen haben, dass wir gleich die Hälfte weggeschmissen haben. Wer will schon sein Grillwürstchen von einem schwarzrotgoldenen Pappteller essen? Die Blumenketten von der einen Firma zerfallen schon beim Auspacken. Und dieses Schminkset hier ist so scheiße, da kannste nach der Anwendung gleich zum Hautarzt gehen.“ Offensichtlich haben auch seine Kunden die mindere Qualität bemerkt und nehmen Fanartikel dieser Art nicht einmal als Geschenk an.
Fazit: Der Boom scheint vorbei
Eines scheint sicher: Der Boom bei den Fanartikeln scheint im selben Maße vorbei wie die Beliebtheit von Public Viewing und Fanmeilen nachgelassen hat. Und wer bei Spielen mit deutscher Beteiligung nicht zu einer Fanparty geht, der braucht auch weder Schminke, noch Blütenkette oder sonstige schwarzrotgoldene Accessoires. Mit einem Trikot der DFB-Auswahl ist man allemal richtig gekleidet. Zudem ist die Zahl der Autofähnchen und der deutsch beflaggten Fenster deutlich sichtbar zurückgegangen. Beides schlägt sich drastisch sinkenden Verkaufszahlen für Fanartikel nieder – vielleicht ein Symptom für die Normalisierung im Fußballkonsum.
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Gute Sache das. Also das keiner den billigen Dreck kauft. Vielleicht könnte man das in Dresden entsorgen? Bei den Pegidioten, die meinen ja eh immer sie würden zu kurz kommen.
Ist „Le Mannschaft“ bewusst formuliert? Mir wird überall nur „La Mannschaft“ um die Ohren gehauen…aber auch egal: Artikel trifft zu, dort in Bilk, wo ich die Spiele schaue, herrscht keineswegs überfülltes, dafür entspannt-fröhliches Fussballschauen, nicht mehr, nicht weniger.