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Pauli vs F95 1:2 – Am Ende kriegt (nicht) jeder, was er verdient


Es ist praktisch unmöglich, einen halbwegs objektiven Spielbericht zu verfassen und eine Partie zu analysieren, wenn man sich die Sache mitten im euphorisierten Fortuna-Fan-Block im hübschen Stadion am Millerntor angeschaut hat. Da muss sich der verantwortungsbewusste Sportreporter dann eben doch die komplette Begegnung in der Redaktion als Aufzeichnung anschauen. In diesem Fall machte erst die Videoanalyse der letzten Viertelstunde deutlich, mit wie viel Glück die glorreiche Fortuna gestern auf St. Pauli gewonnen hat. Dabei startete die Elf in Weiß im Stile einer Spitzenmannschaft und auf Erstliganiveau. Der Druck der Fortunen war derart hoch, dass die Pauli-Kicker bis mindestens zur 25. Minute umherirrten wie gejagte Häschen. Und dabei hatte das Trainerteam wieder etwas Neues aus dem Hut gezaubert: Jean Zimmer als Rechtsaußen vor Julian Schauerte!

Und wenn du denkst, es wären schon alle Varianten durchgespielt, dann haben die Füchse Friedhelm Funkel und Peter Hermann eben doch noch eine Idee in petto. Diese Konstellation zauberte einen Offensivhagel auf den rechten Flügel, dem die Paulianer nichts entgegenzusetzen hatten. Weil der gute Schauerte vermutlich sein bisher bestes Spiel im Dress der Flingerer machte, und weil der kleine Zimmer eine riesige Trickkiste bei sich hat, war dieses Duo über weite Strecken der Partie der Bringer. Was man von Takashi Usami leider nicht sagen kann. Auch wenn der ein sehenswertes Ei zum 1:0 in den rechten Giebel nagelte und ganz gut mit dem Mittelfeld harmonierte, so war er offensiv nicht halb so effektiv wie die Kollegen auf der anderen Seite, und sein Defensivverhalten ist, vorsichtig formuliert, ausbaufähig.

Mann des Spiels: Raphael Wolf

Womit wir dann auch schon in der Verteidigungszone und beim Mann des Spiels sind. Ohne Raphael Wolf im Tor wäre dieser Sieg nicht möglich gewesen. Was für ein Segen, mit ihm und Michael Rensing zwei hervorragende Keeper im Kader zu haben, die auf ganz unterschiedliche Weise den Rückhalt für den Rest bilden. Was hat dieser Mann, den sie in Bremen nicht mehr wollten, zum Ende des Spiels alles rausgeholt! Da waren Dinger der Kategorie unhaltbar dabei, da kamen Granaten, die jeden zweiten Tormann überfordert hätten, und das alles mit einer Seelenruhe abgewickelt, die bewundernswert war. Dabei hatten ihn seine Vorderleute noch nicht einmal im Stich gelassen. Aber das Gewitter, das der FC St. Paul etwa ab er 65. Minute anrichteten, war stark und mächtig – und es hörte nie auf. Als unparteiischer und fairer Beobachter müsste man sagen: Ein Unentschieden wäre das gerechte Ergebnis gewesen.

Mit der Fairness haben es die hochgelobten Pauli-Fans nicht so, und verlieren können sie auch nur schlecht. Nur so lässt sich das massive Pfeifkonzert gegen die feiernden Fortuna-Spieler erklären und die extreme Schiri-Schelte. Wobei sich ein nicht besonders nüchterner Pauli-Anhänger in der U-Bahn mit folgendem Satz ein Eigentor legte: „Der Schiri hat ja in 50 Prozent der kniffligen Situationen immer für Fortuna gepfiffen.“ Tja, im Jammern waren sie schon immer groß, die Freunde des Vereins, der längst nicht mehr ist, was er mal war, sondern bloß noch eine Marke, die mit alternativen Elementen spielt. Wer da eine Fanfreundschaft zwischen dem TSV Fortuna Düsseldorf 1895 und dem FC St. Pauli 1910 imaginiert, vergisst auch, dass F95 im Gegensatz zu Paul eben doch ein Traditionsverein ist.

Respekt der Pauli-Mannschaft

Trotzdem muss der volle Respekt dem Team in Braun gelten, dass wirklich jederzeit alles versucht hat, das Ding zu drehen. Nicht einmal nach dem frühen 0:2 zeigten sich irgendwelche Auflösungserscheinungen. Und auch wenn der Anschlusstreffer eher zufällig zustande kam, der Kampfeswille war jederzeit da. Und dass obwohl die Mannschaft den Fortunen im Durchschnitt körperlich deutlich unterlegen war. Weil es immer ein wenig komisch aussieht, wenn so ein Kerl wie Bodzek nach einer Berührung mit einem Hering mit Storchbeinen zu Boden geht, waren viele dieser Szene Ergebnis der paulianischen Bissigkeit. Die Fans des Stadtteilclubs sahen das anders und unterstellten den Jungs in Weiß Fallsucht – auch das ein Symptom für deren Verhältnis zur Fairness.

Ganz besonders wurde dieses nach einem vermeintlichen Handspiel in der 93. Minute deutlich. Die Pille sprang Marcel Sobottka an die Hand und von dort ins Aus. Weil Sobottka die Hand da hatte, wo sie hingehört und damit weder seine Körperfläche vergrößerte, noch eine unnatürliche Handbewegung vollführte, gab Schiri Brych zurecht keinen Strafstoß. In der U-Bahn war sich ein Quartett Pauli-Fans sicher, dass Brych „mal wieder“ von den Düsseldorfern gekauft war. Den Hinweis auf die Regeln bürstete man ab mit dem Satz: „Der muss da seine Flossen hintern Rücken tun!“ Gefolgt von sozialneidischen Kommentaren zur Königsallee und dem Wohlstand der Düsseldorfer Bürger. Da hatte der Referee aber schon einmal zurecht nicht auf den Punkt gezeigt. In der 73. Minute fiel FCSP-Kicker Allagui im Sechzehner nach einem Laufduell mit Bormuth.

Nicht gegebene Tore

Und dann waren da noch zwei nicht gegebene Treffer für die Braunen. In der 28. Minute zappelte die Pille in der Bude hinter Wolf, aber Brych hatte nach einem Foul an Zimmer schon abgepfiffen. Nicht aufgepasst hatte das Stadionsprecherteam, das den Tor-Jingle in voller Länge ablaufen ließ. Und weil es die Pauli-Zuschauer frühzeitig bemerkt hatten, sangen eben die Fortunen auf der Südseite beim Song 2 von Blur mit. In der 79. war es der bereits erwähnte, in Düsseldorf aufgewachsene Allagui, der sein Tor aus klarer Abseitsposition erzielte. Übrigens war der es, der in der 19. Minute Kaan Ayhan ohne böse Absicht bei einem versuchten Fallrückzieher im Gesicht traf.

Erneut kann man sagen: Wie schön, dass der Kader auf einer Position richtig gut doppelt besetzt ist. Gemeint ist der junge Robin Bormuth, der – ähnlich wie im Spiel gegen Jahn Regensburg – einen unaufgeregten und aufmerksamen Innenverteidiger gab und so dem deutlich kreativeren Ayhan Spielräume schenkte. Niko Gießelmann auf links kam gestern nicht so zur Geltung, weil – wie erwähnt – die Kooperation mit Usami noch nicht funktionierte. Die Startaufstellung machte deutlich, dass es dieses Mal nur einen Spielmacher geben würde, und der hieß Sobottka. Außer in den Situationen in der ersten Spielhälfte, die autonom über die rechte Seite liefen, war er fast immer an der Entstehung von Offensivaktionen beteiligt – perfekt abgesichert von Adam Bodzek, der zum wiederholten Male vorführte, wie unbedingtes Engagement auf dem Platz aussieht.

Alle gaben alles

Womit wir beim zweiten älteren Herren in Weiß sind: Oliver Fink, der Käpt’n. Der Mann mit der offensiven Narrenfreiheit, der Kicker mit der Lizenz zum Seitenwechsel, der nominelle offensive Mittelfeldler, der dem Gegner überall Schwierigkeiten macht, der defensiv genauso konzentriert mitmischt wie vorne. Gerade in der extremen Drucksituation durch die dauerstürmenden Paulianer ab der 65. Minute war Fink ein Garant für aufopferungsvolles Verteidigen. Davon können sich andere Stürmer eine Scheibe abschneiden. Dass Rouwen Hennings mal zu einer der erfolgreichsten Mannschaften der Pauli-Geschichte zählte, war weder auf, noch neben dem Platz ein Thema. Ihn schien das ohnehin nicht zu interessieren, weil er genau das Spiel machte, das er immer macht, wenn er einzige Sturmspitze ist. Dazu gehört – und das ist bei modernen Stürmern eher selten – ständiges Anlaufen und Stören der gegnerischen Verteidiger bei deren Ballbesitz. Nicht immer wird die Kugel dabei erobert, aber wenn, dann wird’s gefährlich. Das 2:0 in der 23. Minute aber, das machte er wie ein klassischer Knipser. Ein feiner Pass kommt von Zimmer in den Sechzehner, Verteidiger und Torwart sind verwirrt, Hennings umläuft beide und schiebt an einem weiteren Paulianer auf der Linie ein. So muss das.

Zur 60. Minute kam Benito Raman für Usami und setzte zu seinem bekannten Spiel an. Ein paar Mal gelangen ihm schicke Flankenläufe und Dribblings, weil aber der Rest der Truppe meist hinten gebunden war und nicht halb so schnell umschalten wie Raman laufen kann, brachte das nichts Zählbares. Mitten in den Angriffstornado des FCSP kam in der 76. Nielsen für den ein wenig ausgepumpten Fink, fand aber überhaupt nicht ins Spiel. Das gilt auch für Emir Kujovic, der Hennings in der 81. Minute ersetzte. Ist aber auch blöd für Stoßstürmer, wenn die Kollegen nicht mal ansatzweise mehr zu Kontern ansetzen können. Aber genau wie Pauli in der letzten halben Stunde wirklich alles gab, so warfen auch die Fortunen ihren gesamten Körnervorrat in die Waagschale.

Am Ende kriegt nicht jeder, was er verdient

Eigentlich zeigte das Team des Deutschen Meisters von 1933 nur eine Schwächeperiode, nämlich zwischen dem gegnerischen Anschlusstreffer und der Pause. Auf einmal war da wieder diese sinnlose Lässigkeit, diese milde Schlampigkeit, die aussah, als wolle man zu dem Zeitpunkt schon auf Ergebnis spielen. Wenn es in der laufenden Saison überhaupt einen Schwachpunkt an Team, System und Auftritt der Fortuna gibt, dann sind es solche Phasen. Fänden die nicht mehr statt, könnte die gute, alte Diva vom Flinger Broich selbst für starke Gegner unüberwindbar werden. Das Ergebnis von gestern einen „dreckigen Sieg“ zu nennen, ist völlig unangemessen. Dreckig war an der Partie gar nichts, und am Ende hat F95-Team einfach das gekriegt, was es verdient hatte. Der FC St. Pauli dagegen nicht. Dabei sprechen sämtliche statistischen Werte eindeutig für die Mannschaft vom Kiez…


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3 Gedanken zu „Pauli vs F95 1:2 – Am Ende kriegt (nicht) jeder, was er verdient

  • Feiner Artikel, gut geschrieben! Besonders gefallen hat mir die Wendung „milde Schlampigkeit“, um die rheinische Mentalität zu charakterisieren. Trifft sie gut, finde ich.

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  • Gewohnt stimmige und süffige Nachbetrachtung, aber wo hat eigentlich die weitverbreitete Abneigung gegen Pauli ihren Ursprung ?
    Nur noch eine Marke, inwiefern ?
    Natürlich sind viele Rituale, Klamotten, Haltung, Gesänge usw. z.T. aufgesetzt, aber das empfinde bei sehr vielen Vereinen (z.T. auch bei unserer geliebten Fortuna) so.
    Die 50 plus 1 Regelung hat bei denen doch auch noch Bestand, oder ?
    Klar selbst viele Fußballfremde finden Pauli geil, weil die Totenköpfe so cool sind, und die Einlaufmusik und das Torjingle usw., ich als Fußballfreund übrigens auch.
    Was ist speziell an dem (Achtung Reizwort) Kiezclub so schlimm ?
    Da stoßen mir andere Clubs schon bitterer auf.

    Antwort
    • Nein, so einfach ist das mit dem FC St. Pauli nicht. Man kann sagen: Der FC St. Pauli von heute ist nur noch eine Marke – und das ist gewollt so. Tatsächlich tauchte dieser Stadtteilclub im Bewusstsein von Fußballinteressierten erst so um 1980 auf, weil urplötzlich Punks und Autonome aus der Hausbesetzerszene im Stadion aufliefen. Vorher hat sich außerhalb von St. Pauli und Altona kein Schwein für diesen total langweiligen Verein interessiert. Von diesem Image profitiert der FCSP noch heute, obwohl es so gut wie keine Verbindung mehr zur Szene und zum Milieu gibt. Im Gegenteil: Viele Aktive aus linken Kreisen – und übrigens auch die Prolls, die mal die Mehrheit im Publikum ausmachten – wurden weggemobbt. Der Verein ist inzwischen – wie das Viertel – komplett durchgentrifiziert. Man kann das, was zu Zeiten von Corny Littmann mit voller Absicht und großer Rücksichtslosigkeit gestartet wurde, auch als Vereinsrettung verstehen. Tatsächlich aber war es eine hundertprozentige Anpassung an den Kommerzfußball. Insofern ist die Abneigung (die übrigens seit ein paar Jahren viele, viele F95-Fans teilen) eine Abneigung gegen den modernen Fußball. Gut ist, dass die den Club beherrschende Gentry mehrheitlich aus dem links-grünen Millieu stammt und deshalb gern und gut links-grüne Projekte und Proteste unterstützt. Aber selbst das hat mit dem FC St. Pauli zwischen etwa 1980 und 2002 nichts mehr zu tun. Meine persönliche Abneigung als jemand, der jahrelang mit einem großen F95- und einem kleinen FCSP-Aufkleber auf dem Auto rumgefahren ist, stammt daher, dass ich nur einmal von gegnerischen Fans angespuckt wurde: Es war 2011 während de 3:1-Auswärtssieg. Wenn der FC St. Pauli zuhause verliert, wird man immer von deren Fans bepöbelt – denn verlieren können die überhaupt nicht.

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