Ingolstadt vs F95 1:0 – Von Nörglern, Experten und Buddhisten
Die Frage war nicht, ob gewisse F95-Fans anfangen würden zu nörgeln, sondern nur wann. Wohlgemerkt: Während des Spiels unentwegt zu granteln und die eigenen Spieler zum Teil unflätig („@+&%%% doch, du &%$*@@#!“) oder fast liebevoll („Schlaf nit ein, du Tünnes!“) zu maßregeln, gehört dagegen zur Fortuna-Folklore seit anno Tobak. Es handelt sich um Spuren des Bergischen im angeblich rheinischen Düsseldorfer. Aber Trainer Friedhelm Funkel hatte es vorausgeahnt und sich unter der Woche darüber echauffiert, dass gewisse, ähem, Leute sich schon nach zwei Unentschieden sehr unzufrieden zeigen. Unzufrieden können heute sowohl die geduldigen, als auch die realitätsfernen Anhänger des glorreichen Vereins aus Flingern sein: Erstere, weil die Kollektivleistung in Ingolstadt deutlich unter dem Saisonschnitt lag, der Rest, weil die Fortuna jetzt schon ZWEIMAL(!!!) in der laufenden Spielzeit verloren hat.
Die Mehr-oder-weniger-Experten beschäftigte schon zur Halbzeit dagegen die Frage: Woran lag’s? Auf der Hand läge die Erklärung, dass Kaan Ayhan und Florian Neuhaus – beide absolute Leistungsträger des Kaders – wegen DFB-Sperren zuschauen mussten und Käpt’n Oliver Fink leider immer noch verletzt ist. Auch die Tatsache, dass der schnelle, trickreiche und effiziente Benito Raman unter einer leichten im Training zugezogenen Malaise litt, könnte man beimischen. Das wäre zu kurz gesprungen, denn die besonders in der ersten Halbzeit offensichtlichen Schwächen hatten damit wenig zu tun, sondern eher mit der maßgeschneiderten Spielanlage der Kicker aus der Stadt der strahlenden Raffinerien und der Audi-Autos.
Raman in Manndeckung
So nahm der Ex-Fortune Levels von Minute Null an den gehandicapten Raman unter Manndeckung und schaltete ihn vollständig aus – zumindest so lange dieser die linke Seite beackerte. Als er ungefähr ab Minute 30 mit Jean Zimmer die Seiten wechselte, ging sein Schatten nicht mit. Aber nun merkte man dem jungen Belgier an, dass er nicht im Vollbesitz seiner Stärken war. Auch wenn er einige Flankenläufe probierte, reichte die Kraft kaum, auch defensiv seinen Teil beizutragen. Schlimmer noch: Nach einem nicht allzu bösen Foul in der 40. oder 41. Minute, blieb Raman liegen und musste behandelt werden – exakt an dem Knöchel, der im Training lädiert wurde. Viele Experten meinten, hier die Schlüsselszene der gesamten Partie erlebt zu haben. Zwar schickten die Mediziner den Stürmer noch einmal auf den Rasen, während Funkel Davor Lovren zum Warmmachen aufforderte, aber Raman lief vollkommen unrund und konnte nicht helfen.
Jetzt standen die Fortunen quasi mit einem Mann weniger auf dem Platz, und alle nahmen an, es würde zur schnellen Auswechslung kommen. Aber der Trainer zögerte – vielleicht in der Hoffnung, Raman bis zur Pause drauf zu lassen, um ihn dann eventuell von der Heilkraftabteilung fit zurück zu bekommen und weiterspielen zu lassen. Kann man machen, keine Frage. Aber dass dann der einzige Treffer der Ingolstädter exakt in dieser Phase der Unsicherheit fiel, ließ auf Koinzidenz schließen. Nüchtern betrachtet hatte aber die Situation, die zur Führung für die Schanzer führte, rein gar nichts mit dem Ausfall Ramans zu tun.
Mangelhaftes Abwehrverhalten
Vielmehr war auch diese Situation einem Abwehrverhalten geschuldet, das man gut und gern mangelhaft bis ungenügend nennen kann. Nur exakt drei Kollegen im bescheuerten Narrentrikot (Muss man dem FC aus der Domstadt so etwas wirklich nachmachen?) waren (fast) durchgehend defensiv voll auf der Höhe: der ungeheuer einsatzfreudige und annähernd souveräne Robin Bormuth, sein zum Glück wieder in Normalform agierende IV-Spannmann Andre Hoffmann und der schier unverwüstliche Spielführer Adam Bodzek davor. Dagegen wirkte Julian Schauerte auf links fast durchgehend überfordert, hatte es aber auch mit zwei Gegenspielern zu tun, die zu den Besten auf dem Platz gehörten. Sein Pendant auf der anderen Seite, Niko Gießelmann, war weniger überfordert, als in einem Maße mit dem Verteidigen ausgelastet, dass er offensiv ungewohnt wenig beisteuern konnte. Dass er ausgerechnet heute aus keiner einzigen von ihm vollstreckten Standardsituation etwas machen konnte, ist einfach nur schade.
Weil das Trainer-Team auf ein 4-2-3-1 gesetzt hatte, konnte auch Marcel Sobottka nicht halb so viele offensive Einfälle verwirklichen wie sonst. Ja, man kann auch sagen: Seine Fehlerquote lag deutlich über dem, was er sich bisher in der Saison geleistet hat. Apropos: Was da an Fehlpässen, Abspielfehlern, Fehlern bei der Ballannahme und -behauptung bei den Herren in den zweifarbigen Hosen zu sehen war, erinnerte doch eher an die Spielzeiten zuvor. Und das betraf nicht einzelne Kandidaten, sondern die Mehrheit der Fortunen auf dem Platz. Selbst der sonst so hervorragende Fußballspieler namens Jean Zimmer fügte sich in diese Riege ein. Dass er keinen wirklich guten Tag hatte und Raman gleichzeitig lädiert war und in der zweiten Halbzeit nicht mehr antreten konnte, könnte der eigentliche Schlüssel zur Niederlage gewesen sein.
Nielsen und Kujovic, die Ausfälle…
Das Bemühen des Rouwen Hennings war es jedenfalls nicht. Weil er vorne so gut wie nie angespielt wurde, verfiel er – wie immer – aufs Wühlen, holte sich die Bälle unter maximalem Einsatz selbst, blieb aber über 90 Minuten fast allein mit seinem Bemühen. Das auch, weil sich Harvard Nielsen in jeder Hinsicht als Totalausfall präsentierte. An Kampfeswillen und Einsatz mangelte es dem offensichtlichen Norweger nie, was er aber an der Donau in Sachen Ballbehandlung, Passspiel, Gedankenschnelligkeit und leider auch Standfestigkeit bot, erschien nicht selten unterklassig. In dieser Verfassung hat der liebe Nielsen im Kader nichts zu suchen. Leider, leider, leider gilt dies auch für den 76. Minuten an seiner Stelle eingewechselten Emir Kujovic, der sich noch hüftsteifer, langsamer und begriffsstutziger aufführte als in seinen schlechteren Spielen im (normalen) Fortuna-Trikot. Will man irgendwo an der Kaderplanung Kritik üben, dann hier in der Sturmspitze, die zuverlässig nur von Hennings dargestellt wird.
Vergessen wir aber bitte einen Mann nicht, den man – erneut! – zum Mann des Fortuna Spiels küren könnte: Raphael Wolf, ein wirklich toller Torhüter, der mindestens fünf, wenn nicht sieben gefährliche Torsituationen durch schnelles Denken und Handeln entschärfte. Auch wenn ihm genau einmal der Ball beim Fangen nah vorne abprallte – diese Sorte Fehler war es, der ihn einst den Job bei Werder Bremen kostete – war er doch jederzeit auf der Höhe des Geschehens, stand immer goldrichtig und zeigte auch beim Mitspielen eine klasse Leistung. Und wo er nichts mehr zu halten hatte, da halfen seine Kollegen aus; hier vor allem zu nennen der junge Bormuth, der in der 30. Minute das Ei von der Linie kratzte, sowie Bodzek, Hoffmann und auch Hennings, die mehrfach gefährliche Schüsse der Ingolstädter blockten.
Während der enttäuschende Nielsen durch den nicht weniger enttäuschenden Kujovic ersetzt wurde, zeigte der junge Lovren zumindest ansatzweise, dass in ihm ein kleiner Raman steckt. Allerdings ist er körperlich nicht einmal halb so robust, sodass er sich mehr als einmal durch leichte Tacklings aus dem Rhythmus bringen ließ. So richtige sehenswerte Aktionen gelangen ihm leider nicht, was aber weniger seinem Spiel lag, sondern am Verhalten seiner Kollegen. Das gilt so ähnlich auch für Takashi Usami, der ab der 65. Minute den heute nicht sehr wirkungsvollen Zimmer ersetzte. Nun ist der in Japan weltberühmte Kicker kein heuriger Hase und weiß schon, was zu tun ist. Allerdings fehlte ihm genau der Partner auf außen, den er in anderen Partien in Raman oder Zimmer gefunden hatte. So aber zog Usami-san bei jeder sich bietenden Gelegenheit ein bisschen nach innen und legte Bogenflanken in den Sechzehner. Weshalb Friedhelm Funkel Zimmer letztendlich herausnahm, wird vermutlich ein Rätsel bleiben, denn trotz seiner Schwächen war der Leihspieler aus Stuttgart noch einer der kreativsten Fortunen auf dem Platz.
Ekelhafter Gegner
Ein paar Worte zum Gegner: Da tritt eine hochsubventionierte Truppe an, die einen der drei höchsten Spielbetriebsetats aller Zweitligisten verzehrt, eine Mannschaft, die es sich leisten kann, Spieler auf der Bank sitzen zu lassen, die woanders aber sowas von gesetzt wären, ein Absteiger, der in der Spielzeit 2017/18 vermutlich weit über dem FC aus der Domstadt, Bremen, Freiburg und auch dem HSV stünde. Und dann sind da zwei Ex-Fortunen, die – jeder aus einem anderen Grund – möglicherweise nicht gut auf F95 zu sprechen sind: Tobias Levels und Marcel Gaus, beide über 90 Minuten sehr bemüht, ihrem ehemaligen Verein zu schaden.
Was aber wirklich ekelhaft war, dass deren Trainer seine Spieler offensichtlich auf maximal mögliches Foulspiel getrimmt hat. Die offizielle Statistik sah insgesamt 21 Fouls, während auf Seiten der Rotweißen nur 13 gezählt wurden. Das münzte sich in fünf gelbe Karten für die Ingolstädter und drei für die Fortunen um – leider gab es zwei davon wegen Meckerns. Tatsächlich aber zeigte der junge Schiri Schlager eine fehlerfreie Leistung und ließ sich auch nicht vom Heimpublikum zu irgendwelchen Strafstößen verleiten. Die forderten anfangs nämlich jedes Mal einen Elfer, wenn sich einer der Schanzer im Düsseldorfer Sechzehner meinte hinlegen zu müssen. Das dauernde Reklamieren der Heimmannschaft unterband der Referee nicht etwa durch Verwarnungen, sondern durch eine freundliche, aber bestimmte Ansprache der Spieler – auch das eine Methode, die gefiel.
Die (noch nicht) legendäre Expertenrunde
Weil aber der Gegner den Kickern des TSV Fortuna Düsseldorf 1895 e.V. heute in jeder Hinsicht überlegen war – nicht sehr deutlich, aber sichtbar – geht deren Sieg absolut in Ordnung. Darüber war sich auch der Stammtisch im Bilker Häzz einig, der sich bei vielen Auswärtsspielen zusammenfindet und sich mit feiner Ironie „Expertenrunde“ nennt. Für einen Berichterstatter ist es nicht nur wertvoll, solch eine Partie in Kreisen teils sachkundiger, teils fröhlicher Fans zu erleben, weil es Spaß macht, sondern weil es eine andere Perspektive bringt, weitab von den Presseplätzen in den Zweitligastadien dieser Republik. Die Prognosen der Experten waren zu Beginn leicht pessimistisch, aber es gab auch Stimmen, die meinten, es gälte vor allem, eine Klatsch zu verhindern.
Nun nimmt man es beim Rudelguck in der Kneipe ja nicht immer wirklich schwer und ernst, was vom Sky-Bildschirm heruntertropft – vor allem das Gerede der Kommentatoren gibt oft Anlass zu Beschimpfungen und/oder zum Sichlustigmachen über den Blödsinn, der von den Angestellten des Bezahlfernsehens mit schöner Regelmäßigkeit verzapft wird. Vor und nach dem Spiel sowie in der Halbzeitpause bleibt auch den Experten genug Zeit, sich gegenseitig mit Witzen und Blödeleien zu unterhalten. Der Witz des Tages kam von einem der Jungs, die bei Heimspielen am Musikpult zu finden sind. Als über den Eklat beim Spiel der chinesischen U20 in Mainz diskutiert wurde, bei dem die Chinesen wegen zweier Tibet-Flaggen, die gezeigt wurde, meinte er kurz und trocken: „Tibet? Ist das nicht dieser neue Wettanbieter?“
Lachen ist die beste Medizin – auch gegen das drohende Meckern über die Mannschaft und vorhersehbares Trainer-raus-Geplärre. Nach einer verdienten Niederlage zu lachen, hat aber auch etwas Buddhistisches an sich, womit wir am Ende wieder bei Tibet sind, der buddhistischen Region, die von der Volksrepublik China seit Jahrzehnte besetzt wird, um mittelfristig die angestammte tibetische Bevölkerung durch neu angesiedelte Chinesen zu ersetzen. Aber das ist Politik, und die hat bekanntlich beim Fußball nichts zu suchen – außer, es geht gegen Kommunisten…
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