Spielberichte

Rostock vs F95 2:5 – Brillanz und Schlendrian

Komisch, kein Journalist hat getitelt „Fortuna besiegt den Rostock-Fluch“ – dabei haben sowohl F95 als auch Trainer Thioune zum ersten Mal im Ostseestadion gewonnen…

Bericht · Was bei Künstlern Genie und Wahnsinn sind, das sind bei der Fortuna der Saison 2022/23 Brillanz und Schlendrian. Mit-Experte und Stadion-DJ Opa meinte nach Spielschluss: „Ist doch merkwürdig, dass die unter Thioune immer solche Schwächephasen im Spiel haben.“ Ja, das ist merkwürdig. Fragt sich nur, ob und was das mit dem Cheftrainer zu tun hat. Macht er möglicherweise von außen nicht die richtigen Ansagen, wenn die Truppe mal wieder in Phlegma und Schlampigkeit versinkt? Wechselt er eventuell zu spät und nicht richtig? Fragen, die sich der Ergebene immer nur nach einem gewonnenen Spiel gestattet, denn bekanntermaßen bespricht er die Sache nach einem Sieg immer kritischer als nach einer Niederlage oder einem Remis. [Lesezeit ca. 7 min]

Rostock vs F95: Kastenmeier nur selten gefordert (Screenshot: Sky)
Rostock vs F95: Kastenmeier nur selten gefordert (Screenshot: Sky)

Fakt ist… (Welch wunderbare Einleitungsfloskel!): Fortuna hat das zweite Auswärtsspiel gegen einen Abstiegskandidaten nacheinander gewonnen. Heißt das, liebe Spochtrepochter, dass damit irgendein Fluch besiegt ist? Fakt ist auch, dass die Bande nun 42 Punkte auf dem Konto hat und damit die berühmte Nichtabstiegsklausel erfüllt hat. Und rein rechnerisch…

Na, schon gespannt auf den Spielbericht? Nach einer kurzen Werbeunterbrechung geht’s weiter. Denn die Fortuna-Punkte verstecken sich nicht hinter einer Paywall. Alles, was du hier findest, ist gratis, also frei wie Freibier. Wenn dir aber gefällt, was du liest, dann kannst du uns finanziell unterstützen – zum Beispiel mit dem Kauf von Lesepunkten. Wir würden uns sehr freuen.

Die Startaufstellung bot nur eine Überraschung: Die Coaches hatten Rouwen Hennings als zweite Spitze neben Dawid Kownacki gestellt. Wobei überraschend weniger diese Anordnung war als vielmehr die Tatsache, dass der gute Rouwen überhaupt bei Anpfiff auf dem Rasen des mehr alten als ehrwürdigen Ostseestadions stand. Viele hatten an seiner Stelle Daniel Ginczek oder Jona Niemiec erwartet. Und auch die Variante mit Emma Iyoha als zweiter Spitze und Shinta Appelkamp am linken Flügel lag im Bereich des Möglichen.

Rostock vs F95: Genesungswünsche für Aleks Spengler im Block (Screenshot: Sky)
Rostock vs F95: Genesungswünsche für Aleks Spengler im Block (Screenshot: Sky)

Aber Hennings wäre nicht Hennings, hätte er die Chance nicht genutzt. Okay, er spielte, was er eben so spielt. Das aber dieses Mal wieder enorm fleißig und mit maximalem kämpferischem Einsatz. Wenn er drauf ist wie gestern und sich versuchte spielerische Brillanz verkneift, passt er gut neben, vor oder hinter Kownacki. Der lieferte gestern eines seiner besten Spiele im F95-Dress in einer nun schon langen Reihe von guten Spielen. Nicht nur, dass er – wie Hennings auch – ein feines Abstaubertor erzielte: Dawid ist überall und nirgends, rochiert, lässt sich zurückfallen, arbeitet defensiv und ist doch zur Stelle, wenn er als Knipser gebraucht wird – kurz: brillant.

Rostock vs F95: Ein richtig schönes Abstaubertor (Screenshot: Sky)
Rostock vs F95: Ein richtig schönes Abstaubertor (Screenshot: Sky)

Der Club, der ihn ab dem Sommer kriegt, kann sich glücklich schätzen. Gerüchtet wird, dass Union Berlin an Dawid dran ist. Die Eisernen werden ja wieder einmal einen kleinen Umbruch durchmachen. In die bestehende Statik würde Kownacki nicht so gut passen – wenn sie ihn holen, werden sie ihre Systematiken wohl auf ihn zuschneiden. Und, wer weiß, vielleicht wird dieser Dawid Kownacki, den einst Sportvorstand Pfannenstiel für 6,5 Mio Euro aus Genua geholt hat, am Ende noch Deutscher Meister.

Finde den Fehler: Menschen machen Fehler. Schreiber:innen sind Menschen, machen also Fehler. Und Schreiber ohne großes Team hinter sich – wie der Ergebene – machen natürlich auch Fehler. Deshalb unsere Bitte an alle: Wer einen Fehler im Text entdeckt, meldet ihn uns auf einem der bekannten Wege – z.B. per Mail an kontakt@fortuna-punkte.de oder über das Kontaktformular. Wir versprechen, falls wirklich etwas Falsches im Beitrag stand, bedanken wir uns nicht nur, sondern korrigieren es umgehend. Schönen Dank im Voraus!

Mal ehrlich: Muss man als Spochtrepochter wirklich JEDES Mal schreiben, dieser oder jener habe „einen Doppelpack geschnürt“, wenn ein Kicker zwei Buden in einer Partie gemacht hat? Euer Ergebener hat noch nie gesehen, dass irgendwer einen Doppelpack geschnürt hat. Was ist eigentlich ein Doppelpack im wirklichen Leben? Dem Matthias „Zimbo“ Zimmermann wird das egal sein, denn der hat in seiner Profilaufbahn zuvor noch nie zweimal in einem Spiel geknipst.

Rostock vs F95: Und noch ein richtig schönes Abstaubertor (Screenshot: Sky)
Rostock vs F95: Und noch ein richtig schönes Abstaubertor (Screenshot: Sky)

Gestern gelangen ihm zwei wunderhübsche Hütten, beide with a little Unterstützung der Hansa-Abwehr, die man gar nicht Defensive nennen mag. Beim ersten Mal konnte der Zimbo die Pille unbedrängt als Dropkick nehmen, um einen rasanten Halbbogen ins lange Eck zu produzieren. Das war das 3:0 in der 41. Minute. In der 48. Minute gibt es ein bisschen Billard im Hansa-Sechzehner. Kownacki schaltet richtig und legt nach rechts raus, wo Zimmermann heranstürmt, völlig frei, keinen Gegner mehr vor sich, aus siebzehn Meter humorlos abzieht und das Ei so links unten versenkt. Na, da hat sich der Zimbo aber gefreut…

Rostock vs F95: Zimbos Zaubertor zum 3:0 (Screenshot: Sky)
Rostock vs F95: Zimbos Zaubertor zum 3:0 (Screenshot: Sky)

Das war dann schon das 4:0, und es hätte einfach so weiter gehen können. Ohne Gegentor und mit einem eigenen Treffer so alle Viertelstunde bis zum 7:0. Pustekuchen. Ja, die Rostocker waren nach der Pause mit mehr Überlebenswillen und leicht umgestellt zurückgekehrt. Auch aus Selbstschutz, denn die Hansa-Asis, die sich für Fans halten, hatten noch vor der Halbzeit einen Platzsturm vorbereitet und waren überhaupt gegen die eigenen Leute äußerst gewaltbereit. Da galt es für die blauweißen Kicker rasch durch einen Treffer für Beruhigung zu sorgen.

In der 56. Minute gelingt den Gastgebern die erste Hundertprozentige der Party, wobei der designierte Torschütze die Pille nur um Millimeter verpasst. Derselbe Pröger (der genauso aussieht wie er heißt…) kriegt dann eine Minute später einen berechtigten, schnell ausgeführten Freistoß in die Füße und locht ein. Die Fortunesen hatten kollektiv gepennt und wachten gut zwanzig Minuten lang nicht mehr auf. Wohlmeinende hätten vielleicht gesagt, F95 habe „in den Verwaltungsmodus umgeschaltet“.

Rostock vs F95: Zimbos Hammer zum 4:0 (Screenshot: Sky)
Rostock vs F95: Zimbos Hammer zum 4:0 (Screenshot: Sky)

Tatsächlich versuchten sie sich wieder durch Hoffi-auf-Flo-auf-Chris-auf-Ao-auf-Flo aus der Verantwortung zu stehlen. Um zu DJ Opas Beobachtung zu kommen: Das Hintenrumgespiele zieht den Kollegen, die noch brennen, den Zahn. Wenn es nur noch hinten breit geht, verlieren die Stürmer die Lust. Das als mögliche banal-psychologische Erklärung. Den Gegner macht dergleichen stark. Tatsächlich kam Hansa nun auf, und am Ende hatten die Rostocker sogar mehr Torschüsse auf dem Konto als die ansonsten brillante Fortuna. Das 2:4 in 79. Minute fiel beinahe zwangsläufig.

Das Ärgerliche an solchen Verläufen ist auch, dass der phasenweise Schlendrian uns Fans, die wir immer auf ein fortunistisches Feuerwerk hoffen, den Spaß kaputt macht. Wie oft hört euer ernsthaft ergebene Analyst im Block das Seufzen der Anhänger:innen, die sich endlich mal durchgehende Brillanz wünschen, ein Fußballfest, etwas, an dem man sich erfreuen kann. Okay, die strategischen Eigenschaften des modernen Fußballs verhindern solche Spektakel zugunsten eines Teams weitgehend, weil es dem Opferteam mittlerweile ganz gut gelingen kann, den Gegner vom eigenen Tor fernzuhalten.

Rostock vs F95: 700 mitgereiste Fans freuen sich über jedes Tor (Screenshot: Sky)
Rostock vs F95: 700 mitgereiste Fans freuen sich über jedes Tor (Screenshot: Sky)

Aber manchmal trifft ein Team mit dem Potenzial zur Brillanz (wie die glorreiche Fortuna) auf eine desolate Mannschaft (wie Hansa gestern), die einfach alles falsch macht. Was HRO gestern zuhause bot, war nicht zweitligatauglich, und selbst in der Dritten Liga hätte Hansa mit einer solchen Leistung große Probleme. Die Abwehr stand über eine Stunde beinahe immer falsch. Die Zuordnung stimmte nie. Sie standen immer zu weit weg von unseren Jungs. Sie boten Räume so groß wie Altbauwohnungen. Selbst deren Mittelfeld war in der ersten Halbzeit ein Trümmerhaufen mit einer Zweikampfquote von knapp 40 Prozent.

Sagen wir so: Die Fortuna hat zumindest in der ersten Spielhälfte das Beste aus der desaströsen Vorstellung der Hausherren gemacht. Das war kein stumpfes Anrennen, da haben alle nördlich der Viererkette oft und richtig darüber nachgedacht, wie man aus der Überlegenheit Tore machen kann. Allen voran ein wirklich begnadeter Spieler: Michal „Micky“ Karbownik. Der dribbelte seine direkten Gegenspieler nicht nur regelmäßig schwindelig, sondern produzierte Pässe aus purem Zucker – richtige Richtung im richtigen Tempo zum richtigen Zeitpunkt. An vier der fünf Hütten war er direkt oder indirekt beteiligt. Karbownik war eindeutig bester Fortuna auf der Wiese!

Rostock vs F95: Klarer köpft das finale 5:2 (Screenshot: Sky)
Rostock vs F95: Klarer köpft das finale 5:2 (Screenshot: Sky)

Eine zweite Palme kriegt aber auch wieder Felix Klaus, dessen Dribblings und Pässe nie so spektakulär sind wie die von Micky, aber nicht weniger wirkungsvoll. Dieses Mal funktionierte auch wieder das Zusammenspiel mit Zimmermann auf der rechten Schiene. Nur, eines steht fest: Ein Knipser wird der gute Felix nie. Er hat das Einlochen einfach nicht drauf. Machste nix. Und: Macht auch nix. Denn als wirkungsmächtiger Rechtsaußen ist er momentan so wertvoll wie nie.

Überhaupt: In den rund 65 Minuten, in denen die Herren in den roten Trikots meilenweit überlegen waren, zeigte sich endlich, endlich, endlich, was mit dem zur Verfügung stehenden Kader und dem gewählten System möglich ist. Und weil die Hanseaten defensiv wirklich desolat auftraten, konnten unsere Jungs auch die einstudierten Laufwege, ja, zelebrieren. Gerade in den ersten 30 Minuten sah das nach Traumfußball aus. Nicht nur wegen der guten Flanken und Pässe sondern auch wegen des annähernd perfekten Stellungsspiels der Stürmer und der Mittelfeldler.

Rostock vs F95: Desolate HRO-Abwehr vor dem 0:2 (Screenshot: Sky)
Rostock vs F95: Desolate HRO-Abwehr vor dem 0:2 (Screenshot: Sky)

Apropos: Ao Tanaka, dieser japanische Nationalspieler, der in den vergangenen Wochen auf unerklärliche Weise metertief im Loch hockte, musste/durfte gestern wieder ran, weil Cello Sobottka gesperrt fehlte und außer Ao ein zweiter Sechser für das 4-4-2 sonst nur durch Zweckentfremdung eines anderen Kickers vorhanden wäre. Natürlich hätte Trainer Thioune auch auf ein 3-3-2-2 gehen können und beispielsweise Zimmermann und Karbownik auf Außen neben Hendrix, dem einzigen Sechser, ziehen können, aber das 4-4-2 hat in den letzten Partien einfach zu gut funktioniert – vor allem dank der Leistungen von Kownacki, Klaus und Iyoha.

Also Tanaka. Der zeigte sich gewohnt fleißig, konnte aber eine Übersicht präsentieren wie lange nicht mehr. Ein ums andere Mal verteilte er die Pille klug auf die Flügel und war so zweimal an der Entstehung von Toren für die Fortuna beteiligt. Defensiv trat er sogar stärker auf als Jorrit Hendrix, der dieses Mal deutlich weniger für den Spielaufbau tat als noch gegen Heidenheim.

Rostock vs F95: Letzter Wechsel vor der Autobahn... (Screenshot: Sky)
Rostock vs F95: Letzter Wechsel vor der Autobahn… (Screenshot: Sky)

Schlecht war keiner in der Fortuna-Truppe, nicht einmal in der Schlendrian-Phase. Gröbere Schnitzer gab es gar nicht; die Situation, die zum Freistoß für Hansa und das folgende 1:4 führte, war schon die fehlerfreudigste. Ballverluste gab es relativ selten, und oft holten sich unsere Jungs das Ei gleich wieder zurück.

Ein bisschen blasser als zuletzt blieb Emma Iyoha. Und das aus einem simplen Grund. Weil Micky Karbownik praktisch nie defensiv eingreifen musste, konnte er volles Rohr Außenstürmer spielen, also die eigentlich Emma zugeordnete Rolle. Der zog deshalb oft nach innen, um den Sechzehner mit Stürmern zu laden, kam aber nur zweimal in dieser Lage zum Schuss.

Rostock vs F95: Des einen Freud', des anderen Leid... (Screenshot: Sky)
Rostock vs F95: Des einen Freud‘, des anderen Leid… (Screenshot: Sky)

Die Freude war groß unter den Kickern und Trainern sowie den rund 700 mitgereisten Fans. Freuen konnte und kann man sich als Liebhaber:in der glorreichen Fortuna nicht nur am Sieg selbst, sondern auch daran, dass es gegen diesen massiv unterlegenen Gegner eine prima Chancenauswertung gab. Laut Statistik fielen acht Schüsse aufs Tor an, aus denen fünf Treffer resultierten, das ergab in Summe 2,12 xGoals, eine gute Ausbeute.

In zwei Wochen gibt es dann das Spiel der Spiele, zuhause gegen den HSV. Eine besondere Partie ist das eigentlich immer. Könnte aber gut sein, dass an dem Freitagabend die Hütte voll wird, die Stümmung also grandios. Dass es dabei auch noch einmal um die Eroberung des Relegationsplatzes geht, macht die Sache noch heißer. Die Frage wird sein: Kann diese Fortuna unter diesem Trainer eine so überzeugende Leistung auch gegen einen gleichwertigen oder überlegenen Gegner auf den Rasen bringen? Gegen Heidenheim waren sie nahe dran…

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