Achtung, Fortuna! Von der EM 2020 lernen, heißt siegen lernen…
Meinung · Niemand ist so schlecht, dass er nicht noch als schlechtes Beispiel dienen könnte. Aber, wir wollen ja, dass unsere glorreiche Fortuna in der kommenden Spielzeit einen Siegeszug durch die zweite Liga unternimmt und besonders den Absteigern mal zeigt, wo der aktuelle Fußballhammer hängt. Nun muss Ihr immer noch Ergebener gestehen, dass er sich einige Partien der UEFA Euro 2020, die 2021 stattfindet und sich langsam zum Superspreader-Ereignis mausert, trotz aller moralischer Bedenken angesehen hat. Emotionslos, übrigens – denn sein Herz schlägt für keine Fußballnationalverbandsauswahl, sondern ausschließlich für die rot-weiße Diva. Wer aber den Fußballsport liebt und sich auf dessen quasi-wissenschaftliche Seite einlassen mag, der konnte bei dieser Meisterschaft schon bis jetzt eine Menge lernen. Lernen ist immer gut, lernen wird auch die Fortuna unter dem unheimlich sympathischen Trainer Christian Preußer, und von der EM lernen, heißt siegen lernen… [Lesezeit ca. 6 min]
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In diesem Sinne hat Ihr höchst ergebener Fortuna-Freund zehn Erkenntnisse gewonnen, die dem Fortuna-Team 2021/22 nützlich sein könnten:
Erste Erkenntnis: 3-4-3 ist ein Scheißsystem…
…besonders, wenn zwei Mannschaften aufeinandertreffen, die sich beide für diese taktische Grundordnung entschieden haben. Bestes Beispiel war das schlechte Fußballspiel, das die 3-Löwen-Truppe gegen die DFB-Auswahl mit 2:0 gewonnen hat. Es führt nämlich dazu, dass kaum offensive Räume zwischen Mittelfeld und Sechzehner entstehen. Die Engländer haben versucht, das Problem durch viel Tief-Weit-Langholz zu lösen. Die Jogi-Buben mittels handballartigen Drumherumspielens. Erfolgreich kann man in einer solchen Konstellation nur durch konsequente (und harte) Ballereroberung und Ballbehauptung im Mittelfeld werden. Oder man versucht permanent, Standards zu ziehen. Was wiederum nur erfolgversprechend ist, wenn man die passenden Kicker hat, die aus Freistößen und Ecken per Kopf Hütten machen. Selbst ein 3-4-3 oder 3-4-2-1 zu spielen, ist nur sinnvoll gegen tiefstehende Mannschaften, denen man am ehesten durch Steilpässe und Flanken in den Sechzehner beikommen kann.
Zweite Erkenntnis: Ein Team muss mindestens drei verschiedene Systeme draufhaben…
…und in der Lage sein, auch mitten im Spiel – mit und ohne Personalwechsel – zwischen ihnen umzuschalten. Gerade die angeblichen Außenseiter (die blödsinnigerweise von Sportkommentatoren gern „Underdogs“ genannt werden) wie Wales und auch Ungarn haben das erfolgreich praktiziert. Von einer Dreier- auf eine Viererkette (und umgekehrt) umzuschalten, haben praktisch alle Teams während der Vorrunde mindestens einmal versucht. Damit nimmt eine Mannschaft das Heft des Handelns in die Hand und zwingt den Gegner zur Reaktion darauf. In der Zeit bis denen das gelungen ist, entstehen zwangsläufig Räume – und um das Schaffen von Räumen geht es beim modernen Fußball in der Offensive eigentlich nur noch. Das hat bei der Fortuna in der Vorsaison nur schlecht geklappt, daran ist zu arbeiten. Die Palette sollte zum Beispiel das 3-5-2 à la Rösler umfassen, aber auch zwei Varianten des 4-4-2, einmal flach, einmal mit Raute.
Dritte Erkenntnis: Sorgfältige Videoanalysen sind ein riesiger Erfolgsfaktor
Man kann die taktische Grundordnung vor einer Partie natürlich auch erwürfeln. Erfolgversprechender ist es aber, den Gegner mit all seinen Facetten zu analysieren und sich auf dessen Stärken und Schwächen einzustellen. Das geht heute per Videoanalyse. Und was die bewirken kann, haben die Ungarn eindrucksvoll beim Unentschieden gegen die Deutschen bewiesen. Die hatten nämlich ausgemacht, dass die Offensivgefahr in der Partie gegen Portugal von Robin Gosens auf links und Joshua Kimmich auf rechts ausging. Also nahmen sie die beiden quasi in Manndeckung und neutralisierten sie dadurch völlig. Das ist allerdings ein Extremfall und hat auch nur funktioniert, weil Trainer Löw nicht bzw. viel zu spät darauf reagiert hat. Aber in der Zweitligasaison 2020/21 gab es ein ähnliches Beispiel mehrfach, weil viele Mannschaften den HSV-Knipser Simon Terodde komplett ausschalteten. Die gute Nachricht für F95-Freunde ist: Der Trainerstab kann sich auf ein klasse Team von Videoanalysten verlassen, hat also die Mittel in der Hand, sich immer perfekt auf den Gegner einzustellen.
Vierte Erkenntnis: Spielverlagerungen sind das A und O
Sowohl die Franzosen (die aus anderen Gründen ausgeschieden sind), als auch die Italiener, die Dänen und die Niederländer haben den weiten Diagonalpass als Stilmittel verwendet. Weil heutzutage gegen den ballführenden Spieler fast immer gedoppelt wird – oft gehen auch drei oder vier Kollegen gegen den Ball -, kann die angreifende Mannschaft auf der anderen Flanke leicht Überzahl erlangen. Die gegen den Ball spielenden Burschen stehen dabei mit dem Rücken zur anderen Seite, müssen sich als wenden, um gegenüber mithelfen zu können, das bringt zusätzlich zum Raum auch noch Zeit. Bei der Fortuna gehörte das Üben dieser weiten Diagonalpässe schon unter Uwe Rösler zum Standardprogramm beim Training, die Methode wurde aber zu selten abgewendet. Das wird Trainer Preußer sicher zu ändern wissen.
Fünfte Erkenntnis: Balleroberung ist wichtiger als gutes Passspiel
Keines der Teams, die nun im Viertelfinale stehen, hat es in einem ihrer Spiele auf besonders gute Passquoten gebracht. Meist lagen die Werte im Bereich zwischen 82 und 86 Prozent – das hat die Fortuna in der fehlpassreichen Vorsaison auch nicht selten hingekriegt. Andererseits haben alle Mannschaften bei ihren Siegen die besseren Zweikampfquoten gehabt als die Unterlegenen. Natürlich führt ein Fehlpass zum Ballverlust, deswegen heißt er ja so. Aber bei den zweikampfstarken Truppen gelang die Rückeroberung der Pille oft, wenn nicht sogar meistens, unverzüglich. Einer der Gründe, warum F95 in der Vorsaison manchmal so doof verloren bzw. nicht gewonnen hat, war nicht selten ein zu lasches Zweikampfverhalten – übrigens auch ein Misserfolgsfaktor der DFB-Mannschaft bei der EM. Nun ist die Zweikampfstärke der verschiedenen Kicker schon von deren Wesen her unterschiedlich. Gezieltes Training kann das verbessern, aber wichtiger ist, die an sich schon zweikampfstarken Spieler nach Kräften zu fördern und je nach Gegner bei der Aufstellung zu bevorzugen.
Sechste Erkenntnis: Standards, Standards, Standards!
Na ja, neu ist diese Erkenntnis nun wahrlich nicht. Aber je mehr sich die Gegner durch die Wahl und Auslegung des Spielsystems neutralisieren, um so wichtiger werden die Standards für die Produktion von Treffern. Spielereien wie die kurze oder die Zwei-Mann-Ecke kann man sich schenken – es geht darum, die langen Kerls im gegnerischen Sechzehner zu versammeln, dazu die Typen, die aus unmöglichen Winkeln einlochen, zu postieren – und dann ab mit dem Ding. Einwürfe auf Höhe des Strafraums müssen Ecken ähneln – der jetzt schon vom Ergebenen schmerzlich vermisste Herr Danso hat gezeigt, wie’s geht. Freistöße haben variantenreich zu sein, Freistoßtricks im Repertoire zu haben, ist ein Erfolgsfaktor. Die Statistik zeigt, dass die Fortuna anno 2020/21 in dieser Hinsicht ausgesprochen schwach war. Also muss das eingeübt werden.
Siebte Erkenntnis: Der Knipser ist tot, es lebe der Knipser!
Was haben sie auf dem armen Harry Kane herumgehackt, weil er nicht geknipst hat. Was haben sie den Andriy Yarmolenko gefeiert, dass er so schlaue Tore gemacht hat. Nach altem Verständnis handelt es sich bei beiden um Knipser, also um Herren, die, wenn sie die Pille in der Box kriegen, auch einnetzen. Bei Licht betrachtet war Robert Lewandowski bei dieser EM der letzte seiner Art, und die Polen sind ausgeschieden. Eigentlich ist nämlich der klassische Neuner, der Mittelstürmer, die Sturmspitze tot – weil er außer zum Scoren zu nix nütze ist. Aber sowohl Kane, als auch Yarmolenko haben gezeigt, wie moderne Neuner ihre Rolle interpretieren müssen, nämlich variabel. Beide hat man phasenweise mehr auf Außen oder im offensiven Mittelfeld gesehen als im Strafraum. Und beim hohen Pressing waren sie die Leader. Letzteres hat unser Rouwen Hennings auch drauf, aber wirklich kreativ am Offensivspiel teilzunehmen, ist seine Sache eher nicht. Da ist Dawid Kownacki schon deutlich moderner drauf. Ja, der gute Dawid könnte ein moderner Knipser sein, würde ihm seine spezielle Mentalität nicht so oft im Weg stehen. Ihr Ergebener wünscht sich so sehr, dass Christian Preußer aus Kownacki diesen modernen, erfolgreichen Neuner macht.
Achte Erkenntnis: Die Bedeutung der Innenverteidiger in einer Viererkette hat zugenommen
Je öfter die Außenverteidiger aktiv ins Offensivspiel einsteigen, desto mehr Verantwortung – besonders gegen mögliche Konter – übernehmen die Innenverteidiger. Man hat es bei in beinahe jedem Spiel, bei dem nicht beide Partien mit Dreierkette antraten, erlebt, dass die IV oft ganz alleine das letzte Bollwerk bildeten. Diese Veränderung der Rolle verlangt nach einem neuen Typ Innenverteidiger – der uns leider wieder weggenommene Kevin Danso war quasi die idealtypische Verkörperung dieses modernen Defensivspielers, weil er schwierige Situationen immer auch spielerisch lösen konnte und nicht selten die Muße fand, sich spieleröffnend zu betätigen. Fortuna bräuchte eigentlich zwei Dansos, hat aber „nur“ einen Andre Hoffmann, den jungen Christoph Klarer und den ebenfalls jungen Jamil Siebert. Könnte gut sein, dass Uwe Klein auf dieser Position noch einen neuen Mann heranholen muss.
Neunte Erkenntnis: Die spieleröffnende Rolle der Torhüter hat abgenommen
Denn das, was der 1a-Fußballer Manuel Neuer besonders bei der WM 2014 so oft und so erfolgreich zelebrierte, ist mittlerweile bekannt, und kluge Teams ziehen sich bei Abstößen von solchen Keepern immer schön brav zurück. Im Grunde haben die erfolgreichen Tormänner bei der EM vor allem durch perfektes Stellungsspiel im eigenen Strafraum und Reaktionsschnelligkeit überzeugt – also recht traditionelle Qualitäten. Nun ist Flo Kastenmeier genau der Typ des mitspielenden Keepers und zeigt bei der Strafraumbeherrschung gelegentlich Schwächen – der Trend ist daher in der kommenden Saison nicht mehr so sehr sein Freund; könnte sein, dass die Frage nach der Nummer Eins im Kasten sich an dieser Frage entscheidet. Andererseits ist der gute Flo jung genug, um sich auf die veränderte Rolle einstellen zu können.
Zehnte Erkenntnis: Ohne Spielfreude und Teamgeist wird das alles nix
Wer hat die fernsehschauende Masse der Fußballfreunde begeistert? Genau: Die Mannschaften, die scheinbar unterlegen waren, aber das Herz in die Hand genommen haben und ganz offensichtlich durchgehend Spaß am Spiel hatten – bis zur Erschöpfung. Allen voran natürlich die Schweizer Nati, eine wilde Mischung aus alten Kampfschweinen, feinsinnigen Dribblern, mittelguten Mittelfeldlern und willensstarken Knipsern. So wie sich der Kader der Fortuna momentan darstellt, kann die F95-Mannschaft unter Preußer solch ein Haufen werden. Und wenn sich herausstellt, dass der eine oder andere nicht mitziehen kann oder will, dann bleibt ihm nur die Bank oder die Tribüne. Fußball ist eben kein Geschäft, in dem die Kicker Angestellte sind, die ihren Job tun. Fußball ist ein Mannschaftssport, in dem jede Mannschaft immer gewinnen will.
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