F95 vs St. Pauli 1:0 – Das Eins-Zwei-Drei-Tor zum Sieg
Erst sah es so aus, als könnte die Fortuna leicht gewinnen, aber nach dem Platzverweis für Pauli versanken sie in Ideenlosigkeit.
Analyse · So geht das: Kastenmeier(1), Kownacki(2), Hennings(3) – Tooor! Der Ergebene verpasste das Jubeln, denn er konnte nicht glauben, dass Rouwens Schuss aus diesem Winkel überhaupt ins Gehäuse gehen konnte. Das war aus der Entfernung der Südtribüne auch kaum zu sehen. Aber dann stimmte er in den Torjubel der Gemeinde von Block 41 ein. Ja, das war ein Original-Hennings, ein freches Ding mit seiner scharfen, linken Klebe. Torwartfehler hieß es allgemein, aber die TV-Ausschnitte zeigten, dass es, wenn überhaupt ein Stellungsfehler des Pauli-Keepers war, der zu weit vor seiner Grundlinie stand und dabei den Winkel nicht ordentlich verkürzen konnte. Scheiß was drauf. Dass dieses Ding aber der Siegtreffer werden sollte, davon konnte man bis weit in die zweite Halbzeit hinein nicht ausgehen. [Lesezeit ca. 1 min]
Denn unsere glorreiche Fortuna war den Pauli-Kickern spielerisch überlegen. Was, das wiederum die Fernsehbilder zeigten, nicht so deutlich war wie es den über 36.000 (inklusive 3.000 Nasen aus dem Hamburger Stadtteil) zunächst schien. Offensiv waren die Braunen nämlich ziemlich gefährlich. Und so würde der herzlich Ergebene auch Flo Kastenmeier zum Fortunen des Spiels küren, würde er überhaupt diese Auszeichnung vergeben. Laut Strichliste stehen bei ihm insgesamt – wie sagt man analog zum Eishockey? – sieben Saves zu Buche, davon drei ziemlich schwierige. Und das waren nicht bloß tolle Reflexe. Flo steht fast immer goldrichtig und hat ein feines Auge für die Spielentwicklung.
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Die kommt ihm auch fußballerisch zugute. Okay, in Abschlagsituationen geht er manchmal immer noch zu große Risiken ein. Aber wenn er eine Kontermöglichkeit sieht, dann nutzt er sie. Wie beim 1:0 durch Rouwen Hennings. Sein Abschlag war kein Abschlag, sondern ein Steilpass über mehr als 40 Meter, punktgenau auf Kownacki in motion, das kriegen nicht viele Tormänner in den oberen Ligen so hin. Dass auch der gute Dawid perfekt in Rouwens Lauf verlängerte, passt ins Gesamtbild der ersten Halbzeit.
In der die Angreifer in Rot die Paulianer in den weißen Klamotten rund um deren Sechzehner ein ums andere Mal schwindelig spielten. Deren Gesamteindruck gestern spiegelte ihren Tabellenplatz ganz gut wider. Von den Insassen der unteren Tabellenhälfte haben sie die meisten Tore geschossen, aber eben auch mehr kassiert. Dass sie gestern torlos blieben, hat in erster Linie mit der betonfesten Dreierkette der Fortunen zu tun. Ja, richtig: Dreierkette. Die hatte Trainer Thioune verordnet und die bestand natürlich aus Chris Klarer, Tim Oberdorf sowie Zimbo Zimmermann. Der Clou aber: In Defensivsituationen spielte Emma Iyoha den linken Außenverteidiger, sodass dann eine Viererkette entstand, die vermutlich so nie wieder für F95 auf dem Platz stehen wird.
Und besonders Emma überzeugte mit seiner Defensivarbeit. Er war immer nah am Gegner, suchte die Zweikämpfe und stellte die Wege zur Grundlinie hin immer dicht, so wie es ein AV eben tut. So gesehen könnte auch unsere Nummer 19 zum Man of the Match ernannt werden; er verkörperte den modernen Schienenspieler in Perfektion. Diese Lösung machte es möglich, Michal Karbownik dahin zu beordern, wo er qua seiner Fähigkeiten hingehört: ins kreative Mittelfeld. Dort bildete er mit Jorrit Hendrix und Shinta Appelkamp das magische Dreieck 3.0. Alle drei wirbelten (bis ungefähr zur 60. Minute) nach Herzenslust und setzten die Außenstürmer nach Belieben ein.
Welche Außenstürmer denn? Wo doch Iyoha so viel in der Defensive zu tun hatte? Auf der rechte Flanke natürlich Kris Peterson, der besonders mit Shinta hervorragend harmonierte. Auf die linke Seite aber wich Rouwen Hennings regelmäßig aus. Und auch wenn das Schlagen von Flanken in den Strafraum nun wirklich nicht seine Kernkompetenz ist, gelang es ihm einige Male im Doppelpass mit Kownacki oder Emma – wenn der mitgekommen war – für Gefahr vor dem Pauli-Tor zu sorgen.
Und doch hatten die Spieler vom Millerntor die ersten klaren Chancen. Das geht bei denen über die Geschwindigkeit, denn mit der Präzision haben sie es nicht so. Und mit der Effizienz gleich gar nicht. Am Ende standen bei ihnen mehr Torschüsse auf dem Konto als bei den Hausherren, bei den sogenannten „expected goals“ (xGoals) war es sogar ein Wert größer 1,0. Und das heißt, dass der FC St. Pauli ein Tor verdient hätte, es aber einfach nicht auf die Kette gekriegt hat. Umgekehrt: F95 kommt auf lediglich 1,2 xGoals, ein Wert, der dafür spricht, dass eher kein zweites Tor hätte rausspringen können.
Was besagt der xGoal-Wert?
Jeder Torschuss wird mit einem Wert zwischen 0 und 1 bewertet je nachdem, wie groß die Wahrscheinlichkeit war, dass er in die Hütte geht. Ein Schuss, der weit übers Gehäuse geht, wird beispielsweise mit 0,1 gewertet. Springt eine Granate an den einen Innenposten, dann an den anderen, um wieder zurück aufs Feld zu hoppeln, gibt’s eine 0,9. Geht das Ding rein, ist es eine glatte 1. Alle Schüsse, die wirklich aufs Tor kommen und nicht bloß in Richtung des Kastens abgefeuert wurden, erhalten einen Wert größer als 0,5. Ein Elfmeter wird mit 0,77 bewertet, es besteht also eine 77-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass er reingeht. Die Werte werden schließlich einfach zum xGoals-Faktor addiert.
Und wer freute sich nach diesem irren Treffer in der 22. Minute am meisten? Genau, der gute Dawid, der von Rouwen zum Dank für die Vorlage in den Arm genommen wurde. Überhaupt entwickelt sich unser Herr Kownacki immer mehr zum Sonnenscheinchen, der nicht immer sofort in Depressionen verfällt, wenn’s mal nicht läuft. Harmlos ist er trotzdem lange nicht. Mit dem FCSP-Mann Fazliji tauschte er regelmäßig verbale Boshaftigkeiten aus, die diesen über Zeit dermaßen anheizten, dass er Dawid in der 59. Minute nach einem kurzen Gespräch einen veritablen Kopfstoß verpasste. Schiri Willenborg, der durchgehend sauber pfiff und auch fehlerfreie Assis an seiner Seite hatte, zückte den blutroten Karton und schickte den Flegel in die Kabine.
Es gibt ja die alte Fortuna-Weisheit, dass die launische Diva in Überzahl nicht gewinnen kann. Es ist einer dieser F95-Mythen, der einer statistischen Überprüfung nicht standhält, der aber die geneigte Fanschaft immer kurz aufstöhnen lässt, wird ein gegnerischer Akteur des Platzes verwiesen. Gestern sah es so aus, als wollte die rote Elf einen Beweis für die These liefern, denn in Überzahl mit einer hauchdünnen Führung unter dem Arm überließen sie den Kontrahenten das Spiel fast vollständig. Kaum verständliche Wechseleien des Trainerstabs machten die Sache sogar noch schlimmer.
Finde den Fehler: Menschen machen Fehler. Journalisten sind Menschen, machen also Fehler. Und Redakteure ohne großes Team hinter sich wie der Ergebene machen ebenfalls Fehler. Deshalb unsere Bitte in die Leser:innenrunde: Wer einen Fehler im Text entdeckt, meldet ihn uns auf einem der bekannten Wege. Wir versprechen, falls wirklich etwas Falsches im Beitrag stand, bedanken wir uns nicht nur, sondern korrigieren es umgehend. Schönen Dank im Voraus!
Zwar kamen in der 67. Minute Felix Klaus und Kudschu Baah annähernd positionsgetreu für Peterson und Kownacki, aber damit waren die beiden aktivsten Angreifer vom Platz. Und entweder hatten die Coaches dem guten Kudschu nicht erklärt, was genau er tun sollte, oder er hatte es nicht verstanden oder aber ignorierte es. Selten hat man einen Fortuna-Stürmer so planlos umherirren sehen wie ihn. Er wusste einfach nicht, was er machen sollte, ging in einen Zweikampf, um sofort zurückzuziehen, lief einen Gegner an, ließ sich dann aber doch nicht auf ein Duell ein, und besonders bemerkenswerte Pässe schlug er auch nicht. Und vermutlich trug der junge Herr Baah noch nicht einmal die Schuld an diesem Auftritt. Lieber Herr Thioune, wenn sie diesem Riesentalent Spielzeit geben wollen, dann doch bitte auf Außen, wo er seine Fähigkeiten am besten zeigen kann.
Unseren ewigen Adam Bodzek dann in der 78. Minute für Appelkamp zu holen, brachte Käpt’n Bodze zwar stehende Ovationen von den Rängen ein, schwächten die Offensive aber weiter. Zu diesem Zeitpunkt schon auf Ergebnissicherung zu spielen, erhöhte das Risiko, doch noch den Ausgleich zu fangen, immer mehr. Es muss einer Spitzenmannschaft doch wohl möglich sein, einen Gegner in Unterzahl auch mal niederzuspielen. Zumal sich bei einigen Paulianern auch Abnutzungserscheinungen zeigten und deren Angriffsbemühungen nicht besonders gefährlich aussahen. Okay, dass dann wenige Sekunden vor dem Abpfiff auch noch Andre Hoffmann kam, tat dem sicher gut, erhöhte aber auch den Altersschnitt der Fortunen auf der Wiese weiter.
Die Trainer können inzwischen auch nicht mehr bei jeder Aufstellung aus Auswechslung auf die Verletztenliste hinweisen, die ja nun stündlich kürzer wird. Es hat doch auch unter Einbindung der Jungs aus U19 und Zwoter gut geklappt, da sah es doch nach einer Verjüngung und positiver Zukunftsperspektive aus. Wird jetzt wieder auf die Erfahrenen gesetzt? Was ist mit den Jüngeren im Kader? Das betrifft ja nicht nur Kudschu Baah, sondern auch Elo Neto und Benjamin Böckle oder auch Daniel Bunk? Genau: Warum wird der eigentlich nicht eingesetzt? Von dessen mangelhaften Trainingsleistungen hat man bisher auch nichts gehört.
So schön es ist, dass Bodze wieder in der Ersten kickt, unserer Zwoten tut das überhaupt nicht gut, die hat sich gestern mit einem 1:4 in Wuppertal die zweite Klatsche in Folge geholt und geraten immer wieder in Abstiegsgefahrt. Soll die Fortuna U23 nächste Saison etwa in der Oberliga Niederrhein kicken? Gegen Ratingen 08/15 oder den VfB Hilden spielen? Sich mit Velbert um den Aufstieg streiten wie weiland unsere Erste anno 2004? Soll die glorreiche Fortuna neben Paderborn der einzige Erst- und Zweitligaclub aus NRW sein, dessen Zweitvertretung nicht in einer Regionalliga spielt? Und so unattraktiv für Talente aus der Region werden? Aber, das ist ein anderes Thema…
Trotz der enttäuschenden halben Stunde vor dem gestrigen Schlusspfiff: Fortuna ist auf einem guten Weg. Was soll man sonst auch nach drei Siegen in Folge auch sagen? Man stelle sich vor, zwei doofe Niederlage (wie die gegen Nürnberg oder Sandhausen) weniger, und F95 stünde punktgleich hinter Darmstadt auf Platz Zwei. Die beste Nachricht lautet also, dass die Coaches nun doch die vermisste Konstanz ins Team gekriegt haben. Das zu beweisen haben die Burschen in der Hinrunde noch zweimal die Gelegenheit. Nächsten Dienstag gegen Hannover dürfte es sehr schwer werden, einen weiteren Auswärtssieg einzufahren, denn Hanoi muss gewinnen, um oben dabeizubleiben.
Die Partie gegen den Traditionsclub aus der Region dürfte ein Fest werden; weil auch die Lauterer regelmäßig die volle Ladung Fans mitbringen, weil die Billig-Tickets-Aktion der Fortuna viele Gelegenheitszuschauende in die Arena bringt und weil F95 oben mitspielt, könnten es mehr als 40.000 werden. Und das ist es doch auch, was wir uns wünschen, dass die Hütte voll und die Stümmung groß wird. Dann klappt’s auch mit dem nächsten Heimsieg.
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„Was besagt der xGoal-Wert?“ ….. „jeder Torschuss wird mit einem Wert zwischen 0 und 1 bewertet“ … „Die „Werte aller dieser Schüsse werden addiert und dann durch die Anzahl geteilt“
_ da kann dann aber kein Wert grösser eins bei raus kommen, sondern auch nur einer zwischen 0 und 1?
Das ist wahr. Tatsächlich werden die als Dezimalzahlen dargestellten Prozentzahlen der Torwahrscheinlichkeit einfach nur addiert. Den Durchschnittswert gibt es auch, aber der wird nicht als „xGoals“ benannt. Wir korrigieren das! Danke für den Hinweis.