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Die Gegner überraschen – taktische und personelle Spielchen

Osna-Trainer Schweinsteiger meint: Die Fortuna ist aktuell leicht zu durchschauen. Also müssten die Gegner öfter überrascht werden.

Analyse · Es ist ja nicht so, als ob Daniel Thioune und seine Co-Trainer nicht versuchen, einen Gegner zu überraschen. Zweimal gab es das in der laufenden Saison. In Elversberg führte die Sache mit den „Young Guns“ zu einem Kantersieg. In Hamburg ging das Experiment ohne echte Spitze in die Hose. Nun hat Tobias Schweinsteiger, Trainer des VfL Osnabrück, geäußert, man habe sich das System der Fortuna und die Laufwerke des Mittelfeldtrios insbesondere ganz genau angeschaut und sich erfolgreich darauf eingestellt. Also sollten unsere Coaches vielleicht doch ein paar taktische Varianten in petto haben. [Lesezeit ca. 5 min]

Natürlich gucken Trainer heute nicht mehr nur auf den offiziellen Aufstellungszettel und neben nicht nur das als Anschauungsmaterial, was sie konkret auf dem Platz gesehen haben. Die Videoanalyse von Gegner ist in den vergangenen zehn Jahren zu einem wesentlichen Bestandteil der Coaching-Arbeit geworden. Hat früher irgendwer aus dem Stab auf die Schnelle ein paar Spielszenen zusammengeschnitten, die den Spielern dann nach dem Montagstraining mal eben gezeigt und erläutert wurden, gibt es heute bei allen Vereinen mit professioneller Arbeit Videoanalyseteams mit teilweise fünf, sechs oder mehr Insassen.

F95 vs Kiel: Aufgalopp der Einlaufkinder (Foto: FP)
F95 vs Kiel: Aufgalopp der Einlaufkinder (Foto: FP)

Und natürlich können die nicht nur auf das im TV übertragene Material zurückgreifen, sondern auf die Bilder eigener Kameras – bei den Bayern sollen es mittlerweile bis zu 16 Kameras sein, deren Signale in der Analysezentrale zusammenfließen, dort ad hoc aufbereitet und sofort an die Trainer auf der Bank weitergegeben werden. Kaum ein Coaching-Team kommt noch ohne Tablets am Arbeitsplatz während einer Partie aus; interessante Szenen werden so nur Minuten nach ihrem Eintreten analysiert.

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Für das Nacharbeiten stellen auch die Videoanalysten der Fortuna umfassende Filme zusammen, die zunächst die Trainer durchgehen. Die bestimmen dann, was den Kickern gezeigt werden soll. Mehrere Stunden Videoarbeiten nach dem jeweiligen Training, verteilt über die Woche, gehören auch bei Thioune & Co. zur normalen Coachingarbeit. Weil alle das so oder so ähnlich machen, lassen sich heute die real angewendeten Systeme und Taktiken einer Mannschaft detailliert analysieren; die Folgen sind aber nicht nur wie im Fall von Osnabrück-Schweinsteiger spürbar. Wenn beispielsweise ein designierter Knipser wie Glatzel vom HSV in einer Saison plötzlich kaum noch zum Schuss kommt, lässt das nicht nur auf eine Formdelle schließen, sondern daran, dass die Videoanalysen Rezepte gegen dessen Spielweise möglich machen.

HSV vs F95: Die Fortuna im Angriff (Foto: Sandra Drljaca)
HSV vs F95: Die Fortuna im Angriff (Foto: Sandra Drljaca)

Das als Vorrede. Denn natürlich kann man auch dagegen etwas tun. Das Stichwort lautet „Überraschung“. Im Prinzip geht es darum, dass die Coaches eines Teams ganz gezielt von einem bis dahin – vielleicht sogar über einige Zeit hinweg – erfolgreich gepflegten Spielprinzip abweichen. Das kann sich durch minimale Veränderungen der Aufgabenverteilung, der Laufwege und der Raumaufteilung geschehen, aber auch durch für Kontrahenten unerwartete Änderungen an der Systematik und der Aufstellung. Das funktioniert natürlich nicht spontan, sondern will ausführlich präsentiert und intensiv eingeübt sein. Deshalb kann kein Cheftrainer in der nächsten Partie beispielsweise ein 3-4-3 anordnen oder einen bisherigen Außenverteidiger als Achter einsetzen.

In diesem Sinne hat sich euer vollständig ergebener F95-Analyst ein paar Gedanken gemacht und schlägt hier mögliche Varianten vor. Schauen wir uns aber zunächst die „Standardsystematik“ der vergangenen Partien seit Elversberg an. Das Experiment von Hamburg bleibt ausdrücklich ausgenommen, genauso die Auftaktpartie gegen die Hertha mit dem eingespielten Kader der Vorsaison.

Das idealtypische 4-3-3 der laufenden Saison.

So sah die Startelf aus, wenn keiner der Stammspieler verletzt war. Einzige Variante: Daniel Ginczek statt Vince Vermeij. Unerwartet für Kontrahenten letztlich nur, dass Emma Iyoha als linker Außenverteidiger antrat. So lange Käpt’n Hoffmann verletzt war/ist, kam der junge Jamil Siebert als Innenverteidiger rein. So haben wir es mit drei sehr erfahrenen Abwehrrecken und einem schnellen Schienenspieler in der Viererkette zu tun, der eigentlich eher als Außenstürmer zu erwarten war/ist.

Das 4-3-3 ist auf eine einzige Spitze ausgelegt, der auf jedem Flügel ein a) schneller und b) einigermaßen torgefährlicher Außenstürmer zur Seite steht. Entscheidend in diesem System ist ganz grundsätzlich das Mittelfeldtrio. Noch in der vergangenen Saison wurde nicht selten mit einer Doppelsechs gespielt, inzwischen nimmt Yannik Engelhardt die Position eines defensiven Sechsers ein, während Shinta Appelkamp (eher links) und Ísak Jóhannesson (eher rechts) so etwas wie eine Doppelacht spielen. Auf dem Papier riecht das nach solider Defensive und Angriffsspiel über die Flügel. Das funktioniert dann, wenn die beiden Kreativkicker (Appelkamp und Jóhannesson) vom Gegner nicht zugestellt werden und gleichzeitig die Spitze (Vermeij/Ginczek) aus der Box herausgehalten wird. Dann kann ein Gegner den Schienenspielern ihre Flankenläufe erlauben, weil der Sechzehner in der Regel schwach besetzt ist.

Das ist er auch, weil weder Engelhardt noch Appelkamp oder Jóhannesson gern in den Strafraum vordringen. Das gefährlichste Mittel in dieser Konstellation sind tatsächlich die Schüsse der beiden nominellen Außenstürmer. Wie kann man also die außergewöhnlichen Fähigkeiten der „Young Guns“ nutzen, ohne in diese Falle zu tappen? Wie wär’s mit einem 4-4-2 mit demselben Personal?

Ein fragwürdiges 4-4-2.

Geht gar nicht. Erstens, weil Chris Tzolis keine zweite Spitze spielen kann (siehe HSV-Partie), nicht einmal eine hängende, und zweitens Shinta Appelkamp es hasst, als Linksaußen zu spielen. Deshalb würde dieses System – das den Vorteil hat, sich eher defensiv oder offensiv auslegen zu lassen – mit diesem Personal nicht funktionieren. Welche Variante mit zwei echten Spitzen wäre denn dann vorstellbar?

Ein komisches 4-4-2.

Das wäre eine Radikalkur, bei der – fast zwangsläufig – Chris Tzolis und Shinta Appelkamp aus der Startelf herausoperiert würden, zwei der bisher stärksten Kicker. Geht auch nicht. Okay, anstelle von Iyoha könnte man Tzolis nehmen, aber Appelkamp für Jóhannesson sieht nicht gut aus. Jedoch: Dies könnte eine Variante bei Verletzungen der genannten Spieler werden. Spannender aber sind Systeme mit Dreierkette. Zum Beispiel dieses:

Ein interessantes 3-2-2-3.

Hier gibt es keine Flügelschienen, sondern zwei Sechser, die sich in der Defensivarbeit abwechseln, und zwei Achter, die nach Lust und Laune rochieren. Das wäre für Gegner wirklich schwer auszurechnen. Hätte aber auch wieder den Nachteil, dass die Box eventuell zu oft zu dünn besetzt wäre. Das lässt sich aber ändern, wenn – wie in Hamburg – auf eine echte Spitze verzichtet wird. Dann würde nach Meinung des Ergebenen die Stunde des Jona Niemiec in der Startelf schlagen:

Ein asymmetrisches 3-4-3.

Dieses System wäre ganz und gar auf Speed angelegt, deshalb käme auch Emma Iyoha wieder als Schienenspieler rein. Die Sache hätte zudem Charme, weil ALLE Kollegen nördlich der Dreierkette vertikal und horizontal rochieren könnten. Die Sache würde auch mit Cello Sobottka statt Engelhardt funktionieren und sowieso mit Tim Oberdorf in der Dreierkette.

Die verrückteste Variante, die dem Ergebenen eingefallen ist, setzt besonders auf Ao Tanaka, der ja dieser Tage zum ersten Mal gleich zwei Buden für das Nippon-Team gemacht hat. Dort wird der gute Ao ganz anders eingesetzt als bei der Fortuna, und zwar als eine Mischung aus Achter und hängender Spitze. Das ginge bei uns auch. Tanaka könnte genau wie Niemiec eher außerhalb des Sechzehners agieren, aber ebenfalls als heranstürmender Knipser gesucht werden – sowohl von den Außenstürmern (Tzolis und Klaus), als auch von den drei, auf einer Linie spielenden Mittelfeldmännern (Sobottka/Engelhardt, Iyoha/Gavory und Jóhannesson/Zimmermann).

Ein völlig beklopptes 3-3-2-2.

So viel zu den Gedankenspielen des Ergebenen mit der Absicht, Systeme und damit Matchpläne zu schaffen, die einen Gegner überraschen könnten. Schließlich: Bei der Videoanalyse schauen sich die Coaches nicht nur an, wie der kommende Gegner spielt, sondern analysieren auch genau, wie er geknackt werden kann. Beim kommenden Kontrahenten aus K’lautern wird das schwierig, die wurden ja nur zweimal besiegt, wobei sie einmal aufgrund zweier Platzverweise verloren. Und bei der Niederlage gegen Pauli am ersten Spieltag waren noch nicht alle Kicker an Bord, die inzwischen dort Stammspieler sind. Da kommt also noch viel Arbeit auf unsere Videoanalysten zu.


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