Euer Ergebener

Verfluchte Ultras! – eine Liebeserklärung

Seit gut 25 Jahren gibt es Fangruppen bei der Fortuna, die sich als „Ultra“ verstehen. Oft schlägt ihnen Abneigung entgegen, der Ergebene dagegen liebt sie.

Meinung · Jeder, der den Ergebenen ein bisschen kennt, weiß, dass er ein großer Freund und Bewunderer der hiesigen Ultras ist. Und dass er sich trotzdem in unregelmäßigen Abständen das Recht herausnimmt, UD & Co. zu kritisieren. Dies auf der Basis von Erfahrung und vom Wissen darüber, was Ultras sind, welche Werte sie vertreten und welche Rituale sie pflegen. So hat er mindestens drei Generationen dieser Extremfans der glorreichen Fortuna miterleben dürfen. [Lesezeit ca. 7 min]

F95 vs HSV: Gute Stümmung im Block (Foto: FP)
F95 vs HSV: Gute Stümmung im Block (Foto: FP)

Was den Ergebenen immer wieder schockt, ist, dass so viele, die auf unsere Ultras schimpfen, so wenig über sie wissen und in der Regel auch nie das Gespräch mit ihnen suchen. Die wichtigste und größte Gruppierung dieser Art stellen die „Ultras Düsseldorf 2000“ dar, kurz UD genannt. Die haben sich ungefähr zu der Zeit zusammengefunden, in der euer Ergebener seine Liebe zur Fortuna wiederentdeckte. Damals, als die Diva noch im alten Rheinstadion antrat, fielen sie ihm noch nicht auf. Erst als sie nach dem Umzug im Jahr 2002 ins Paul-Janes-Stadion unübersehbar auf der Tribüne auf der Gegengeraden ihre Fahnen schwenkten, bemerkte er sie.

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Und seitdem hat ihn die Sympathie für diese jungen Leute, die eine Zeit in ihrem Leben ganz und gar der Fortuna widmen, nie verlassen. Denn das ist der Kern der Ultra-Mentalität: Die eigene Mannschaft immer und überall bestmöglich zu unterstützen. Ja, die Formulierung „immer und überall“ kennen F95-Fans aus mindestens einem Anfeuerungslied. Das bedeutet während der Saison, dass ein Ultra JEDES Spiel seiner Mannschaft besucht, es sei denn, es ist ihm aus wirklich wichtigen Gründen nicht möglich.

F95 vs Fürth: Mach et jot Aleks (Foto: DJ Opa)
F95 vs Fürth: Mach et jot Aleks (Foto: DJ Opa)

Traditionell wird unter der erwähnten Unterstützung (englisch: Support) das verstanden, was gemeinhin Anfeuerung genannt wird. Diese Anfeuerung besteht aus Sprechchören, gemeinsamen Gesängen, Trommeln, Fahnen, Banner, aber auch Dingen wie Konfetti, Luftschlangen, Bengalos (anFEUERung) und Rauchtöpfen. Hinzu kommen die oft riesigen Choreos, bei denen eine ganze Kurve oder noch weitere Bereiche mit gleichfarbiger Bekleidung, Blockfahnen, Fähnchen oder farbigem Papier gemeinsam ein von den Ultras entworfenes Bild erzeugen; oft ergänzt durch riesige Spruchbänder samt passender Bebilderung. Die Fortuna-Ultras sind in der Szene für solche ausgefeilten Choreos einigermaßen berühmt.

Das alles herzustellen und zu organisieren, kosten viel Zeit und Geld. Die benötigte Zeit investieren die Mitglieder der Ultra-Gruppen ohne Wenn und Aber. Das Geld kommt aus Spenden (unter anderem dem Pfand gespendeter Bierbecher in der Arena) und dem Verkauf von selbstentworfenen Fanartikeln (Trikots, T-Shirts, Schals etc.) und Dingen wie Spieltagsheften, Kalendern, Postern und ähnlichem. Und wenn die Kohle nicht reicht, geben die Ultra-Mitglieder eben so viel dazu, wie sie können.

Pyroshow im Olympiastadion beim Relegationshinspiel 2012 (Foto: FP)
Pyroshow im Olympiastadion beim Relegationshinspiel 2012 (Foto: FP)

Unsere Fortuna-Ultras sind außerdem bekannt für ihre gemeinnützigen Aktionen in den spielfreien Zeiten. Die Palette reicht hier vom Sammeln von Sach- und Kleiderspenden für Wohnungslose bis hin zu ganz konkreten Hilfstätigkeiten. Gerade in der Zeit der Pandemie und der Geisterspiele taten sich die Düsseldorfer Ultras durch viele solcher karitativen Tätigkeiten hervor.

Was bedeutet es also, Ultra zu sein? Konkret: Während der Saison in der Regel außer den Spieltagen sich an ein, zwei oder drei Abenden mit den Kolleg:innen zu treffen, um Termine abzusprechen, Aktionen zu planen, Choreos zu entwerfen und anzufertigen. Da bleibt wenig Freizeit für andere Dinge. Und deshalb bleibt auch niemand auf ewig Ultra. Zumal die Ultra-Bewegung auch eindeutig zu den Jugendbewegungen zu zählen ist. Heißt: Mit 16, 17 wächst man hinein, mit spätestens 24, 25 Jahren fällt man langsam oder abrupt aus dem aktiven Ultra-Leben hinaus. Nur ganz wenige Insassen sind länger als zehn Jahre Ultra.

Süd bleibt Süd (Symbolfoto)
Süd bleibt Süd (Symbolfoto)

Das ist der Grund dafür, dass es ständige Wechsel bei der Zusammensetzung der Gruppen gibt, was auch dazu führt, dass sich die geltende Auffassung vom Ultra-Sein mehr oder weniger deutlich ändern kann. Bei UD hingen solche Veränderungen meist mit dem Wechsel „an der Spitze“ zusammen, womit der beziehungsweise die Vorsänger (auch „Capo“ genannt) gemeint ist. Der erste Capo von UD war Micky Brechter, der ein sagenhaftes Revival bei der Anreise zum Spiel in K*** im Juli 2013 auf dem Bahnsteig in Benrath hatte.

Danach war der charismatische Nico Offert für mehr als zehn Jahre Vorsänger. In seine Ära fällt der Umzug in die Arena, wo die Ultras zunächst im Block 42B standen. Legendär die Auftritte unserer Extremfans bei Auswärtsspielen, die ihnen in der bundesweiten Szene eine Menge Respekt verschafften. Leider gehören in diese Zeit auch die Angriffe rechtsgerichteter Gruppierungen, teils aus dem Hooligan-Umfeld, auf die Ultras sowie diverse Auseinandersetzungen innerhalb der Kurve. Nachfolger von Nico wurde für kurze Zeit Freddie bevor dann 2016 Marvin das Amt übernahm, dass er zum Ende der Saison 2022/23 aufgab. Die Namen der aktuellen Vorsänger kennt der Ergebene leider nicht.

Mit Nico verbindet ihn eine andauernde Freundschaft, mit Marvin, den er auch sehr respektiert, hatte er so seine Streitigkeiten. Als der noch die Ultras im Block 42B anführte, also in unmittelbarer Nähe von Block 41, in dem der Ergebene seit nun fast 15 Jahren seinen Stammplatz hat, stimmte Marvin mal eines dieser Schlafwagenlieder an, was der Ergebene lautstark kommentierte, woraufhin der Vorsänger schrie: „Mach’s doch besser!“ und euer zutiefst ergebene Fan übernahm und tatsächlich den Block zum Mitsingen bewegte. Oder als UD den Ergebenen nach einem kritischen Artikel auf The Düsseldorfer zum Gespräch bat und es im Haus der Jugend zu einer hitzigen Diskussion mit versöhnlichem Ende kam.

Vorsänger Nico im Block 42 im Jahr 2012 (Foto: FP)
Vorsänger Nico im Block 42 im Jahr 2012 (Foto: FP)

In der Rückschau wird deutlich, dass jede Ultras-Generation ihren eigenen Stil geprägt hat, was natürlich mit dem Wechsel der beteiligten Personen zu tun hat. Zu Nicos Zeiten waren zum Beispiel die traditionellen Gesänge und Sprechchöre angesagt, dazu berühmte Lieder der italienischen Ultras, die ja vielen, wenn nicht allen Ultras in Deutschland als Vorbild dienen. Dinger wie „Wir alle singen jetzt ein Lied…“ stammen noch aus der Ära Micky, manche heute schon als „oldschool“ angesehene Gesänge sind erst nach 2004 entstanden. In Marvins Zeit kamen ganz neue Lieder mit teilweise komplexen Texten hinzu. Die aktuellen Ultras haben einen Hang zum Pathos, manchmal am Rande vom Kitsch.

Hauptkritikpunkt seit Jahren, vorgebracht vor allem von den Veteran:innen unter den Stehplatzfans, ist, dass eben zu wenige der traditionellen Anfeuerungen angestimmt werden. Außerdem werfen die Oldschool-Anhänger den Ultras vor, zu oft ohne Bezug zur jeweiligen Spielsituation zu supporten und/oder nicht auf in anderen Ecken angestimmte Songs und Parolen einzusteigen … um stattdessen diese bisweilen als Schlafwagensongs bezeichneten Lieder zu präsentieren. Okay, kann man alles doof finden. Nur: Die Ultras sind schließlich keine Jukebox, in die man n Euro schmeißt, damit die spielen, was man sich wünscht. Sie entscheiden zurecht autonom darüber, wie sie supporten und welche Gesänge und Sprechchöre sie anstimmen.

Der Abschied von Lumpi 2013 (Foto: FP)
Der Abschied von Lumpi 2013 (Foto: FP)

Immer wieder heftig – vor allem in den sozialen Medien – angeprangert wird das Verhalten der Ultras bei Auswärtsspielen, die – so lauten die Vorwürfe – rücksichtslos ihre Plätze einnehmen, auch wenn dort schon andere F95-Fans stehen. Und aktuell ganz besonders doll wird über das Fahnenschwenken und Hochhalten von Bannern geschimpft. Auswärts stehen die Ultras meist ganz unten im Block, und wenn die Fahnen durchgehend wehen, kriegen die dahinter Stehenden vom Spiel wenig mit. Zusammengefasst wird dann von den Kritiker:innen gesagt, die Ultras seien arrogant.

Was die Auswahl der Gesänge angeht, hat der Ergebene seinen Frieden mit den Ultras geschlossen und erträgt inzwischen die öden Songs mit den kitschigen Texten mit stoischer Gelassenheit. Natürlich war auch er schon bei etlichen Auswärtspartien Opfer der großen Fahnen, die ihm die Sicht aufs Geschehen versperrten. Aber: Wer ein bisschen Erfahrung mit Auswärtsfahrten hat, weiß, dass man – je nach Stadion – im Gästestehblock eben wenig vom Spiel mitkriegt, weil die Ultras die Mannschaft auf ihre Weise anfeuern. Wer das nicht aushalten kann, sollte sich dann besser für andere Plätze entscheiden, findet der Ergebene.

Magdeburg vs F95: Der Fortuna-Block strahlt vor Freude über den Sieg (Screenshot Sky)
Magdeburg vs F95: Der Fortuna-Block strahlt vor Freude über den Sieg (Screenshot Sky)

Bleibt natürlich noch das leidige Pyro-Thema und besonders die Diskussion um die durch das Abbrennen von Bengalos auflaufenden DFB-Geldstrafen. Der Ergebene persönlich findet: Fußball muss brennen. Gerade koordiniertes Zündeln als Teil einer Choreo mag er sehr. Dieses über die Dauer einer Partie einzelne Anzünden von Seenotrettungsfackeln dagegen eher nicht. Rauch ist ihm optisch auch sympathisch, solange er nicht mittendrin in einer Qualmwolke steht. Was er verabscheut, sind Böller und Raketen, und wer sowas in einem Stadion abfeuert, den möge der Blitz beim Scheißen treffen.

Leider laufen Pyro-Debatten seit dem Jahr 2012, in dem der DFB den Dialog mit den organisierten Fans zum Thema grundlos abbrach, immer nach demselben Muster ab. Es heißt, das sei nun mal verboten, und die zu zahlenden Strafen seien schädlich für den Verein. Obwohl viele der sicherheitstechnischen Bedenken seit Jahren weitgehend entkräftet sind, hält der DFB an seiner Praxis fest, ohne je wieder versucht zu haben, die Diskussion mit den Fans wiederaufzunehmen. Selbst Vorschläge aus Ultra-Kreisen, kontrolliertes und reguliertes Abbrennen von Bengalos zu erlauben, ignoriert der Verband mit Fleiß.

Bielefeld 2017: Auswärts mit den Ultras (Foto: FP)
Bielefeld 2017: Auswärts mit den Ultras (Foto: FP)

So wie es heißt „Ist nun mal verboten“ kann man auch argumentieren, dass Fackeln und Rauch nun mal Teil der Ultra-Kultur sind, und zwar seit über 50 Jahren. Und das Pharisäertum mancher Pyro-Kritiker wird deutlich, wenn sie sich über Bengalos unserer Ultras aufregen, aber Bilder aus griechischen und Stadien anderer Ländern, in denen manchmal fast auf allen Plätzen gezündelt wird, bewundern.

Wie gesagt: Kritisieren ist selbstverständlich erlaubt. Der Ergebene empfiehlt Kritiker:innen allerdings, das Gespräch mit den Ultras zu suchen. Schließlich sind die ja nicht unerreichbar, sondern bei jedem Spiel anwesend und können angesprochen werden. UD lädt übrigens einige Male pro Saison zum Kurvengespräch ein; da kann jeder teilnehmen.

20 Jahre Fortuna: die Choreo (Screenshot F95.tv)
20 Jahre Fortuna: die Choreo (Screenshot F95.tv)

Und schließlich: Wie die Stimmung ist, wenn die Ultras nicht da sind oder keinen Support leisten, hat man schon bei vielen Gelegenheiten erleben können. Meistens war es einigermaßen deprimierend, weil es eben genau diese Extremfans sind, die ansonsten IMMER und ÜBERALL für das unermüdliche Anfeuern unserer Jungs sorgen und sich übrigens freuen, wenn möglichst viele andere Fans mitmachen. Immer wenn sich der Support aus dem Ultra-Block über die gesamte Kurve und weiter auf die Tribünen ausbreitet, entsteht die Atmosphäre, die sich letztlich doch alle Menschen wünschen, deren Herz für die Fortuna schlägt.


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2 Gedanken zu „Verfluchte Ultras! – eine Liebeserklärung

  • Klasse Beitrag, eigentlich wie immer.
    Meine Meinung zu UD ist, seitdem Nico weg ist, ist UD langweilig bis gefährlich geworden. In Pillekusen im Pokal-Halbfinale war/ist der Gästeblock sehr klein. Dann während des Fahnenschwenkens Pyro Fackeln zu zünden, finde ich sehr gefährlich. Eine Fahne hat Feuer gefangen und ist nur knapp an meinem Gesicht vorbei geschenkt. Da kommt man ans Überlegen.
    Des-Weiteren war es wohl unter Nico, dass unsere Ultras die Aktion wir klauen den ölnern die Punkte lief. Die war so geil, dass sie sogar in der Tagesschau angesprochen wurde. Ebenso waren die Lieder so mitreißend, das dass Stadion Kopf stand.
    Den persönlichen Austausch mit UD habe ich auch gesucht, Ergebnis: kein Ergebnis.
    Aber ich sage auch, Hut ab davor sich als Capo hinzustellen und tausende zum singen zu bringen.

    liebe Grüße
    Fortunauwe

    Antwort
  • Guter Beitrag!
    Die Zeit mit Nico war absolut herausragend. Da war die Stimmung extrem gut, denke dass die Kurve unter den Top 5 in Deutschland war. Der lautstarke Support stand im Vordergrund, nicht wie heutzutage die Fahnen. Ich bin pro Ultras, auch wenn der Gesang situationsbezogener sein könnte. Da bin ich eher ein Fan des englischen Stils. Aber das gesellschaftliche Engagement, die Choreos, das ist schon toll. Bin auch Befürworter von Pyro (ausdrücklich keine Böller!) und würde hierfür sogar ein paar Euro mehr pro Karte zahlen, um die Strafen (die meiner Meinung nach völlig willkürlich und überzogen sind) zu finanzieren. Die Ultras gehören für ich dazu, wie die Logenbesucher, die Mecker-Opas, Hools und Familien mit Kindern. Jeder sollte sein persönliches Fortuna-Erlebnis so gut es geht genießen können.

    Antwort

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