F95 vs Hannover 2:2 – Eine wunderbare Auswechselbank
Das Ritual lange vor dem Anpfiff heutzutage besteht darin, das Smartphone zu zücken, eine Fußballseite mit der Aufstellung anzusteuern und das Gerät dann einem der Umstehenden Freunde vors Gesicht zu halten. Kenner achten dabei übrigens nicht nur auf die Startelf, sondern auch auf die Auswechselspieler. Vor der Smartphone-Ära ging das noch anders. Da achtete man beim Warmlaufen der Mannschaft darauf, wer ein Leibchen anhatte und wer nicht. Um daraus die Startaufstellung abzuleiten, musste man die Spieler natürlich kennen und erkennen. Wer also gestern Abend ein befreundetes Smartphone oder das Warmmachen beobachtete, durfte als Fortuna-Fan ein breites Grinsen zeigen, denn die Auswechselbank war wunderbar. Da saßen neben dem treuen Lars Unnerstall noch Marlon Ritter, Maecky Ngombo, Emma Iyoha, Özcan Yildirim, Arianit Ferati und Robin Bormuth. Keiner der Jungs älter als 23 Jahre. Wie soll da ein Fortune noch Angst vor der Zukunft haben? Natürlich wird die Sache für das Trainer-Gespann nicht unbedingt einfacher angesichts der Fülle an jungem Talent. Denn die Spieler, die dann weder auf dem Platz, noch auf der Bank Platz nehmen dürfen, obwohl sie fit sind, müssen bei Laune gehalten werden.
Und gewinnen können die Youngster alleine auch nicht. Je weiter die Saison fortschreitet, desto deutlicher wird, dass es die Mischung ist, die den aktuellen Erfolg sicherstellt. Auch gestern gab es einen Erfolg. Das Unentschieden gegen eine bessere Mannschaft war erneut das Ergebnis mentaler Kräfte. Nein, sympathisch ist die Truppe aus Hannover nicht, die man gerade durch die Zweitligawelt schickt, um dem auch nicht besonders symathischen Herrn Kind einen Wiederaufstieg zu bescheren. Die Söldner des Fahrstuhlvereins aus Niedersachsen langten durchgehend herzhaft zu und wurden vom nicht sehr sicheren Schiri Kempter erst sehr spät daran gehindert. Auch sonst machte das Team der 96er keinen wirklich inspirierten Eindruck – man spielt halt runter, was man einstudiert hat und baut auf die Fehler des Gegners.
Tor mit Ansage
So in der 18. Minute als gleich zwei Hannoveraner weitestgehend ungestört parallel zur Strafraumkante dribbelten und man von der Südtribüne schon früh erkennen konnte, dass aus dieser Situation ein Treffer entstehen würde. Tatsächlich kam der Ball bogenförmig auf den langen Pfosten, und so lang ist Michael Rensing auch nicht, dass er den noch gekriegt hätte. Zugegeben: Die Führung für den Gegner war zu diesem Zeitpunkt völlig verdient, hatten sie doch schon zwei Großchancen mit ein bisschen Pech versemmelt. Zum Glück für die Fortunen setzten die Hannoveraner aber nicht scharf nach, sondern schauten sich die Reaktion der Gastgeber erst einmal an.
Und trotzdem gab es noch eine starke Möglichkeit, die Führung auszubauen. Kaan Ayhan rettete auf der Linie. Apropos: Das leichte Defensivproblem bestand nicht in der Zentrale, sondern auf außen. So ordentlich Julian Koch noch am Millerntor agiert hatte, so fahrig ging er gestern zu Werke. Weil sich außerdem Julian Schauerte aus der Verteidigung raushielt, kamen auf rechts immer wieder Schwierigkeiten auf. Auffällig vor allem das mangelhafte Kopfballverhalten von Koch. Auf der anderen Seite harmonierten Lukas Schmitz und Axel Bellinghausen erneut ganz hervorragend, wobei sich „unser Axel“ am Ende als Garant für das Unentschieden platzieren konnte.
Hennings und Bebou
Auch wenn einem die Tatsache nicht gleich ins Auge springt, aber Rouwen Hennings und Ihlas Bebou entwickeln sich in Richtung Traum-Duo. Gut, so dramatisch gut und erfolgreich wie bei der legendären Paarung aus Sascha Rösler und Maxi Beister vor ein paar Jahren, funktioniert die Sache noch nicht, aber deutlich ist, dass beide jeweils ziemlich genau wissen, wo sich der andere aufhält, was Pässe ermöglicht wie den in der 36. Minute, der von Hennings kam und Bebou den Ausgleich ermöglichte. Überhaupt scheint das aktuelle Team aus lauter Paaren zu bestehen. Neben den schon genannten muss auch die Kleingruppe bestehend aus Kapitän Oliver Fink und Marcel Sobottka hervorgehoben werden, die bestens harmonieren.
Leider wurde Fink von den unsauberen 96-Spieler mehrfach bös erwischt und blieb nach der Pause auf der Bank. Für ihn kam folgerichtig Robin Bormuth, sodass Kaan Ayhan ins Mittefeld aufrücken konnte. Ganz klar: Ayhan in der Innenverteidigung ist eine Verschwendung von Kreativität. Seinen Umzug nach vorne brachte Schwung in die F95-Offensive, ohne dass die Defensive darunter zu leiden hatte. Auch wenn die 96er ihre Angriffsbemühungen noch einmal hochdrehten und sich wieder etliche Chancen erarbeiteten, kam doch kaum eine davon durch ein Fehlverhalten der Düsseldorfer Viererkette zustande. Wie gestern überhaupt die Fehlerquote erfreulich gering blieb.
Der fehlende Siegtreffer
Die erneute Führung für die Gäste kam nach einem Freistoß aus optimaler Position und Entfernung zustande. Rensing konnte den scharfen Ball nicht festhalten oder zur Seite lenken, sodass ein Hannoveraner abstauben konnte. Komischerweise drehte sich kurz danach das Spiel: Die Jungs in Weiß drehten immer mehr auf, zeigten noch mehr Kampfgeist und wurden offensiver. Der erneute Ausgleich stammte dann von Bellinghausen, der scharf von links in den Sechzehner passte, wo Bormuth zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Fuß am richtigen Platz hatte – ein perfektes Tor!
Von da an war es eine offene Partie, bei der beide Mannschaften den Sieg ganz, ganz dringend wollten. Chancen entstanden auf beiden Seiten, aber insgesamt erschienen die Schützlinge von Funkel und Hermann zu diesem Zeitpunkt leicht überlegen. Der Platzverweis nach gelb-roter Karte für einen 96er änderte aber leider nichts am System, mit dem die Fortunen den Gegner unter Druck zu setzen trachteten. Eher im Gegenteil: H96 baute zwei dicht gestaffelte Vierer- bzw. Fünferketten auf und wollten so die Heimmannschaft zu langen Bällen zwingen, um eventuell Konter zu generieren. Aber die F95-Kicker stiegen darauf nicht ein. Inzwischen war Arianit Ferati für den leicht ausgepumpten Bellinghausen auf dem Rasen, brachte zusätzlichen Schwung, der aber mangels Ideen versandete. Und trotzdem waren die Düsseldorfer am Ende näher am Sieg.
Spitzenmannschaft?
Ist das aktuelle Team des TSV Fortuna Düsseldorf 1895 schon eine Spitzenmannschaft? Sicher nicht, dafür sind die individuelle Schwächen und Fehlerquoten bei einigen noch zu hoch. Aber selten war so viel Talent unter dem rot-weißen Wappen versammelt wie zurzeit. Das sieht man noch nicht so sehr an der jeweiligen Startaufstellung, aber immer wieder auf der Auswechselbank. Und dabei saßen gestern noch nicht einmal solche Zukunftsträger wie Jerome Kiesewetter, Taylan Duman, Justin Kinjo, Kemal Rüzgar und Anderson Lucoqui dort.
Von einem der größten Fortunen aller Zeiten mussten sich die F95-Fans diese Woche verabschieden. Mit 92 Jahren wurde Matthes Mauritz ausgewechselt und kickt jetzt im Fußballhimmel weiter. Oder spielt dort Tennis oder Hockey. Jeder, der ihn persönlich kennengelernt hat, weiß, welch sympathischer, fröhlicher und offener Mensch dieser Matthes war. Die Choreo der Ultras mitsamt realem Grablicht war ein würdiger Abschied von diesem großen Mann.
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