F95 vs Aue 2:1 – Wie man sich das Leben selbst schwermacht
Trainer Friedhelm Funkel war nicht amüsiert. Nein, nicht wegen der nach dem Zufallsprinzip fallenden Entscheidungen des Linienrichters auf seiner Seite. Sondern wegen der Leistung seines Teams. Und er nannte Namen, was er ja sonst tunlichst vermeidet. So weit sind wir also schon, dass die Kicker nach einem Sieg verbale Haue kriegen. Das ist ein gutes Zeichen, weil es darauf hinweist, dass solche Spiele klarer und überzeugender gewonnen werden müssen. Wir bewegen uns also auf Bayern-München-Niveau. Dass sich die rund elf Herren in Weiß auf dem Rasen selbst das Leben schwermachten, konnte man jeweils in den ersten zwanzig Minuten beider Halbzeiten sehen – denn die gehörten den Fußballspielern aus dem erzgebirgischen Schacht.
Tatsächlich boten die Veilchen eine wirklich überzeugende, mutige Leistung, schoben offensiv an, und den Fortunen fiel dazu zunächst wenig ein. Besonders wacklig naturgemäß die notdürftige Innenverteidigung, was einerseits an einer deutlichen Nervosität von Robin Bormuth und andererseits an einer unerklärlichen Übermotivation von Teilzeitkäpt’n Adam Bodzek lag. Letzterer wollte möglicherweise auf der ungewohnten Position alles ganz besonders richtigmachen, hampelte aber gerade bei Situationen im eigenen Fünfern ziemlich rum. Da klärte der junge Herr Bormuth aber wesentlich souveräner, leistete sich aber auch die größte Anzahl an Fehlpässen aller Fortunen.
Ein Funkel’sches System
Nun ist es ja so, dass Funkel nominell eine Viererkette aufgestellt hatte, aber immer einer der beiden Außenverteidiger volle Kanne offensiv tätig wurde. Ja, man könnte es schon beinahe das Funkel’sche System nennen: Ein Oszillieren zwischen Vierer- und Dreierkette, eine Doppel-Sechs und eine mit bis zu vier Stürmern besetzte Offensive. Beispiel gefällig? Benito Raman bekommt den Ball quer von Sobottka und wird an der rechten Außenlinie von Jean Zimmer überspurtet. Dem passt er die Pille zu und geht Richtung Strafraumkante. Dort bewegen sich Rouwen Hennings und Harvard Nielsen, knapp dahinter Florian Neuhaus. Außerdem weit draußen auf links Davor Lovren. Niko Gießelmann, der linke Außenverteidiger bleibt dann hübsch bei seinen Kollegen von der IV. Das funktioniert auf der linken Seite genauso, und wenn Raman und Lovren mal die Seiten tauschen, ist der Gegner endverwirrt.
Voraussetzung ist aber, dass die Pässe ankommen, dass das Ei behauptet wird und dass die designierten Passempfänger richtig laufen. Genau deshalb war Funkel sauer, weil von den drei genannten Punkten in zusammengezählt fast 40 Minuten kein einziger passte. Wäre es zu einem Rückstand gekommen, hätte der Coach das System mitten im Spiel komplett umstellen müssen. So aber blieb der Ansatz über 90 Minuten stabil, und wenn es klappt, dann sehen die möglichen Spielzüge verdammt klasse aus. Man muss aber auch dazu sagen, dass gestern in der dürftig gefüllten Arena beide Tore für die Diva eben nicht die Folge solch designter Spielzüge waren. Wobei das 1:0 durch Benito Raman in der 30. Minuten einen Hauch von Handball hatte: Die Jungs in Weiß spielten gleich mehrfach um den Auer Kreis und fanden einmal eine Lücke bei Nielsen. Dessen Schussversuch wurde noch abgewehrt und landete bei Raman, der mit einem prächtigen Lupfer das Tor machte. Mindestens ein Fortune stand dabei passiv im Abseits.
Fortunen im Schlamperei-Modus
Während das F95-Team in den guten Minuten ungefähr vier verschiedene Angriffsvarianten auf der Pfanne hatte, beschränkten sich die Herren von Wismut Aue auf deren zwei: Außenstürmer an Grundlinie, flacher Pass nach innen, Schuss … oder auch nicht. Das konnten sie so immer dann treiben, wenn die Fortunen sich im Schlamperei-Modus befanden. So gesehen wäre ein Unentschieden zur Pause gerecht gewesen. Auch wenn ab ungefähr der 20. Minuten mehr Zug ins Spiel der Heimmannschaft kam. Und das lag vor allem an Florian Neuhaus, der sich endlich bekriegt hatte. Wenn der Mittelfeldler, den man in der kommenden Saison sicher nicht mehr im Fortuna-Dress sehen wird, gut drauf ist, entscheidet er Spiele – das konnte man gestern wieder lernen. Neuhaus hat alles, was man zum Spielgestalter braucht: ein tolles Auge, eine hervorragende Technik am Ball, jede Menge Ideen und das Durchsetzungsvermögen selbst zum Torschuss zu gehen, wenn es die Situation erfordert.
Damit überforderte er ab etwa Minute 60 seine beiden Gegenspieler haltlos. Und trotzdem entstand der Strafstoß in der 70. Minute durch eine Mischung aus Geschick und Glück. Ja, den Elfer wollte der gute Neuhaus, und er bekam ihn. Dass Hennings das Ding dann mit Gewalt unter den Giebel der Bude hämmerte, erfreute das Herz der anwesenden Fans. Die ansonsten eher wenig Emotionen zeigten. Was auch am mittlerweile schwer erträglichen Support-Verhalten der Ultras und ihres Kapos lag. Der agiert zunehmend uninspiriert, verfällt in vorhersehbaren Abständen in Schlafwagengesänge, scherzt mit den Kollegen in unmittelbarer Nähe und verpasst dann regelmäßig die Anfeuerungen, die vom 160er und angrenzenden Gebieten ausgehen und in der zweiten Halbzeit wenigstens für ein bisschen Stümmung sorgten. So wertvoll und mitreißend der Support der vereinigten F95-Ultras bei Auswärtsspielen ist, so wenig vermag die Gruppe bei Heimspielen zu überzeugen.
Ein bisschen Einzelkritik
Und der zwischenzeitliche Ausgleich? Den 08/15-Spielzug der Erzgebirgler kennen wir ja schon. In der 63. Minute kam wieder so ein flaches, scharfes Ding Richtung Fünfer, und wo Bodzeks erster Eigentorversuch am Anfang der Partie noch sicherer Beute von Raphael Wolf blieb, lenkte er die Kugel dieses Mal nach einem leichten Pingpong mit einem Auer Stürmer in die hauseigenen Maschen. Nachdem die Gäste aber auch Anfang der Hälfte Zwei die aktivere und spielfreudigere Mannschaft stellten, ging das 1:1 zu diesem Zeitpunkt mehr als in Ordnung. Nun wollen im Block 41 mehrere Zuschauer eine Abseitssituation gesehen haben, aber bei genauerem Studium war auch hier wohl maximal passives Abseits gegeben.
Womit wir auch schon zur Einzelkritik übergehen können. Über die milde Unsicherheit von Bodzek und Bormuth haben wir bereits gesprochen – trotz des unglücklichen Eigentors des Aushilfskäpt’ns stabilisierten sich die beiden Verteidiger über alles betrachtet dann doch. Nur wird sich niemand wünschen, dass dieses Experiment – ausgelöst durch das Fehlen von Kaan Ayhan und Andre Hoffmann – je wiederholt werden muss. Jean Zimmer, leider auch nur ein Ausgeliehener, agiert immer fleißig, immer rasant schnell und mit einem guten Schuss Kreativität und klärt bei Bedarf kompromisslos. Auf der anderen Seite ist Gießelmann ebenfalls enorm einsatzfreudig, aber nicht annähernd so schnell und kreativ wie sein Kollege auf rechts. Die Sechser brauchten gestern eine Weile bis sie sich eingerüttelt hatten, aber dann funktionierte das Duo mehr als zufriedenstellend. Inzwischen harmonieren Marcel Sobottka und Florian Neuhaus perfekt und wechseln sich bei Gelegenheit auch in ihren Rollen ab, sodass Sobottka dann offensiver geht und Neuhaus die Zentrale bildet. Das nächste Pärchen: Während Hennings das von ihm bekannte körperbetonte Spiel zelebrierte und jedem Ball nachging, wusste auch Harvard Nielsen wirklich zu überzeugen. Im Grunde hat man es auch in der (nominellen) Doppelspitze mit Zwillingen zu tun, also Kickern ähnlichen Zuschnitt, wobei selbstverständlich Hennings der torgefährlichere bleibt.
Bisschen Feuer unterm Hintern
Und dann waren da noch Benito Raman und Davor Lovren. Gestern wurde deutlich, weshalb es ein kluger Schachzug der Verantwortlichen war, zunächst nur die Raman-Leihe zu verlängern und nicht schon die Kaufoption zu ziehen. Denn wenn – wie in der gestrigen Partie – Raman nicht so überzeugend kickt wie es diese Saison schon so oft der Fall war, dann bringt er sich selbst an den Rand eines Lustlos-Modus‘, was der Mannschaft überhaupt nicht guttut. Zwar rannte der flotte Belgier wieder oft und wie die Feuerwehr, aber seine echten Offensivaktionen wirkten irgendwie schematisch. Anders dagegen der noch jüngere Lovren, ein begnadeter Dribbler, der aber auch gern mal einen Ticken zu viel dribbelt, weil er sich an seinen Dribbelkünsten berauscht. Der fiel zwischen durch sehr positiv auf, übte aber insgesamt zu wenig Offensivdruck aus.
Beiden als Vorbild könnte der frisch von der bösen Hertha ausgeliehene Genki Haraguchi dienen. Überraschend, aber aus gutem Grund saß der schon auf der Bank und kam kurz vor dem zwischenzeitlichen Ausgleich für Raman. Man kann mit gutem Gewissen spekulieren, dass dessen Rolle in seiner kurzen Zeit bei der Fortuna die sein wird, Jungs wie Raman, Lovren, aber auch dem Mitjapaner Takashi Usama konkurrenztechnisch Feuer unterm Hintern zu machen. Haraguchi ist ebenfalls ein begnadeter Dribbler, quick und trickreich, aber durch die Praxis vieler Ligaspiele gehärtet und deshalb zielgerichteter. Besonders auffällig, wie schnell und in welch hohem Maße der Mann mit seinen neuen Kollegen interagierte, die er ja kaum kennt. Die Leihe war übrigens Funkels persönlicher Wunsch, der den Japaner aus seiner Zeit bei den Sechzgern kennt.
Alles in allem…
Dass der echte Käpt’n Oliver Fink kommen würde war klar. Auch dass er Nielsen ersetzen würde, war abzusehen. Und er setzte genau da fort, wo er bei seiner letzten Partie aufgehört hatte. Gegen den möchte niemand spielen müssen, denn Fink geht in jedem Zweikampf aus Ganze und sucht die Konfrontation, wo andere Spieler eher einmal ausweichen. Das ist manchmal nur destruktiv, selten kreativ, aber immer wirkungsvoll. Schließlich kam dann auch Usami als Ersatz für Lovren, der schon ab etwa der 65. Minute ein wenig überspielt wirkte. Da hatte der Trainer den Japaner auch schon zur Auswechselbank gerufen. Nach ein paar Minute schickte ihn Funkel in Begleitung des Konditionstrainers noch einmal zum Warmmachen. Das sah komisch aus, und eine stichfeste Begründung gab es nicht. Bei Usami fiel erneut auf, dass er am Ball viel zu oft mit dem Rücken zum gegnerischen Tor steht und in Bedrängnis immer Richtung eigener Verteidiger spielt. Das bremst das Spiel und hilft der Offensive nicht. Womit wir auch einmal wieder beim glänzenden Keeper Raphael Wolf sind, der eine knappe Handvoll prächtiger Paraden bot, sich aber zunehmend als mitspielender Tormann erweist, der das Spiel liest und deswegen fast immer richtig steht. Man muss kein Augur sein, um vorherzusagen, dass dieser Torhüter der Mannschaft in der restlichen Rückrunde noch so manchen Punkt festhalten wird.
Alles in allem haben sich die fortunistischen Spieler an diesem milden Abend vor minimaler Kulisse bei lauwarmer Stümmung jeweils am Beginn der Halbzeiten das Leben selbst schwergemacht – durch Schlamperei, Nervosität und sogar ein bisschen Formlosigkeit. Das sollte anders werden, soll die Tabellenführung noch ein bisschen andauern oder sogar am Ende der Saison bestehen.
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Das Tor für Aue wurde aber vom wuchtigen 22er mit der Faust ins Tor geboxt. Zumindest sah dies aus der Hintertorkamera so aus, und der Sky-Kommentator meinte das auch. Und die kennen sich ja schließlich aus bei Sky. 🙂