Fortuna-Punkte: Ohne die Geschichte der vergangenen 20 Jahre kann man die Fortuna nicht verstehen (1)
Die Situation war aufgeladen: Ein Haufen gewaltbereiter Magdeburger waren angereist und trafen im Paul-Janes-Stadion am Flinger Broich auf nicht weniger konfliktfreudige Fortunen. Über 5.600 Zuschauer zählte man als die Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus die Partie des 27. Spieltags der Regionalliga am 31. März 2002 bei schönem Wetter anpfiff. Vor dem Spiel stand die glorreiche Fortuna auf dem vorletzten Platz, und den meisten F95-Anhängern war klar: Eine Niederlage könnte frühzeitig den Abstieg bedeuten, und dann wäre der Verein möglicherweise final am Arsch.
Trainer Stefan Emmerling hatte Mirko Bitzer, Dennis Rossow, Marc Sesterhenn, Rudolf Zedi, Martin Cupr, Michael Hopp, Guido Jörres, Robert Niestroj, Samuel Ebi Taubmann, Boris Kondev, Ganiyu Shittu, Uwe Weidemann, Milan Strelec und Daniele Varveri aufgeboten – Spieler, die bis auf Sesterhenn, Zedi, Jörres, Niestroj, Shittu und Weidemann längst vergessen sind. In der 33. Minute ging der FC Magdeburg in Führung. In der Halbzeit kam Pico für UW, aber irgendwie fanden die Fortunen nicht ins Spiel. Und als in der 90. Minute das 0:2 fiel, war der GAU eingetreten. Erlebnishungrige F95-Fans hatten sich am Block E der Haupttribüne eingefunden, um nahe am Gästeblock auf der Süd zu sein, und warfen alles, was fliegen konnte auf die Magdeburger. Am Zaun stand der Ex-Präsident Michael Steffes-holländer, Tränen in den Augen, auf der Tribüne herrschte betroffenes Schweigen.
Das Achenbach-Desaster
Der nicht im geringsten fußballkompetente Kunstberater Helge Achenbach hatte sich 1997 nach dem Abstieg in die zweite Bundesliga für fünf Jahre zum Präsidenten wählen lassen und hatte nicht nur den sofortigen Wiederaufstieg versprochen, sondern auch das Schaffen solider Finanzen. Dass er dazu ein 15-Millionen-DM-Darlehen der Kölmel’schen Kinowelt/Sportwelt reinholte und dafür weitreichende Rechte an den Darlehensgeber abtrat, wirkte eher gegenteilig: Das Geld wurde mit vollen Händen aus dem Fenster geworfen, und anstatt wieder erstklassig zu spielen, stand am Ende der Saison 1998/99 der Abstieg in die drittklassige Regionalliga West/Südwest. Da war der Verein bereits ziemlich am Arsch. Das Interesse der Düsseldorfer an der Fortuna näherte sich dem Nullpunkt.
Zum Heimspiel am viertletzten Spieltag gegen Mainz 05 fanden knapp 6.000 Zuschauer den Weg ins Rheinstadion. Unter Interimstrainer Peter Neururer gab es eine 0:3-Klatsche. Zu Saisonbeginn hatte man den ewigen Fortuna-Superstar Klaus Allofs als Trainer geholt, und das war eines der vielen und vielleicht das größte Missverständnis in der an Missverständnissen und Fehlentscheidungen reichen Ära des H. Achenbach. Nachdem die Fortuna am 25. Spieltag auf den letzten Platz abgestürzt war, holte man den Feuerwehrmann Neururer, mit dem der Abstieg dann perfekt gemacht wurde. Sportlich war die Fortuna im Sommer 1999 am Arsch, und in welchem Maße der Verein auch wirtschaftlich am Arsch war, wussten nur ein paar Händevoll Insider.
Die Montagsrunde
Und die trafen sich in dieser Zeit in einer informellen Gemeinschaft, die als „Montagsrunde“ bekannt wurde. Allen Beteiligten war klar, dass die Ära „Achenbach“ ein Ende habe müsse, um die Fortuna überhaupt noch zu retten. Dass dann der alerte Schnauzbarträger Steffes-holländer zum neuen Präsi gewählt wurde, half dann aber auch nicht wirklich. Der Mann, der seine Erlebnisse später in einem Buch mit dem Titel „Sind wir nur ein Karnevalsverein?“ zusammenfasste und dabei einigen Weggefährten noch nachträglich ans Bein pinkelte, war als Manager der Deutschen Post finanziell verhaltensauffällig geworden und musste zurücktreten. Die Montagsrunde hatte da bereits über eine geordnete Insolvenz diskutiert und versucht, Steffes-holländer von diesem Weg zu überzeugen. Vorbild wäre der FC Gütersloh gewesen, der nach dieser freiwilligen Pleite als Neugründung nur eine Liga tiefer hatte antreten müssen.
Am Ende der kurzen, aber schwer lustigen Ära Steffes-Holländer stand der Verein sportlich beschissen dar, das Sportwelt-Geld war verbraten, der Club führungslos, kaum 3.000 Mitglieder hielten der Fortuna die Treue und zu allem Überfluss stand der Abriss des Rheinstadions und damit der Umzug ins Paul-Janes-Stadion fest. Und der zu jedermanns Überraschung im Herbst 1999 zum neuen Oberbürgermeister Joachim Erwin – wahrlich kein Freund des getretenen Rundballs – hatte die Fortuna für sich entdeckt. Auf sein Konto ging die Planung der sündhaft teuren Arena anstelle des Rheinstadions, deren Finanzierung nicht im Geringsten gesichert war. Der Plan: Fortuna um jeden Preis in die erste Liga hieven, um so die Arena auszulasten und sich nachträglich den Segen der Bevölkerung für das Millionengrab zu holen. Gleichzeitig hatte sich im Umfeld der Montagsrunde die Satzungskommission gebildet, die der Fortuna eine völlig neue, wesentlich stärker demokratisch verfasste Struktur zu geben.
Abriss- und Mythosspiel
Überhaupt entwickelten die engagierten Fans – und wir reden hier nicht von Ultras oder Supportern – in dieser dunkelsten Phase der Vereinsgeschichte an allen Ecken und Kanten Ideen, aus denen dann Aktionen wurden; legendär des Abrissspiel im Rheinstadion gegen Rot-Weiß Essen am 3. März 2002 vor über 25.000 Zuschauern komplett von Fans organisiert worden, genau wie das Mythosspiel am Vatertag 2003, bei dem eine Auswahl von 1993 gegen die aktuelle Mannschaft antrat. Man kann sagen: Die Fans hatten die Macht übernommen, und Charly Meyer war genau der Vorstandsvorsitzende, der dazu passte. Von da an wär’s vielleicht einfach nur aufwärts gegangen, wären da nicht die besonderen Interessen des Joachim Erwin gewesen, dem – nach eigenen Aussagen – diese ganze vereinsinterne Demokratie „was für den Kindergarten“ war.
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