1959 – 2023: Meine 64 Jahre mit der Fortuna (Folge 2)
Nein, ich war nicht in Basel. Und, nein, ich habe leider auch nicht das 7:1 gegen die Bayern gesehen. Überhaupt war ich zwischen 1959 und 2000 nur sporadisch F95-Fan.
Lesestück · Das hing, wie schon erwähnt, stark damit zusammen, dass mein Sohn ab 1986 sechs Jahre lang Eishockey bei der DEG spielte. Und weil die Rotgelben in den Sechziger- und Siebzigerjahren für mich eine wichtigere Rolle gespielt hatten als die Fortuna, kam mir das gerade recht. Mit einem Dutzend anderer Eishockeyväter, darunter einige prominente Ex-DEG-Cracks und Nationalspieler trafen wir uns bei fast jedem Heimspiel auf der Nordtribüne. So durfte ich alle vier deutschen Meisterschaften in den Neunzigern miterleben. Zur Fortuna ging ich nur gelegentlich und nur, wenn mich jemand überredete. [Lesezeit ca. 5 min]
Das war zum Beispiel am letzten Spieltag der Saison 1989/90 der Fall, als die gerade wieder aufgestiegene Fortuna den FC St. Pauli im Rheinstadion, in dem sich rund 13.000 Zuschauende verloren mit 7:0 abfieselte. Das war Teil des Geburtstages eines Freundes, der sich unter anderem diesen gemeinsamen Besuch gewünscht hatte. Witzigerweise sah ich in diesem Jahrzehnt noch zwei Heimsiege gegen Pauli; Anlass damals eine schöne Frau, deren besondere Eigenschaft es war, glühendste F95-Anhängerin zu sein.
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Außerdem versuchte ich, ganz wie mein Vater, die Kinder an die launische Diva heranzuführen. Beim Eishockeysohn war das von vornherein aussichtslos, aber die Tochter war schon interessiert. Zumal sie bei den Rheinfranken in der gemischten Bambini-Mannschaft mitkickte. Also fuhr ich an einem sommerlichen Nachmittag mit ihr ins Rheinstadion und nahm im Familienblock Platz. Zu Gast war der Hundemithörner-Club, es könnte die Partie am 18. August 1996 gewesen sein, bei der wir zum Saisonauftakt gegen den Äff-Zeh mit 0:3 verloren. Eine Menge K***-Anhänger hatten sich Plätze in der Südkurve gesichert, außergewöhnlich viele Väter mit Kindern. Kurz nach der Halbzeit griffen F95-Hools diese Kurve an. Von der Laufbahn aus wurde mit Fahnenstöcken und Gegenständen geworfen. Dann drangen ein paar sogar in den Bereich ein. Es gab blutende Wunden, und als ein paar k**sche Papas mit ihren Blagen zu uns in den Familienblock flüchteten, war das Thema „Fortuna im Rheinstadion“ für meine Tochter final erledigt.
Ich schätze, dass ich zwischen 1990 und 2000 kaum mehr als ein Dutzend Partien mit Beteiligung der Rotweißen live gesehen haben. Der ganze Hassel mit Auf- und Abstiegen ging fast spurlos an mir vorbei. Ich nahm die Nachrichten auf, aber sie berührten mich nicht. Auch das irrwitzige Theater rund um Präsidenten und Vorstände ließ mich vergleichsweise kalt. Mein Schwager Gil war es dann, der mich davon überzeugte, dem Heimatverein öfters mal unsere Treue zu beweisen. Außerdem hatte ich einen heiligen Schwur geleistet, wieder regelmäßig zur Fortuna zu gehen, wenn sie wieder am Flinger Broich spielen würde.
Das legendäre Abrissspiel gegen Rot-Weiss Essen am 3. März 2002 verpasste ich leider wegen einer Dienstreise; es wäre der perfekte Einstieg in mein neues Fortuna-Leben gewesen. Außer Gil gab es noch einen Kollegen aus einer anderen Agentur, der auch erheblicher Fan war und mich zusätzlich animierte. Arthur besorgte zuverlässig die Eintrittskarten, und ab der Saison 2001/02 trafen wir uns regelmäßig im Paul-Janes-Stadion. Damals kickten die Flingeraner in der Regionalliga Nord. Da kamen Clubs wie Lübeck, Braunschweig, RW Essen, Wattenscheid, Uerdingen, die falsche Fortuna aber auch Magdeburg und der Dresdner SC.
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Ich erinnere mich noch an das Heimspiel gegen Magdeburg im März 2002, dass mit 0:2 verloren ging. Das ganze Spiel über bekriegten sich Anhänger beider Vereine, die Polizei hatte alle Mühe, die Kontrahenten im Stadion auseinanderzubringen. Selbst ein leerer Müllcontainer flog in den Block der Gäste. Nach dem Spiel war die Rosmarinstraße ab der Kreuzung zum Flinger Broich über Stunden gesperrt. Mit Gil hatten wir Platz im Block A gefunden, der von den Stammkunden „Singing Area“ genannt wurde. Die Bude war mit rund 5.500 Zuschauern samt der Stahlrohrtribüne auf der Gegengerade ausverkauft. Es war übrigens das erste Mal, dass unsere Bibi (Steinhaus) uns pfiff.
Am Ende stieg F95 aus der Regionalliga Nord ab; das stand bereits Wochen vor Saisonende fest. Und diejenigen, die schon die erste Oberligasaison mitgemacht hatten, freuten sich auf eine erneute „Über-die-Dörfer-Tour“. Stattdessen wurde es eine Saison der Tristesse. Da gab es am 17. Spieltag ein verheerendes 6:0 in Wuppertal – Schikane der Polizei bei An- und Abreise inklusive. Da kam die Fortuna gegen Freialdenhoven in beiden Spielen nicht über je ein Remis hinaus. Und wo damals noch Tausende Fortunen die Partie in Teveren zur Party gemacht hatten, reisten dieses Mal nur ein paar Hundert nach Freialdenhoven. Mein persönlicher Tiefpunkt der Saison: Das knappe 2:2 gegen Ratingen 04/19 vor kaum mehr als 1.000 Zuschauern bei Dauerregen im PJS…
Und genau am Montag nach diesem ernüchternden Ergebnis wanderte ich in die Geschäftsstelle am Flinger Broich und füllte meinen Mitgliedsantrag aus. Ich dachte: Schlimmer kann’s nicht mehr kommen, jetzt ist der richtige Zeitpunkt sich zu engagiere. Soweit ich mich erinnere, hatte der Düsseldorfer Turn- und Sportverein Fortuna 1895 e.V damals kaum noch 3.000 Mitglieder. Die Fanszene bestand aus um die einhundert Unentwegten und der ersten Generation der Ultras Düsseldorf (UD). Auf das ganze Chaos rund um die Vereinsführung und -organisation will ich im Detail gar nicht eingehen. Ich weiß nur, dass Paul Jäger und seine getreuen Mitarbeiter in der Geschäftsstelle den Laden mit ihrem ganzen Herzblut irgendwie zusammenhielten.
Die Wahnsinnigen, die das Kölmel-Geld zum Fenster rausgeschmissen hatten, waren weg. Michael Steffes-holländer hatte von Helge Aachenbach übernommen. Es gab einen Notvorstand, der bei uns in der Agentur tagte. Engagierte Fans gründeten die Montagsrunde, um alle Möglichkeiten zu besprechen und in Gang zu setzen, den Verein zu retten. Denn: Das Ende der Fortuna drohte. Aus der Runde entstand die Satzungskommission, liebevoll „Satzungspisser“ genannt. In erstaunlich kurzer Zeit bastelten diese begabten Juristen und Organisationsmeister die Satzung, die heute noch gilt. Es gab keinen „Präsi“ mehr, sondern einen vom Aufsichtsrat bestellten Vorstand. Und den Aufsichtsrat wählten die Mitglieder – mit Hilfe des Wahlausschusses.
2002 war also spochtlich ein rabenschwarzes Jahr, aber auch der Wendepunkt. Mit Charly Meyer vom BV04 und Werner Sesterhenn konnte ein Vorstand bestellt werden, der die Dinge in die Hand nahm, ohne irgendwelche persönlichen Befindlichkeiten auszuleben. Und dann kam das Mythos-Spiel, eine Idee der Düsseldorfer Sportjournalisten, die so sehr Fortunen waren (und noch sind), dass sie dem Sterben des Traditionsvereins nicht einfach zusehen wollten. Mit Unterstützung der Agentur, in der für Geld zu arbeiten ich gezwungen war, wurde dieses Riesenfest organisiert. Die Mannschaft von 1993 sollte gegen das aktuelle 2003er-Team antreten. Dazu ein Rahmenprogramm, das sich gewaschen hatte. Die Chose stieg am Vatertag des Jahres 2003, und weil meine damalige Gattin und ich eng mit der Düsseldorfer Traditionsband G’Loyd verbandelt waren, die dann auch dort spielte, war ich zumindest ein winziges Rädchen in diesem Getriebe.
Es war ein wunderbares Fest bei bestem Wetter im Paul-Janes-Stadion. Es wurde gefressen und gesoffen (stellenweise VIEL gesoffen…) und Musik gehört. Und, ja, ein Fußballspiel gab es auch – mit Dieter Nuhr als Stadionsprecher. Ich betrachte diesen Tag unter dem Motto „Mythos Fortuna“ als den Wendepunkt. Danach stand die Existenz unserer geliebten Diva nicht mehr in Frage, und von da an ging es aufwärts.
Über die Jahre von 2004 bis 2007 berichte ich dann in der dritten Folge. Und hier geht es zum ersten Teil meiner F95-Erinnerungen.
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Hallo, vielen Dank für die Erinnerungsteilhabe! Gemäß dem Wunsch auf Korrekturlesung, komme ich mit drei Schreibfehlern nach. Hier kütt dat erste Fehlerteufelschen:“ es (könnte) die Partie am 18. August 1996, bei der wir zum Saisonauftakt gegen den Äff-Zeh mit 0:3 verloren.“ und Numero due: „ Michael Steffes-(holländer)“ und der dritte Fehler hinterher: „ Die Mannschaft von 1993 sollte gegen das (aktueller) 2003er-Team antreten.…“ Es grüßt herzlichst
Stefan Christ
Vielen Dank! Korrekturen sind eingearbeitet. Aber unser damaliger Vorstandsvorsitzende schreibt sich tatsächlich so, also mit „holländer“ ohne großem H…
Toller Bericht mit schönen Fotos. Und ich glaube ganz viele von den Oldies finden sich in deiner Berichterstattung wieder. Witzigerweise hat mein bester Kumpel und Fortuna-Weggefährte genau zum gleichen Zeitpunkt seinen Mitgliedsantrag ausgefüllt wie du.
Ich freue mich schon auf Teil 3.
Hallo, bei der Äffzeh-Geschichte fehlt ein entscheidendes Detail: Bevor der Block gestürmt wurde, kam genau dort ein Fortuna-Fan mit Bierbechern in beiden Händen die Steinstufen hoch; wehrlos, nichtsahnend, exakt in meiner Sichtachse. Oben stand ein *ölner, hat sich am Geländer abgestützt und ihm mit beiden Beinen in die Brust getreten. Der Mann ist rücklings hinuntergestürzt, ohne sich abstützen zu können. Eine der schlimmsten Szenen, die ich je in einem Stadion gesehen habe. Der muss sich schwer verletzt haben. Das war der Auslöser für die nachfolgende Aktion, denn das hatten eine ganze Reihe von Leuten im Block gesehen. Natürlich hat es dann auch viele Falsche ÄffZeher getroffen, aber so viel zum Thema „harmlose Familienväter mit Kindern“.
Oh, das wusste ich nicht. Wirft wirklich ein anderes Licht auf die Geschichte. Danke für die Aufklärung!
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