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Kann Fortuna etwas vom SC Freiburg lernen?

[Vorsicht: langer Text!] Vorausgeschickt: Ihr sehr ergebener Fortuna-Experte hat zu Freiburg und seinem führenden Fußballclub eine besondere Beziehung, weil einer seiner besten Freunde, der dort lebt, seit Kindesbeinen Fan des SCF war. Und selbst in den zehn fortuna-losen Jahren zwischen 1986 und 1996 hat Ihr Ergebener unsere Diva genau einmal live erlebt: beim überraschenden 2:1 der Fortuna im Freiburger Dreisamstadion am 6. September 1996. Aber in der Ära Volker Finke habe ich bei Besuchen mehrfach Heimspiele der Freiburger zusammen mit meinem Kumpel gesehen. Nun gilt der Sportclub Freiburg bekanntlich manchem Fußballromantiker als Sehnsuchtspunkt, vergleichbar nur noch mit dem FC St. Pauli. Fragt sich also, ob die Fortuna sich irgendetwas beim SCF abgucken kann.

Fußballfreunde vergessen leicht, dass der SC bis weit in die Siebzigerjahre hinein nur die Nr. 2 in der Stadt war. Bis 1974 lag der Freiburger FC, als Deutscher Meister von 1907 einer der wichtigsten Traditionsvereine überhaupt, immer vor dem Ortsrivalen. Bis 1982 kickten die Spieler aus dem Mösle-Stadion immer zweitklassig in der jeweiligen Regionalliga und ab 1977 in der zweiten Bundesliga. Dorthin schaffte es der SC ein Jahr später, und die Breisgauduelle waren fünf Jahre lang das Highlight der Saison.

SC lange hinter dem Freiburger FC

Während der FFC schon mit erheblichen Schulden in die zweite Liga ging und nur dank eines Mäzens die entsprechende Lizenz halten konnte, wirtschaftete der SCF dank Präsident Achim Stocker solide. Nachdem der FC-Förderer gestorben war, galt der Verein als pleite, und nur allerlei Rettungsversuche hielten ihn am Leben. Von diesem Chaos erholte sich der Club nie; heute tritt er in der Oberliga an. Genau umgekehrt ging es beim SC, der 1952 nach dem Austritt der Fußballer aus dem Turnverein VfL Freiburg entstand.

Das waren die Randbedingungen als Volker Finke 1991 Trainer beim SC Freiburg wurde. Da galt die Stadt schon als Öko-City, als Hort der Alternativen, der Umweltschützer und, ja, auch alle politisch fortschrittlichen Kräfte. Eine neue Schicht Intellektueller hatte das alte Bürgertum, das traditionell den FFC unterstütze, fast verdrängt. Viertel wie die Wiehre waren fest in den Händen der Alternativen; dank des gemeinsamen Widerstands gegen das Atomkraftwerk Wiehl am Kaiserstuhl bestanden enge Verbindungen zwischen dem Landvolk der Region und den Städtern. Diesen „neuen“ Geist, der in den Achtzigern entstanden war, repräsentierte plötzlich dieser jugendlich-frische Fußballverein.

Die Ära Volker Finke

Da kam der norddeutsche Realschullehrer Volker Finke ganz recht, denn auch der zählte zu der beschriebenen Schicht und wurde ein Teil von ihr. Zu den Ritualen dieser Sorte Freiburger gehört(e) es, samstags recht früh in die Stadt zu fahren (mit dem Rad, natürlich!), auf dem Bauernmarkt am Münster einzukaufen, um anschließend irgendwo einen Kaffee oder Schoppen zu trinken und später Mittag zu essen. Zum Beispiel eine Nudelsuppe im legendären Grünhof, wo sich auch die SC-Fans gern trafen. Die Feindbilder waren klar verteilt: Die Abneigung galt natürlich vor allem den Schwaben jeder Couleur (Aus Sicht echter Freiburger sind die Schweizer auch bloß Schwaben…) und die Clubs der Großkopferten, allen voran der FC Bayern.

Man verstand ja die Stadt als gallisches Dorf inmitten einer umweltfeindlichen, bösartigen Republik und den SC als Alternative zu dem, was damals schon als moderner Fußball zu erkennen war. Und der Volker war immer mittendrin. Samstags traf man ihn in den Cafés, und es war kein Problem ihn mal eben schnell auf das kommende Spiel anzusprechen. Später im Dreisamstadion im Stehblock standen dann die alten Anti-AKW-Kämpfer Seite an Seite mit den Studenten und Öko-Aktivisten sowie den Vertretern der politischen Linken in der Stadt. So weit die Lage in den frühen Neunzigern.

Wirtschaftlich immer urgesund

Dass unter diesen Bedingungen ein Verein entstehen konnte, der bis heute wirtschaftlich urgesund als Fahrstuhlmannschaft existiert, verdanken die Freiburger dem bereits erwähnten Achim Stocker, der von 1972 bis zu seinem Tod 2009 Präsident des Clubs war. Der studierte Jurist, der früher selbst gekickt hatte, war Zeit seines Lebens – zuletzt als Regierungsdirektor – bei der Oberfinanzbehörde und hatte immer ein strenges Auge auf die Vereinsfinanzen. Als der SCF 1992 in die (damals noch zweigeteilte) 2. Liga aufstieg, ließ er keine teuren Spielereinkäufe, die damals bei Aufsteigern gang und gäbe waren, zu. Stattdessen entwickelte Volker Finke ein Konzept, das über viele Jahre in den beiden oberen Ligen Erfolgsfaktor für den SC Freiburg wurde.

Erstens wurde der eigene Nachwuchs gefördert und vor allem der SCF als Anziehungspunkt für Talente aus der gesamten Region, also den ganzen Schwarzwald und das Grenzgebiet zur Schweiz und zum Elsass profiliert. Zweitens wurde ein intensives Scouting installiert, bei dem sich mehrere Experten besonders um afrikanische und osteuropäische Länder und ihre Fußballtalente kümmerten. Als der Verein 1992 in die erste Bundesliga aufstieg, waren beide Methoden bei den anderen Ligisten noch völlig unbekannt. Die Freiburger aber glänzten mit wunderbaren Kickern aus Westafrika, aus der Ukraine und Georgien und anderen Ländern, die für ihren Fußball bis dahin eher unbekannt waren. So konnte sich der SC Freiburger mit geringsten finanziellen Mitteln vier Jahre lang in Liga 1 halten und wurde am Ende der Saison 1994/95 sogar Tabellendritter!

Frei von Intrigen und Kungeleien

Die Prinzipien überlebten sowohl den Präsidenten Stocker als auch Trainer Finke, der 2007 von seinem Amt zurücktrat. Unter Robin Dutt und Marcus Sorg fuhr der SC ein bisschen Fahrstuhl, blieb wirtschaftlich aber immer gesund. 2012 begann dann die Ära des Christian Streich, die bis heute andauert. Zur wirtschaftlichen Gesundheit trägt auch bei, dass der SC Freiburg über all die Jahre für viele Unternehmen ein idealer Werbepartner war – vor allem durch das stabile Image des Clubs, dessen Merkmale sich werbende Firmen zunutze machen können. Zweiter Erfolgsfaktor war immer das vorsichtige Hantieren mit den Einnahmen, das teure Einkäufe immer verhinderte. Schließlich lebt der SCF auch durch seine große, eine ganze Region umspannende, treue Anhängerschaft.

Zu den bedeutenden Imagefaktoren des Vereins gehört die Ruhe im Handeln und Auftreten und die damit verbundene personelle Kontinuität. Sorg ist bis heute der einzige Trainer, den der SC jemals entlassen hat! Spieler, die man verkauft, um den Etat zu stabilisieren, kehren nach Ausflügen zu den reichen Vereinen gern wieder zurück nach Freiburg. Das Team im Nachwuchsbereich besteht im Kern seit über 20 Jahren aus denselben Personen. Schließlich blieben die Gremien über all die Jahre frei von Intrigen und Kungeleien.

Fortuna und der SC: nicht vergleichbar

Und damit beantwortet sich Eingangsfrage beinahe von selbst, denn bis auf die Tatsache, dass die Fortuna über recht wenig Geld verfügen kann (was sich auch sobald nicht ändern wird), haben die beiden Vereine nichts gemeinsam. Als der SC schon Spieler aus dem eigenen Nachwuchs für feine Summen abgeben konnte, liefen F95 die jungen Könner noch vor der U17 in Scharen davon. Wo ein Achim Stocker unglaubliche 35 Jahre den Verein führte, da gaben sich bei der Fortuna selbstherrliche Diktatoren, profilierungssüchtige Metzger, Auto- und Kunsthändler die Klinke in die Hand. Während Sponsoren beim SC auf Verlässlichkeit setzen konnten, schlugen sich Geldgeber bei der Fortuna mit Verschwendern, Blender und Nichtskönnern herum. Und wo im Breisgau ein riesiges Einzugsgebiet zum SC steht, das muss F95 schon in den Außenbezirken der Stadt unmittelbar mit anderen Clubs um Anhänger buhlen.

Vermutlich kann die Fortuna also gar nichts vom SC Freiburg lernen, weil die Rahmenbedingungen und die historische Entwicklung viel zu sehr voneinander abweichen. Vielleicht aber wäre es schon Lernerfolg genug, wenn die Fans Abstiege genauso locker wegstecken könnten wie die SC-Fans, die sich jedes Mal sicher waren, dass ihr Club über kurz oder lang wieder ganz oben mitspielen würde. Dass F95 nun schon seit einigen Jahren sehr solide wirtschaftet, hat man vielleicht nicht beim SCF abgeguckt, ist aber lobenswert. Wenn nun die Vereinsverantwortlichen so heimatverbunden wären wie die des Sportclubs, dann gäbe es noch mehr Ähnlichkeiten und vielleicht keine panischen Trainerentlassungen mehr.


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3 Gedanken zu „Kann Fortuna etwas vom SC Freiburg lernen?

  • Nett geschrieben. Fast, als sei der Autor dabei gewesen… Ich war es – und durfte als Steppke am Gitterzaun 2. Liga Süd einschließlich Derbys gg. den FFC erleben, und auf Bierkisten auf dem Erdwall stehend den Aufstieg in die Bundesliga…

    Das geplante AKW sollte in Wyhl stehen und Besonderheit des Freiburger Stadions war nicht nur das linksintellektuell alternative, sondern das klassenlose – vom Bauern über den Handwerker und Angestellten bis hin zu Studenten, Professoren und Honoratioren der lokalen Wirtschaft – Platz war für alle. Fast – und da schließt sich der Kreis – wie beim Relegations-/Aufstiegsspiel der Glorreichen in Berlin… Beim ersten Aufeinandertreffen war ich mir unsicher, was mein Herz sagen würde – aber es war überraschend schnell klar… 95 Olé

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  • Wahnsinnig schlecht recherchiert… Der SCF entstand 1912, nicht 1952, durch die Fusion zweier Vorgängervereine, von denen einer am 30.05.1904 gegründet wurde. Daraus leitet sich das Gründungsjahr 1904 ab. 1992 spielte der SCF bereits 14 Jahre ununterbrochen in der 2. Liga und stieg nicht etwa in diese auf.

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