F95 vs Bochum 3:1 – Das hatte ernsthaft Hand und Fuß

Ja, was ist denn nun mit Neuverpflichtungen, Herr Allofs, nach diesem Gurkenkick? Spaß beiseite: Der aktuelle Kader zeigte gegen den Erstligisten eine erstaunlich reife Leistung.

Bericht · Nur selten, beinahe nie haben die Ergebnisse von Testspielen einen nennenswerten Nährwert. Da die Gegner meist in anderen Phasen der Saisonvorbereitung stehen, lässt sich aus dem Resultat kaum eine Standortbeschreibung machen. Das sollte man im Kopf haben, bevor man sich über das 3:1 der glorreichen Fortuna gegen den Erstligisten aus Bochum zu sehr freut. Es sei denn, man bewertet die tatsächliche Leistung auf dem Platz – und die war richtig, richtig gut. [Lesezeit ca. 5 min]

Nun ist es tatsächlich so, dass der VfL sogar noch vor dem Start ins Trainingslager steht, während unsere Buben ihres schon hinter sich haben. Es war leicht zu erkennen, dass sich die einzelnen Kicker in Blau in Bezug auf ihre Fitness und Spielfreude doch sehr voneinander unterschieden. Bei den Fortunen war es genau umgekehrt: Niemand fiel ab, alle agierten bereits auf einem ligatauglichen Niveau.

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Das Schöne an dieser Partie im mit gut und gerne 4.000 Zuschauern bestens gefüllten Paul-Janes-Stadion ist die Nähe der Zuschauenden zum Spiel und zu den Spielern. So können die Akteure Zurufe aus dem Publikum gut hören. Das bekam auch Kevin Stöger bei der Ausführung eines Eckballs zu hören. Ein Fan auf der Nordseite rief ihm zu: „Kevin, bei der Fortuna warst du aber besser.“ Was Herrn Stöger zu einem amüsierten Lächeln animierte. Humor scheint er zu haben…

Herzerwärmend dann eine Szene zu Beginn der Pause. F95-Mannschaft und -Stab nutzten die Kabinen im NLZ, mussten also den Platz queren und an der Ecke von der Nord- zur Osttribüne durch den Tunnel gehen. Nachdem schon mehrere Jungs in Rot-mit-weißen-Streifen persönlich angesprochen und mit Applaus belohnt worden waren, näherte sich auch Daniel Thioune dieser Stelle. Dann begann es erst ganz leise, dann immer lauter, und immer mehr Leute schlossen sich an: Happy Birthday to you… Denn unser Cheftrainer hatte ja gestern Geburtstag. Der gute Daniel war sichtlich gerührt und verbeugte sich tief vor den Fans.

Das alles war eines angenehmen Sommerabends würdig. Wer allerdings ein Getränk erwerben wollte, wurde auf eine harte Geduldsprobe gestellt, denn die Schlangen waren überall sehr, sehr lang. Und wer dort warten musste, verpasste möglicherweise Szenen eines hochinteressanten Spiels, in dem es so gut wie keine flachen Stellen gab. Beide Teams zeigten sich hochaktiv.

Die Coaches hatten ein 4-2-3-1 aufgeboten, das aber in der Wiesenrealität meistens wie ein ganz klassisches 4-3-3 aussah, weil die nominellen Außenstürmer – in diesem Fall Felix Klaus und Emma Iyoha – sehr hoch und damit fast auf einer Linie mit der einzigen Spitze in Gestalt von Vince Vermeij standen. Das Dreiermittelfeld mit Cello Sobottka, Ao Tanaka und Shinta Appelkamp operierte extrem variabel; Shinta war der Einzige der drei, der nie als „Libero“ den defensiven Sechser gab. In der Viererkette durften innen Käpt’n Hoffmann und Jamil Siebert und außen Zimbo Zimmermann und Nico Gavory ran. Das alles lässt, wenn man auch die anderen Testspiele einbezieht, darauf schließen, dass die Jungs wohl so gut wie immer mit einer Viererkette antreten werden.

Überhaupt gab dieses Testspiel, dass man wegen gelegentlicher Überhärte der Bochumer sicher nicht Freundschaftsspiel nennen kann, eine Menge Vorschein auf das erste Saisonspiel am kommenden Samstag gegen die Hertha. Vielleicht noch nicht personell, aber sicher systemisch. Die Wahrscheinlichkeit, dass unsere Truppe mit zwei Spitzen antreten wird, ist minimal – entweder Vince Vermeij oder Daniel Ginczek werden als echte Mittelstürmer antreten. Zweitens: Unser Mittelfeld ist mit Sobottka, Tanaka, Appelkamp, Neto, Engelhardt und auch Bunk sehr gut und sehr variabel besetzt; hier kann der Trainer jeweils eine gegnerbezogene Auswahl treffen.

Auch in der Verteidigung sieht die Situation nicht schlecht aus. Wenn man den Düsseldorfer Jong Jamil Siebert sieht und was aus ihm in den letzten anderthalb Jahren geworden ist, kann man als F95-Liebhaber:in schon Pippi in den Augen haben: Der ist wirklich und wahrhaftig in jeder Hinsicht gereift und lässt einen den bitteren Abgang von Chris Klarer mit Sicherheit verschmerzen. Jordy de Wijs, der übrigens die Bude zum 2:0 in der 49. Minute hämmerte, verdrehte sich später das Knie und humpelte vom Platz; anscheinend ist aber nichts Schlimmes passiert.

An der bereits erwähnten Stadionecke gab es dann nach Ende der Partie noch einmal Sonderbeifall. Da kam Tim Oberdorf in Zivil vorbei. Der hat anscheinend ziemliches Glück mit diesem blöden Pfeiffer’schen Fieber, denn er hat dieser Tage schon wieder auf dem Platz gestanden. Wird er fit, könnte er mit seiner ihm eigenen Polyvalenz (Hach, was für ein geiles Wort!) ganz, ganz wichtig fürs Team werden. Nico Gavory ist in der besten Form seiner Fortuna-Jahre, und auch Zimbo machte gestern einen guten Eindruck. Während Taka Uchino als Außenverteidiger jederzeit ligatauglich wirkt, muss man sich bei Benny Böckle ein wenig Sorgen machten, dass er aufs passende Niveau kommt.

So, und jetzt kommt’s. Auf welchen Positionen muss sich die Fortuna der Saison 2023/24 denn nun wirklich verstärken? Unter den Fans auf den Stehplätzen herrschte eine etwas andere Meinung zum Thema „Neuverpflichtungen“ als in den sogenannten „sozialen“ Medien. Während dort Sportvorstand Klaus Allofs und Sportdirektor Christian Weber seit Tagen permanent angepflaumt werden, weil es bisher nur drei Neuzugänge gibt (und zwei davon, ach Jott!, aus der dritten Liga kommen), war gestern im PJS Stand der Diskussion, dass wir einen wirklich guten Kader für die kommenden Saison haben, es aber an der Breite fehle. „Was“, meinte einer, „wenn sich wie im letzten Jahr sechs oder sieben Spieler gleichzeitig verletzen?“

In der Vorbereitungsphase haben die Coaches diesen Mangel durch die Einbindung von Kickern aus dem Nachwuchs ausgeglichen; Bird, Bindemann und Hirschberger haben bei ihren Einsätzen eine ganz gute Figur abgegeben. Und in der U19 wartet zumindest noch der hochbegabte David Savic auf einen Zweitligaeinsatz. Aber, das wird nicht reichen. Nach irgendeinem „Superstar“ besteht sicher kein Bedarf, nicht einmal unbedingt nach Spielern mit Erstelfambitionen. Und wenn, dann höchstens nach zwei schnelle Kollegen für die Außenbahnen und einem vielseitigen Linksfuß. Denn auf Außen haben wir es momentan ja wirklich nur mit Emma Iyoha, Felix Klaus und Jona Niemiec zu tun.

Wie auch immer: Die real existierenden Insassen des F95-Kaders boten auf allen Ebenen beste Kost. Beeindruckend die Routine, die Jamil Siebert ausstrahlt, der zudem nicht wenige Impulse nach vorne setzte (mehr als Käpt’n Hoffmann auf jeden Fall). Endlich auf der Höhe seines Talents angekommen scheint Shinta Appelkamp, der den Raum nutzte, um das Spiel voranzutreiben. Was im Übrigens auch Ao Tanaka tat, der ebenfalls das höchste Niveau seiner F95-Zeit zu zeigen scheint. Heben wir ganz besonders Emma Iyoha hervor, den man mit Fug und Recht Matchwinner nennen kann, denn der schoss nicht nur das 1:0 in der 8. Minute, sondern war an der Entstehung des 2:0 beteiligt. Alle drei Buden entstanden aus traumschönen Kombinationen, wobei eine desorientierte VfL-Abwehr beim 1:0 helfend zur Hand war. Weil Emma seinen Flügel im Griff hatte, fiel Felix Klaus ein bisschen weniger auf als in letzter Zeit.

Nein, man muss keine Angst um dieses Team haben, Neuverpflichtungen hin oder her. Und Tastaturkrieger, die unsere geliebte Fortuna schon im Abstiegskampf wähnen, haben ja doch wohl einen massiven Pin im Kopp.

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