Euer Ergebener

1959 – 2023: Meine 64 Jahre mit der Fortuna (Folge 1)

Heute muss ich einmal aus meiner Rolle als „Der Ergebene“ steigen, denn dies ist eine ganz persönliche Geschichte, nämlich die über meine Zeit mit der Fortuna.

Lesestück · Immer, wenn ich von jemandem lese: „Isch jeh schon seit fünfzisch Jahren zu Fortuna“, krieg ich leise Zweifel. Denn so wie kein Lebensweg völlig gerade verläuft, verläuft die Laufbahn eines Fortuna-Fans ebenfalls nicht kurvenlos und ohne Unterbrechung. Das geben die Immerschongeher im direkten Kontakt auch gern zu, dass sie damals, als sie beim Bund waren, überhaupt keine Spiele live gesehen haben oder als die Kinder klein waren. Bei mir war das nicht anders, meine F95-Karriere bestand von 1959 bis ungefähr 2022 aus mehr Löchern als dichtem Gewebe. [Lesezeit ca. 6 min]

Mein Vater – Jahrgang 1923 – liebte den Fußball, ohne je Anhänger eines bestimmten Vereins zu sein. Selbst gespielt hat er wohl nur während seiner Zeit als Soldat und in der Kriegsgefangenschaft zwischen 1939 und 1947. Später hatte er als fleißiger Maurer, Polier und später Bauingenieur keine Zeit mehr dazu. Wir wohnten in den Fünfzigerjahren auf der Corneliusstraße. Deshalb ist der TuRU-Platz an der Feuerbachstraße auch mein eigentlicher „Homeground“ – wie man heute so sagt. Jedes Jahr ging mein Vater zum TuRU-Pfingstturnier, und 1957, im zarten Alter von vier Jahren, durfte ich zum ersten Mal mit (siehe Titelbild).

Diese Bronzeskulptur eines Fußballers habe ich von meinem Vater geerbt (Foto: privat)
Diese Bronzeskulptur eines Fußballers habe ich von meinem Vater geerbt (Foto: privat)
Natürlich ging mein Vater auch zur Fortuna, allerdings nicht regelmäßig. Hauptsache Fußball. Also lief beim samstäglichen Wagenwaschen im Radio auch immer die Konferenzschaltung mit den Partien der Oberliga. Die Namen der Vereine – von Westfalia Herne bis Altona 93 – habe ich noch heute im Kopf. Und natürlich klebten wir bei den Übertragungen von der Fußball-WM 1958 in Schweden alle vor dem Radio in der Wohnküche. Mein Vater regte sich damals sehr über die schwedischen „Einpeitscher“ auf, die bei den Spielen der eigenen Mannschaft das Publikum mit lauten „Heja, heja“-Rufen in Stimmung brachten.

Mein erstes Fortuna-Spiel sah ich nachweislich am 25. Oktober 1959 im Rheinstadion. Es war der elfte Geburtstag meines Bruders, und es ging gegen den Äff-Zeh aus Köln. Wir standen im Rentnerblock zwischen lauter grantelnden alten Säcken in schweren Mänteln und mit Hüten, die vorwiegend stinkende Stumpen qualmten. Von der ersten Halbzeit sah ich nichts. Erst nachdem mein Vater mich unter dem Protest der Zuschauer hinter sich auf die Schultern nahm, konnte ich die Begegnung verfolgen, die mit 1:1 endete. In den Statistiken wird meist das Stadion am Flinger Broich als Austragungsort genannt, aber das stimmt nicht, denn F95 spielte ab 1952 im Rheinstadion.

Auch wenn wir öfter zu den Fortuna-Spielen gingen, erinnere ich mich nur noch an eine Partie, bei der Albert Görtz im Tor stand. Es wird 1962 gewesen sein, denn da wohnten wir schon auf der Lenné-Straße. Vermutlich war es die Begegnung, die unsere Männer gegen Borussia Dortmund mit 2:1 gewannen. Jedenfalls war Pitter Meyer schon dabei und schoss den Siegtreffer. Damals gab es noch nicht die Möglichkeit, einen verletzten Spieler auszuwechseln. Und wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, war es Manni Krafft, der in der zweiten Hälfte ausschied. Auf Seiten des BVB waren auch schon Lothar Emmerich und Timo Konietzka dabei.

Dann hatte ich erstmal andere Interessen; vielleicht auch wegen der Enttäuschung darüber, dass unsere Fortuna bei der Gründung der Bundesliga nicht berücksichtigt wurde. Mein Vater war darüber sehr verärgert, weil er gerne die Spiele dieser neuen Superliga im Rheinstadion gesehen hätte. Stattdessen schwenkte er um. Aus irgendeinem Grund mochte er Schalke nicht und nahm den Meidericher SV nicht ernst. Also zog es ihn gelegentlich nach Dortmund ins Stadion Rote Erde. 1963 hatten wir noch keinen Fernseher, aber sowohl Onkel Harald als auch Onkel Walter. Wenn also Länderspiele oder Partien im Europapokal zu sehen waren, besuchten wir einen der Onkel. So sah ich unter anderem das legendäre Endspiel zwischen Eintracht Frankfurt und Real Madrid am 18. Mai 1960 im Glasgower Hampden Park, dass die Weißen mit 7:3 gewannen. Die Begegnungen während der Weltmeisterschaft 1962 in Chile wurden natürlich noch nicht live übertragen, weil es noch keine TV-Satelliten gab. Die konnte man mit mindestens drei Tagen Verspätung im Kino in der Wochenschau sehen. Oder im Radio verfolgen.

Ohne Worte

Der erste große Hype rund um die glorreiche Fortuna erfasste uns Schüler erst im Juni 1966. F95 hatte die Oberliga West souverän als Erster beendet und nahm an der Aufstiegsrunde teil. Gegner waren der FK Pirmasens, die Hertha aus Berlin und die Offenbacher Kickers. Gespielt wurde jeder gegen jeden in einer Doppelrunde. Fortuna MUSSTE das letzte Auswärtsspiel in Offenbach gewinnen, sonst wäre Pirmasens aufgestiegen. Der FK wurde punktgleich Zweiter, nur das Torverhältnis, das nach dem 5:1-Sieg bei den Kickers zustande kam, brachte den Flingeranern den Aufstieg.

Am 20. August 1966 gab es ein Schulfest in der Aula des Leibniz-Gymnasiums, an dem ich Schüler war. Ausgerechnet an dem Tag, an dem Fortuna Düsseldorf zum ersten Mal als Bundesligist spielte, natürlich samstags um halb vier, und zwar bei Borussia Dortmund. Weil ich an der Organisation der Fete beteiligt war, war ich schon am Mittag in der Schule. Im Foyer hatte jemand sein Kofferradio geparkt, und da lief natürlich die legendäre Konferenzschaltung. Bei jeder Gelegenheit sausten wir Jungs, die sich für die Fortuna interessierten, dorthin, um uns über den Spielverlauf und den Zwischenstand zu informieren. Was haben wir gejubelt, als bekannt wurde, dass Pitter Meyer das 2:1 und damit den Siegtreffer markierte!

Es folgten zuhause ein 0:0 gegen Bayern München, eine 2:4-Heimniederlage gegen Eintracht Frankfurt, ein 2:0-Auswärtssieg in Hannover sowie ein Sieg gegen Karlsruhe. Erst die 3:1-Niederlage in Gladbach stoppte diesen überraschenden Erfolgsweg des Aufsteigers. Und dann begann das Elend, das am Ende zum verdienten Abstieg führte. Im Stadion war ich allerdings nur gegen Rot-Weiss Essen in der Hinrunde (2:0) und bei der bitteren 1:5-Klatsche gegen die Duisburger. Im Jahr darauf starb mein Vater mit 43 Jahren. Ich ging für ein halbes Jahr als Austauschschüler nach England, wo ich mit meinem Gastkumpel Dave ein paar Mal nach London fuhr, um seine Spurs zu sehen. Es war 1967, und da spielte die Beatmusik eine viel größere Rolle als der Fußball.

Tatsächlich dauerte es bis 1973, dass ich mal wieder ins Rheinstadion zur Fortuna ging. Und zwar ins neue Rheinstadion, das man an der Stelle des alten für die Fußball-WM 1974 gebaut hatte. Als F95 in diesen Jahren an den Flinger Broich ausweichen musste, habe ich dort nicht eine einzige Partie gesehen. Aber ganz plötzlich ergriff mich das rot-weiße Virus wieder. An der Kunstakademie, an der ich ab 1973 studierte, war ich als Fortuna-Fan ein absoluter Exot. Dass ich eine Studentenparlamentssitzung wegen eines Spiels versäumte, löste Kopfschütteln bei den Kommilitonen aus.

Es war mitten in den goldenen Jahren der Fortuna, den Spielzeiten, in denen sie zweimal nacheinander Dritte wurde. Regelmäßig war ich im Stadion, wo man es als Student auch nicht einfach hatte, denn die jungen Fans des Vereins waren fast durchgehend Arbeiter. Und wenn die einen als Oberschüler oder Studenten erkannten, waren sie nicht besonders nett im Umgang. Oder wenn man so aussah wie ein Oberschüler oder Student. Mehr als einmal bekam ich von anderen F95-Fans was aufs Maul. Auf dem langen Weg von den Kassen am Europaplatz zur Gegengerade passierte es einige Male, dass mich einer oder zwei von den Harten aufhielten. „Hasse n Heiermann? Her damit!“ oder „Gib ma ne Kippe“ hieß es dann, und ob man den Befehlen nachkam oder nicht, mindestens eine Kopfnuss gab es in jedem Fall.

Pokalsieg 1979: Feier auf dem Marktplatz (Foto: (c) Horstmöller)
Pokalsieg 1979: Feier auf dem Marktplatz (Foto: (c) Horstmöller)

Auch wenn es ein wenig in Vergessenheit geraten ist: In den mittleren Siebzigerjahren bildeten sich die ersten Gruppen, die man später als Hooligans bezeichnete, besetzt von den starken Jungs aus den harten Vierten wie dem Hellweg. Da gehörte das Sich-Kloppen einfach schon dazu. Und dann der Pokal… Ich sah das verlorene Finale 1978 gegen Köln im Parkstadion und die gerechte Revanche mit dem zweiten Pokalsieg 1980 am selben Ort. Ich sah Europokalspiele, und um ein Haar wäre ich zum Auswärtsspiel nach Craiova gereist. Ich war nun ein Fortuna-Fan. Aber in diesen rund zehn Jahren war F95 in der Stadt auch überall Gesprächsthema.

In meiner Zivildienstzeit beim ASG-Bildungsforum 1978/79 war ein gewisser Stefan Killewald mein Vorgesetzter, und der war fußballverrückt. Selbst lange Spieler gewesen, war er als Trainer verschiedener unterklassiger Mannschaften in Düsseldorf bekannt. Mit der Fortuna hatte er es nicht so, aber lange Nachbereitungen der F95-Partien gehörten jeden Montag zur Routine. Bei einem Studentenjob beim Schulkollegium beim Regierungspräsidenten war es die Poststelle, die fest in rot-weißer Hand war. Der Raum war vollständig mit Fortuna-Postern und Zeitungsausschnitten tapeziert, und alle drei Mitarbeiter waren wirklich glühende Anhänger, mit denen man stundenlang über die launische Diva diskutieren konnte.

Und dann wurde es für mich immer weniger mit der Fortuna, und als mein Sohn 1986 mit fünf Jahren ein DEG-Bambino wurde, wurde Eishockey Sport Nr. 1 in der Familie. Denn wenn man ein Kind in dieser Sportart hat, bleibt kein Platz für Fußball. Erst 1992 ging es für mich in Sachen Diva weiter. Und davon erzähle ich dann in der zweiten Folge.


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